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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Wein- und Biergährung.
schwach alkalisch sind, unter Umständen also, wo es an und
für sich unfähig ist, eine Verbindung mit einer Säure einzu-
gehen.

Unter den Producten der Gährung und Fäulniß neutraler
Pflanzensäfte, Pflanzen- und Thierstoffe bemerkt man stets die
Gegenwart flüchtiger, meist übelriechender Materien, aber das
evidentste und merkwürdigste Beispiel von der Erzeugung eines
wahren ätherischen Oels, liefert die Gährung des vollkommen
geruchlosen Krautes der Herba centauri minoris. Mit Was-
ser einer etwas erhöhten Temperatur ausgesetzt, geht es in Gäh-
rung über, die sich durch einen durchdringenden angenehmen
Geruch zu erkennen giebt.

Durch Destillation erhält man aus dieser Flüssigkeit eine
ätherisch ölige Substanz von großer Flüchtigkeit, welche stechen-
den Reiz und Thränen der Augen hervorbringt. (Büchner.)

Die Blätter der Tabackspflanzen verhalten sich ganz auf
dieselbe Weise; das frische Kraut hat keinen oder einen sehr
wenig hervorstechenden Geruch; mit Wasser der Destillation
unterworfen, erhält man eine schwach ammoniakalische Flüssig-
keit, auf welcher eine weiße, fettartige, kristallisirbare, stickstoff-
freie, geruchlose Materie schwimmt. Das nämliche Kraut im
getrockneten Zustand mit Wasser befeuchtet und in kleinen Bün-
deln auf Haufen gesetzt, erleidet einen eigenthümlichen Zersetzungs-
proceß; es tritt eine Gährung unter Absorbtion von Sauer-
stoff ein, die Blätter erhitzen sich und verbreiten von jetzt an
den eigenthümlichen Geruch des Rauch- und Schnupftabacks;
er kann durch sorgfältige Leitung der Gährung, Vermeidung
zu starker Erhitzung verfeinert und erhöht werden, und nach
dieser Gährung findet sich in diesen Blättern eine ölartige,
stickstoffreiche, flüchtige Materie, das Nicotin, von basischen
Eigenschaften, welche vorher nicht vorhanden war. Die ver-

Wein- und Biergährung.
ſchwach alkaliſch ſind, unter Umſtänden alſo, wo es an und
für ſich unfähig iſt, eine Verbindung mit einer Säure einzu-
gehen.

Unter den Producten der Gährung und Fäulniß neutraler
Pflanzenſäfte, Pflanzen- und Thierſtoffe bemerkt man ſtets die
Gegenwart flüchtiger, meiſt übelriechender Materien, aber das
evidentſte und merkwürdigſte Beiſpiel von der Erzeugung eines
wahren ätheriſchen Oels, liefert die Gährung des vollkommen
geruchloſen Krautes der Herba centauri minoris. Mit Waſ-
ſer einer etwas erhöhten Temperatur ausgeſetzt, geht es in Gäh-
rung über, die ſich durch einen durchdringenden angenehmen
Geruch zu erkennen giebt.

Durch Deſtillation erhält man aus dieſer Flüſſigkeit eine
ätheriſch ölige Subſtanz von großer Flüchtigkeit, welche ſtechen-
den Reiz und Thränen der Augen hervorbringt. (Büchner.)

Die Blätter der Tabackspflanzen verhalten ſich ganz auf
dieſelbe Weiſe; das friſche Kraut hat keinen oder einen ſehr
wenig hervorſtechenden Geruch; mit Waſſer der Deſtillation
unterworfen, erhält man eine ſchwach ammoniakaliſche Flüſſig-
keit, auf welcher eine weiße, fettartige, kriſtalliſirbare, ſtickſtoff-
freie, geruchloſe Materie ſchwimmt. Das nämliche Kraut im
getrockneten Zuſtand mit Waſſer befeuchtet und in kleinen Bün-
deln auf Haufen geſetzt, erleidet einen eigenthümlichen Zerſetzungs-
proceß; es tritt eine Gährung unter Abſorbtion von Sauer-
ſtoff ein, die Blätter erhitzen ſich und verbreiten von jetzt an
den eigenthümlichen Geruch des Rauch- und Schnupftabacks;
er kann durch ſorgfältige Leitung der Gährung, Vermeidung
zu ſtarker Erhitzung verfeinert und erhöht werden, und nach
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[265/0283] Wein- und Biergährung. ſchwach alkaliſch ſind, unter Umſtänden alſo, wo es an und für ſich unfähig iſt, eine Verbindung mit einer Säure einzu- gehen. Unter den Producten der Gährung und Fäulniß neutraler Pflanzenſäfte, Pflanzen- und Thierſtoffe bemerkt man ſtets die Gegenwart flüchtiger, meiſt übelriechender Materien, aber das evidentſte und merkwürdigſte Beiſpiel von der Erzeugung eines wahren ätheriſchen Oels, liefert die Gährung des vollkommen geruchloſen Krautes der Herba centauri minoris. Mit Waſ- ſer einer etwas erhöhten Temperatur ausgeſetzt, geht es in Gäh- rung über, die ſich durch einen durchdringenden angenehmen Geruch zu erkennen giebt. Durch Deſtillation erhält man aus dieſer Flüſſigkeit eine ätheriſch ölige Subſtanz von großer Flüchtigkeit, welche ſtechen- den Reiz und Thränen der Augen hervorbringt. (Büchner.) Die Blätter der Tabackspflanzen verhalten ſich ganz auf dieſelbe Weiſe; das friſche Kraut hat keinen oder einen ſehr wenig hervorſtechenden Geruch; mit Waſſer der Deſtillation unterworfen, erhält man eine ſchwach ammoniakaliſche Flüſſig- keit, auf welcher eine weiße, fettartige, kriſtalliſirbare, ſtickſtoff- freie, geruchloſe Materie ſchwimmt. Das nämliche Kraut im getrockneten Zuſtand mit Waſſer befeuchtet und in kleinen Bün- deln auf Haufen geſetzt, erleidet einen eigenthümlichen Zerſetzungs- proceß; es tritt eine Gährung unter Abſorbtion von Sauer- ſtoff ein, die Blätter erhitzen ſich und verbreiten von jetzt an den eigenthümlichen Geruch des Rauch- und Schnupftabacks; er kann durch ſorgfältige Leitung der Gährung, Vermeidung zu ſtarker Erhitzung verfeinert und erhöht werden, und nach dieſer Gährung findet ſich in dieſen Blättern eine ölartige, ſtickſtoffreiche, flüchtige Materie, das Nicotin, von baſiſchen Eigenſchaften, welche vorher nicht vorhanden war. Die ver-

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/283>, abgerufen am 28.11.2024.