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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Daß mit dem Frühjahr uns die Freiheit wiedergegeben würde, das berauschte alle Herzen, und die ganze Bevölkerung der Stadt war auf den Füßen, den Einmarsch der preußischen Truppen zu erleben.

Meine Mutter und wir hatten eine Einladung von Freunden erhalten, welche auf dem Schloßplatze wohnten, und obschon der Weg von unserem Hause am Ende der Brüderstraße bis zum Schloßplatze nur so klein war, so nahmen wir es bei dem Wogen der Menschenmassen, die sich gerade hier zusammendrängten, doch dankbar an, als Klemenz sich erbot, uns hinzubegleiten. Mein Bruder führte die Mutter und Caroline, Klemenz hatte mir den Arm gegeben, und da ich zu Hause etwas vergessen hatte und danach umkehren mußte, kamen wir von den Andern ab, so daß wir das Haus unserer Freunde nur gerade noch erreichten, als die Spitze des einziehenden Heeres schon die Schloßbrücke berührte, wo das am Fuße des Standbildes des Kurfürsten aufgestellte Musikcorps sie mit jubelndem Klange begrüßte.

Wir eilten die Treppe hinauf in den ersten Stock, in dem sich der Gesellschaftssaal befand, aber schon an der Thüre rief der Herr des Hauses uns entgegen: Hier sind alle Fenster besetzt, hier werden Sie nichts sehen. Führen Sie die Geheimeräthin oben hinauf in die Stube meiner Töchter, lieber Klemenz. Im Nu waren wir oben und am Fenster, denn die Fanfaren schmetterten ihre Freudentöne durch die Luft, daß mir die

Daß mit dem Frühjahr uns die Freiheit wiedergegeben würde, das berauschte alle Herzen, und die ganze Bevölkerung der Stadt war auf den Füßen, den Einmarsch der preußischen Truppen zu erleben.

Meine Mutter und wir hatten eine Einladung von Freunden erhalten, welche auf dem Schloßplatze wohnten, und obschon der Weg von unserem Hause am Ende der Brüderstraße bis zum Schloßplatze nur so klein war, so nahmen wir es bei dem Wogen der Menschenmassen, die sich gerade hier zusammendrängten, doch dankbar an, als Klemenz sich erbot, uns hinzubegleiten. Mein Bruder führte die Mutter und Caroline, Klemenz hatte mir den Arm gegeben, und da ich zu Hause etwas vergessen hatte und danach umkehren mußte, kamen wir von den Andern ab, so daß wir das Haus unserer Freunde nur gerade noch erreichten, als die Spitze des einziehenden Heeres schon die Schloßbrücke berührte, wo das am Fuße des Standbildes des Kurfürsten aufgestellte Musikcorps sie mit jubelndem Klange begrüßte.

Wir eilten die Treppe hinauf in den ersten Stock, in dem sich der Gesellschaftssaal befand, aber schon an der Thüre rief der Herr des Hauses uns entgegen: Hier sind alle Fenster besetzt, hier werden Sie nichts sehen. Führen Sie die Geheimeräthin oben hinauf in die Stube meiner Töchter, lieber Klemenz. Im Nu waren wir oben und am Fenster, denn die Fanfaren schmetterten ihre Freudentöne durch die Luft, daß mir die

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[0075] Daß mit dem Frühjahr uns die Freiheit wiedergegeben würde, das berauschte alle Herzen, und die ganze Bevölkerung der Stadt war auf den Füßen, den Einmarsch der preußischen Truppen zu erleben. Meine Mutter und wir hatten eine Einladung von Freunden erhalten, welche auf dem Schloßplatze wohnten, und obschon der Weg von unserem Hause am Ende der Brüderstraße bis zum Schloßplatze nur so klein war, so nahmen wir es bei dem Wogen der Menschenmassen, die sich gerade hier zusammendrängten, doch dankbar an, als Klemenz sich erbot, uns hinzubegleiten. Mein Bruder führte die Mutter und Caroline, Klemenz hatte mir den Arm gegeben, und da ich zu Hause etwas vergessen hatte und danach umkehren mußte, kamen wir von den Andern ab, so daß wir das Haus unserer Freunde nur gerade noch erreichten, als die Spitze des einziehenden Heeres schon die Schloßbrücke berührte, wo das am Fuße des Standbildes des Kurfürsten aufgestellte Musikcorps sie mit jubelndem Klange begrüßte. Wir eilten die Treppe hinauf in den ersten Stock, in dem sich der Gesellschaftssaal befand, aber schon an der Thüre rief der Herr des Hauses uns entgegen: Hier sind alle Fenster besetzt, hier werden Sie nichts sehen. Führen Sie die Geheimeräthin oben hinauf in die Stube meiner Töchter, lieber Klemenz. Im Nu waren wir oben und am Fenster, denn die Fanfaren schmetterten ihre Freudentöne durch die Luft, daß mir die

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/75>, abgerufen am 24.11.2024.