Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Assimilation des Kohlenstoffs.
ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis
fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der
Blätter und kleineren Zweige sich lösen, die sich unter dem Eise
zu großen Blasen sammeln; diese Luftblasen sind reines Sauer-
stoffgas, was sich beständig vermehrt; weder bei Tage, wenn
die Sonne nicht scheint, noch bei Nacht, läßt sich eine Vermin-
derung beobachten. Dieser Sauerstoff rührt von der Kohlen-
säure her, die sich in dem Wasser befindet, und in dem Grade
wieder ersetzt wird, als sie die Pflanzen hinwegnehmen; sie
wird ersetzt durch fortschreitende Fäulnißprocesse in abgestorbe-
nen Pflanzenüberresten. Wenn demnach diese Pflanzen Sauer-
stoffgas während der Nacht einsaugen, so kann seine Menge
nicht mehr betragen, als das umgebende Wasser aufgelöst ent-
hält, denn der in Gasform abgeschiedene wird nicht wieder
aufgenommen.

Das Verhalten der Wasserpflanzen kann nicht als Aus-
nahme eines großen Naturgesetzes gelten, um so weniger, da
die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewächse in ih-
rem Verhalten gegen die Atmosphäre ihre natürliche Er-
klärung finden.

Die Meinung, daß die Kohlensäure ein Nahrungsmittel
für die Pflanzen sei, daß sie den Kohlenstoff derselben in ihre
eigene Masse aufnehmen, ist nicht neu; sie ist von den ein-
sichtsvollsten und gediegensten Naturforschern, von Priestley,
Sennebier, Ingenhouse, de Saussure
und anderen,
aufgestellt, bewiesen und vertheidigt worden.

Es giebt in der Naturwissenschaft kaum eine Ansicht, für
welche man entschiedenere und schärfere Beweise hat; woraus
läßt sich nun erklären, daß sie von den meisten Pflanzenphysio-
logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß sie von vielen
bestritten, daß sie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird?

Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis
fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der
Blätter und kleineren Zweige ſich löſen, die ſich unter dem Eiſe
zu großen Blaſen ſammeln; dieſe Luftblaſen ſind reines Sauer-
ſtoffgas, was ſich beſtändig vermehrt; weder bei Tage, wenn
die Sonne nicht ſcheint, noch bei Nacht, läßt ſich eine Vermin-
derung beobachten. Dieſer Sauerſtoff rührt von der Kohlen-
ſäure her, die ſich in dem Waſſer befindet, und in dem Grade
wieder erſetzt wird, als ſie die Pflanzen hinwegnehmen; ſie
wird erſetzt durch fortſchreitende Fäulnißproceſſe in abgeſtorbe-
nen Pflanzenüberreſten. Wenn demnach dieſe Pflanzen Sauer-
ſtoffgas während der Nacht einſaugen, ſo kann ſeine Menge
nicht mehr betragen, als das umgebende Waſſer aufgelöſt ent-
hält, denn der in Gasform abgeſchiedene wird nicht wieder
aufgenommen.

Das Verhalten der Waſſerpflanzen kann nicht als Aus-
nahme eines großen Naturgeſetzes gelten, um ſo weniger, da
die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewächſe in ih-
rem Verhalten gegen die Atmoſphäre ihre natürliche Er-
klärung finden.

Die Meinung, daß die Kohlenſäure ein Nahrungsmittel
für die Pflanzen ſei, daß ſie den Kohlenſtoff derſelben in ihre
eigene Maſſe aufnehmen, iſt nicht neu; ſie iſt von den ein-
ſichtsvollſten und gediegenſten Naturforſchern, von Prieſtley,
Sennebier, Ingenhouſe, de Sauſſure
und anderen,
aufgeſtellt, bewieſen und vertheidigt worden.

