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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Die Assimilation des Kohlenstoffs.
Existenz der Thiere ist ausschließlich an die Gegenwart, an die
Entwicklung der Pflanzen gebunden.

Die Pflanze liefert nicht allein dem thierischen Organis-
mus in ihren Organen die Mittel zur Nahrung, zur Erneue-
rung und Vermehrung seiner Masse, sie entfernt nicht nur
aus der Atmosphäre die schädlichen Stoffe, die seine Existenz
gefährden, sondern sie ist es auch allein, welche den höheren
organischen Lebensproceß, die Respiration mit der ihr unent-
behrlichen Nahrung versieht; sie ist eine unversiegbare Quelle
des reinsten und frischesten Sauerstoffgases, sie ersetzt der At-
mosphäre in jedem Momente, was sie verlor.

Alle übrigen Verhältnisse gleich gesetzt, athmen die Thiere
Kohlenstoff aus, die Pflanzen athmen ihn ein, das Medium,
in dem es geschieht, die Luft, kann in ihrer Zusammensetzung
nicht geändert werden.

Ist nun, kann man fragen, der dem Anschein nach so ge-
ringe Kohlensäuregehalt der Luft, ein Gehalt, der dem Ge-
wicht nach nur 1/10 p. c. beträgt, überhaupt nur genügend,
um den Bedarf der ganzen Vegetation aus der Oberfläche der
Erde zu befriedigen, ist es möglich, daß dieser Kohlenstoff aus
der Luft stammt?

Diese Frage ist unter allen am leichtesten zu beantworten.
Man weiß, daß auf jeden Quadratfuß der Oberfläche der
Erde eine Luftsäule ruht, welche 2216,66 Lb wiegt; man kennt
den Durchmesser und damit die Oberfläche der Erde; man
kann mit der größten Genauigkeit das Gewicht der Atmosphäre
berechnen; der tausendste Theil dieses Gewichts ist Kohlensäure,
welche etwas über 27 p. c. Kohlenstoff enthält. Aus dieser
Berechnung ergiebt sich nun, daß die Atmosphäre 3000 Billio-
nen Lb Kohlenstoff enthält, eine Quantität, welche mehr beträgt,
als das Gewicht aller Pflanzen, der Stein- und Braunkohlenlager

Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.
Exiſtenz der Thiere iſt ausſchließlich an die Gegenwart, an die
Entwicklung der Pflanzen gebunden.

Die Pflanze liefert nicht allein dem thieriſchen Organis-
mus in ihren Organen die Mittel zur Nahrung, zur Erneue-
rung und Vermehrung ſeiner Maſſe, ſie entfernt nicht nur
aus der Atmoſphäre die ſchädlichen Stoffe, die ſeine Exiſtenz
gefährden, ſondern ſie iſt es auch allein, welche den höheren
organiſchen Lebensproceß, die Reſpiration mit der ihr unent-
behrlichen Nahrung verſieht; ſie iſt eine unverſiegbare Quelle
des reinſten und friſcheſten Sauerſtoffgaſes, ſie erſetzt der At-
moſphäre in jedem Momente, was ſie verlor.

Alle übrigen Verhältniſſe gleich geſetzt, athmen die Thiere
Kohlenſtoff aus, die Pflanzen athmen ihn ein, das Medium,
in dem es geſchieht, die Luft, kann in ihrer Zuſammenſetzung
nicht geändert werden.

Iſt nun, kann man fragen, der dem Anſchein nach ſo ge-
ringe Kohlenſäuregehalt der Luft, ein Gehalt, der dem Ge-
wicht nach nur 1/10 p. c. beträgt, überhaupt nur genügend,
um den Bedarf der ganzen Vegetation aus der Oberfläche der
Erde zu befriedigen, iſt es möglich, daß dieſer Kohlenſtoff aus
der Luft ſtammt?

Dieſe Frage iſt unter allen am leichteſten zu beantworten.
Man weiß, daß auf jeden Quadratfuß der Oberfläche der
Erde eine Luftſäule ruht, welche 2216,66 ℔ wiegt; man kennt
den Durchmeſſer und damit die Oberfläche der Erde; man
kann mit der größten Genauigkeit das Gewicht der Atmoſphäre
berechnen; der tauſendſte Theil dieſes Gewichts iſt Kohlenſäure,
welche etwas über 27 p. c. Kohlenſtoff enthält. Aus dieſer
Berechnung ergiebt ſich nun, daß die Atmoſphäre 3000 Billio-
nen ℔ Kohlenſtoff enthält, eine Quantität, welche mehr beträgt,
als das Gewicht aller Pflanzen, der Stein- und Braunkohlenlager

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[20/0038] Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Exiſtenz der Thiere iſt ausſchließlich an die Gegenwart, an die Entwicklung der Pflanzen gebunden. Die Pflanze liefert nicht allein dem thieriſchen Organis- mus in ihren Organen die Mittel zur Nahrung, zur Erneue- rung und Vermehrung ſeiner Maſſe, ſie entfernt nicht nur aus der Atmoſphäre die ſchädlichen Stoffe, die ſeine Exiſtenz gefährden, ſondern ſie iſt es auch allein, welche den höheren organiſchen Lebensproceß, die Reſpiration mit der ihr unent- behrlichen Nahrung verſieht; ſie iſt eine unverſiegbare Quelle des reinſten und friſcheſten Sauerſtoffgaſes, ſie erſetzt der At- moſphäre in jedem Momente, was ſie verlor. Alle übrigen Verhältniſſe gleich geſetzt, athmen die Thiere Kohlenſtoff aus, die Pflanzen athmen ihn ein, das Medium, in dem es geſchieht, die Luft, kann in ihrer Zuſammenſetzung nicht geändert werden. Iſt nun, kann man fragen, der dem Anſchein nach ſo ge- ringe Kohlenſäuregehalt der Luft, ein Gehalt, der dem Ge- wicht nach nur 1/10 p. c. beträgt, überhaupt nur genügend, um den Bedarf der ganzen Vegetation aus der Oberfläche der Erde zu befriedigen, iſt es möglich, daß dieſer Kohlenſtoff aus der Luft ſtammt? Dieſe Frage iſt unter allen am leichteſten zu beantworten. Man weiß, daß auf jeden Quadratfuß der Oberfläche der Erde eine Luftſäule ruht, welche 2216,66 ℔ wiegt; man kennt den Durchmeſſer und damit die Oberfläche der Erde; man kann mit der größten Genauigkeit das Gewicht der Atmoſphäre berechnen; der tauſendſte Theil dieſes Gewichts iſt Kohlenſäure, welche etwas über 27 p. c. Kohlenſtoff enthält. Aus dieſer Berechnung ergiebt ſich nun, daß die Atmoſphäre 3000 Billio- nen ℔ Kohlenſtoff enthält, eine Quantität, welche mehr beträgt, als das Gewicht aller Pflanzen, der Stein- und Braunkohlenlager

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/38>, abgerufen am 28.03.2024.