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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842.

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Vorwort.
nach dem Muster der phlogistischen Chemiker (der qualitati-
ven Methode), Anwendung von chemischen Erfahrungen zur
Beseitigung von Krankheitszuständen zu machen, allein den
Ursachen und dem Wesen der Krankheit ist man mit allen
diesen zahllosen Versuchen um keinen Schritt näher ge-
kommen.

Ohne bestimmte Fragen zu stellen, hat man Blut, Harn
und alle Bestandtheile des gesunden und kranken Organis-
mus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemi-
schen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kennt-
niß der vorgegangenen Aenderungen Rückschlüsse auf ihr
Verhalten im Körper gemacht.

Auf diesem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen
Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann
auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper
kann nicht für ein chemisches Laboratorium angesehen werden.

Bei krankhaften Zuständen, in dessen Folge das Blut eine
dickflüssige Beschaffenheit erhält, kann diese nicht durch eine che-
mische Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüs-
sigkeit dauernd gehoben werden; die Abscheidung von Sedi-
menten im Harn läßt sich vielleicht durch Alkalien verhin-
dern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsursache be-
seitigt sein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Am-
moniaksalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Be-
schaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, so wie sie durch
Ammoniakflüssigkeit künstlich im Blute hervorgebracht werden
kann, so darf deshalb das im Körper vorhandene Ammoniak

Vorwort.
nach dem Muſter der phlogiſtiſchen Chemiker (der qualitati-
ven Methode), Anwendung von chemiſchen Erfahrungen zur
Beſeitigung von Krankheitszuſtänden zu machen, allein den
Urſachen und dem Weſen der Krankheit iſt man mit allen
dieſen zahlloſen Verſuchen um keinen Schritt näher ge-
kommen.

Ohne beſtimmte Fragen zu ſtellen, hat man Blut, Harn
und alle Beſtandtheile des geſunden und kranken Organis-
mus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemi-
ſchen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kennt-
niß der vorgegangenen Aenderungen Rückſchlüſſe auf ihr
Verhalten im Körper gemacht.

Auf dieſem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen
Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann
auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper
kann nicht für ein chemiſches Laboratorium angeſehen werden.

Bei krankhaften Zuſtänden, in deſſen Folge das Blut eine
dickflüſſige Beſchaffenheit erhält, kann dieſe nicht durch eine che-
miſche Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüſ-
ſigkeit dauernd gehoben werden; die Abſcheidung von Sedi-
menten im Harn läßt ſich vielleicht durch Alkalien verhin-
dern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsurſache be-
ſeitigt ſein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Am-
moniakſalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Be-
ſchaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, ſo wie ſie durch
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kann, ſo darf deshalb das im Körper vorhandene Ammoniak

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[XI/0017] Vorwort. nach dem Muſter der phlogiſtiſchen Chemiker (der qualitati- ven Methode), Anwendung von chemiſchen Erfahrungen zur Beſeitigung von Krankheitszuſtänden zu machen, allein den Urſachen und dem Weſen der Krankheit iſt man mit allen dieſen zahlloſen Verſuchen um keinen Schritt näher ge- kommen. Ohne beſtimmte Fragen zu ſtellen, hat man Blut, Harn und alle Beſtandtheile des geſunden und kranken Organis- mus mit Alkalien und Säuren und allen Arten von chemi- ſchen Reagentien in Berührung gebracht und aus der Kennt- niß der vorgegangenen Aenderungen Rückſchlüſſe auf ihr Verhalten im Körper gemacht. Auf dieſem Wege konnte der Zufall vielleicht zu nützlichen Heilmitteln führen, allein eine rationelle Pathologie kann auf Reactionen nicht begründet, der lebendige Thierkörper kann nicht für ein chemiſches Laboratorium angeſehen werden. Bei krankhaften Zuſtänden, in deſſen Folge das Blut eine dickflüſſige Beſchaffenheit erhält, kann dieſe nicht durch eine che- miſche Wirkung auf die in den Blutkanälen circulirende Flüſ- ſigkeit dauernd gehoben werden; die Abſcheidung von Sedi- menten im Harn läßt ſich vielleicht durch Alkalien verhin- dern, ohne daß damit nur entfernt die Krankheitsurſache be- ſeitigt ſein kann; und wenn man im Typhus unlösliche Am- moniakſalze in den Faeces und eine ähnliche Aenderung der Be- ſchaffenheit der Blutkörperchen beobachtet, ſo wie ſie durch Ammoniakflüſſigkeit künſtlich im Blute hervorgebracht werden kann, ſo darf deshalb das im Körper vorhandene Ammoniak

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/17>, abgerufen am 24.11.2024.