Es giebt in der Naturwiſſenſchaft kaum eine Anſicht, für
welche man entſchiedenere und ſchärfere Beweiſe hat; woraus
läßt ſich nun erklären, daß ſie von den meiſten Pflanzenphyſio-
logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß ſie von vielen
beſtritten, daß ſie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0049" n="31"/><fw place="top" type="header">Die A&#x017F;&#x017F;imilation des Kohlen&#x017F;toffs.</fw><lb/>
ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis<lb/>
fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der<lb/>
Blätter und kleineren Zweige &#x017F;ich lö&#x017F;en, die &#x017F;ich unter dem Ei&#x017F;e<lb/>
zu großen Bla&#x017F;en &#x017F;ammeln; die&#x017F;e Luftbla&#x017F;en &#x017F;ind reines Sauer-<lb/>
&#x017F;toffgas, was &#x017F;ich be&#x017F;tändig vermehrt; weder bei Tage, wenn<lb/>
die Sonne nicht &#x017F;cheint, noch bei Nacht, läßt &#x017F;ich eine Vermin-<lb/>
derung beobachten. Die&#x017F;er Sauer&#x017F;toff rührt von der Kohlen-<lb/>
&#x017F;äure her, die &#x017F;ich in dem Wa&#x017F;&#x017F;er befindet, und in dem Grade<lb/>
wieder er&#x017F;etzt wird, als &#x017F;ie die Pflanzen hinwegnehmen; &#x017F;ie<lb/>
wird er&#x017F;etzt durch fort&#x017F;chreitende Fäulnißproce&#x017F;&#x017F;e in abge&#x017F;torbe-<lb/>
nen Pflanzenüberre&#x017F;ten. Wenn demnach die&#x017F;e Pflanzen Sauer-<lb/>
&#x017F;toffgas während der Nacht ein&#x017F;augen, &#x017F;o kann &#x017F;eine Menge<lb/>
nicht mehr betragen, als das umgebende Wa&#x017F;&#x017F;er aufgelö&#x017F;t ent-<lb/>
hält, denn der in Gasform abge&#x017F;chiedene wird nicht wieder<lb/>
aufgenommen.</p><lb/>
          <p>Das Verhalten der Wa&#x017F;&#x017F;erpflanzen kann nicht als Aus-<lb/>
nahme eines großen Naturge&#x017F;etzes gelten, um &#x017F;o weniger, da<lb/>
die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewäch&#x017F;e in ih-<lb/>
rem Verhalten gegen die Atmo&#x017F;phäre ihre natürliche Er-<lb/>
klärung finden.</p><lb/>
          <p>Die Meinung, daß die Kohlen&#x017F;äure ein Nahrungsmittel<lb/>
für die Pflanzen &#x017F;ei, daß &#x017F;ie den Kohlen&#x017F;toff der&#x017F;elben in ihre<lb/>
eigene Ma&#x017F;&#x017F;e aufnehmen, i&#x017F;t nicht neu; &#x017F;ie i&#x017F;t von den ein-<lb/>
&#x017F;ichtsvoll&#x017F;ten und gediegen&#x017F;ten Naturfor&#x017F;chern, von <hi rendition="#g">Prie&#x017F;tley,<lb/>
Sennebier, Ingenhou&#x017F;e, de Sau&#x017F;&#x017F;ure</hi> und anderen,<lb/>
aufge&#x017F;tellt, bewie&#x017F;en und vertheidigt worden.</p><lb/>
          <p>Es giebt in der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft kaum eine An&#x017F;icht, für<lb/>
welche man ent&#x017F;chiedenere und &#x017F;chärfere Bewei&#x017F;e hat; woraus<lb/>
läßt &#x017F;ich nun erklären, daß &#x017F;ie von den mei&#x017F;ten Pflanzenphy&#x017F;io-<lb/>
logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß &#x017F;ie von vielen<lb/>
be&#x017F;tritten, daß &#x017F;ie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0049] Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. ges und ganz vorzüglich während die Sonne auf das Eis fällt, unaufhörlich kleine Luftbläschen von den Spitzen der Blätter und kleineren Zweige ſich löſen, die ſich unter dem Eiſe zu großen Blaſen ſammeln; dieſe Luftblaſen ſind reines Sauer- ſtoffgas, was ſich beſtändig vermehrt; weder bei Tage, wenn die Sonne nicht ſcheint, noch bei Nacht, läßt ſich eine Vermin- derung beobachten. Dieſer Sauerſtoff rührt von der Kohlen- ſäure her, die ſich in dem Waſſer befindet, und in dem Grade wieder erſetzt wird, als ſie die Pflanzen hinwegnehmen; ſie wird erſetzt durch fortſchreitende Fäulnißproceſſe in abgeſtorbe- nen Pflanzenüberreſten. Wenn demnach dieſe Pflanzen Sauer- ſtoffgas während der Nacht einſaugen, ſo kann ſeine Menge nicht mehr betragen, als das umgebende Waſſer aufgelöſt ent- hält, denn der in Gasform abgeſchiedene wird nicht wieder aufgenommen. Das Verhalten der Waſſerpflanzen kann nicht als Aus- nahme eines großen Naturgeſetzes gelten, um ſo weniger, da die Abweichungen der in der Luft lebenden Gewächſe in ih- rem Verhalten gegen die Atmoſphäre ihre natürliche Er- klärung finden. Die Meinung, daß die Kohlenſäure ein Nahrungsmittel für die Pflanzen ſei, daß ſie den Kohlenſtoff derſelben in ihre eigene Maſſe aufnehmen, iſt nicht neu; ſie iſt von den ein- ſichtsvollſten und gediegenſten Naturforſchern, von Prieſtley, Sennebier, Ingenhouſe, de Sauſſure und anderen, aufgeſtellt, bewieſen und vertheidigt worden. Es giebt in der Naturwiſſenſchaft kaum eine Anſicht, für welche man entſchiedenere und ſchärfere Beweiſe hat; woraus läßt ſich nun erklären, daß ſie von den meiſten Pflanzenphyſio- logen in ihrer Ausdehnung nicht anerkannt, daß ſie von vielen beſtritten, daß ſie von einzelnen als widerlegt betrachtet wird?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/49
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/49>, abgerufen am 18.04.2024.