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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Wein- und Biergährung.
der Alkohol, welcher dazu einer höheren Temperatur bedarf,
Antheil daran nimmt; so lange der Wein in den Lagerfässern
Unterhefe absetzt, kann er durch Zusatz von Zucker wieder in
Gährung versetzt werden, aber der alte wohl abgelagerte Wein
hat die Fähigkeit, durch Zuckerzusatz zu gähren und von selbst
in Essig überzugehen, verloren, eben weil in ihm die Bedin-
gung zur Gährung und Verwesung, nämlich eine in Zersetzung
oder Verwesung begriffene Materie, fehlt.

Bei dem Abfüllen der jungen Weine, welche noch reich
an Kleber sind, hindern wir seinen Uebergang in Essig, seine
Verwesung, durch Zusatz von schwefliger Säure, durch eine
Substanz also, die den aufgenommenen Sauerstoff der Luft, in
dem Faß und in dem Wein, hindert, an die organische Mate-
rie zu treten, insofern sie sich selbst damit verbindet.

Auf eine ähnliche Weise, wie in den Weinen, unterscheiden
sich die Biersorten von einander.

Die englischen, französischen und die meisten deutschen Biere
gehen beim Zutritt der Luft in Essig über; diese Eigenschaft
fehlt den baierschen Lagerbieren, sie lassen sich, ohne sauer zu
werden, in vollen und halbgefüllten Fässern ohne Veränderung
aufbewahren. Diese schätzbare Eigenschaft haben diese Biere
durch ein eigenthümliches Verfahren in der Gährung der Bier-
würze, durch die sogenannte Untergährung, erhalten, und
eine vollendete Experimentirkunst hat damit eins der schönsten
Probleme der Theorie gelös't.

Die Bierwürze ist verhältnißmäßig reicher an aufgelös'tem
Kleber als an Zucker, bei ihrer Gährung auf die gewöhnliche
Weise scheidet sich eine große Menge Hefe als dicker Schaum
ab, die sich entwickelnde Kohlensäure hängt sich in Bläschen
den Hefetheilchen an, macht sie specifisch leichter und hebt sie
auf die Oberfläche der Flüssigkeit empor.

Wein- und Biergährung.
der Alkohol, welcher dazu einer höheren Temperatur bedarf,
Antheil daran nimmt; ſo lange der Wein in den Lagerfäſſern
Unterhefe abſetzt, kann er durch Zuſatz von Zucker wieder in
Gährung verſetzt werden, aber der alte wohl abgelagerte Wein
hat die Fähigkeit, durch Zuckerzuſatz zu gähren und von ſelbſt
in Eſſig überzugehen, verloren, eben weil in ihm die Bedin-
gung zur Gährung und Verweſung, nämlich eine in Zerſetzung
oder Verweſung begriffene Materie, fehlt.

Bei dem Abfüllen der jungen Weine, welche noch reich
an Kleber ſind, hindern wir ſeinen Uebergang in Eſſig, ſeine
Verweſung, durch Zuſatz von ſchwefliger Säure, durch eine
Subſtanz alſo, die den aufgenommenen Sauerſtoff der Luft, in
dem Faß und in dem Wein, hindert, an die organiſche Mate-
rie zu treten, inſofern ſie ſich ſelbſt damit verbindet.

Auf eine ähnliche Weiſe, wie in den Weinen, unterſcheiden
ſich die Bierſorten von einander.

Die engliſchen, franzöſiſchen und die meiſten deutſchen Biere
gehen beim Zutritt der Luft in Eſſig über; dieſe Eigenſchaft
fehlt den baierſchen Lagerbieren, ſie laſſen ſich, ohne ſauer zu
werden, in vollen und halbgefüllten Fäſſern ohne Veränderung
aufbewahren. Dieſe ſchätzbare Eigenſchaft haben dieſe Biere
durch ein eigenthümliches Verfahren in der Gährung der Bier-
würze, durch die ſogenannte Untergährung, erhalten, und
eine vollendete Experimentirkunſt hat damit eins der ſchönſten
Probleme der Theorie gelöſ’t.

Die Bierwürze iſt verhältnißmäßig reicher an aufgelöſ’tem
Kleber als an Zucker, bei ihrer Gährung auf die gewöhnliche
Weiſe ſcheidet ſich eine große Menge Hefe als dicker Schaum
ab, die ſich entwickelnde Kohlenſäure hängt ſich in Bläschen
den Hefetheilchen an, macht ſie ſpecifiſch leichter und hebt ſie
auf die Oberfläche der Flüſſigkeit empor.

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[268/0286] Wein- und Biergährung. der Alkohol, welcher dazu einer höheren Temperatur bedarf, Antheil daran nimmt; ſo lange der Wein in den Lagerfäſſern Unterhefe abſetzt, kann er durch Zuſatz von Zucker wieder in Gährung verſetzt werden, aber der alte wohl abgelagerte Wein hat die Fähigkeit, durch Zuckerzuſatz zu gähren und von ſelbſt in Eſſig überzugehen, verloren, eben weil in ihm die Bedin- gung zur Gährung und Verweſung, nämlich eine in Zerſetzung oder Verweſung begriffene Materie, fehlt. Bei dem Abfüllen der jungen Weine, welche noch reich an Kleber ſind, hindern wir ſeinen Uebergang in Eſſig, ſeine Verweſung, durch Zuſatz von ſchwefliger Säure, durch eine Subſtanz alſo, die den aufgenommenen Sauerſtoff der Luft, in dem Faß und in dem Wein, hindert, an die organiſche Mate- rie zu treten, inſofern ſie ſich ſelbſt damit verbindet. Auf eine ähnliche Weiſe, wie in den Weinen, unterſcheiden ſich die Bierſorten von einander. Die engliſchen, franzöſiſchen und die meiſten deutſchen Biere gehen beim Zutritt der Luft in Eſſig über; dieſe Eigenſchaft fehlt den baierſchen Lagerbieren, ſie laſſen ſich, ohne ſauer zu werden, in vollen und halbgefüllten Fäſſern ohne Veränderung aufbewahren. Dieſe ſchätzbare Eigenſchaft haben dieſe Biere durch ein eigenthümliches Verfahren in der Gährung der Bier- würze, durch die ſogenannte Untergährung, erhalten, und eine vollendete Experimentirkunſt hat damit eins der ſchönſten Probleme der Theorie gelöſ’t. Die Bierwürze iſt verhältnißmäßig reicher an aufgelöſ’tem Kleber als an Zucker, bei ihrer Gährung auf die gewöhnliche Weiſe ſcheidet ſich eine große Menge Hefe als dicker Schaum ab, die ſich entwickelnde Kohlenſäure hängt ſich in Bläschen den Hefetheilchen an, macht ſie ſpecifiſch leichter und hebt ſie auf die Oberfläche der Flüſſigkeit empor.

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/286>, abgerufen am 24.11.2024.