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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Man hatte frische Sträuße in die Zimmer gestellt, die Mutter selber bügelte das weiße Kleid, das ich ein paar Wochen früher zur Einsegnung getragen hatte. Dann flocht sie aus Myrthen, die sie groß gezogen, auch selbst für mich den Kranz. Ich sah ihr zu und träumte still vor mich hin. Die Aufregung des vorigen Tages hatte in mir nachgelassen und einem tiefen Sinnen Platz gemacht.

Um Mittag erschien der Onkel. Er trug seine Amtstracht, hatte seine Orden angelegt und kam mir fast wie ein Fremder vor. Grade als es zwölf schlug, wurden wir getraut, und ich gelobte mir mit ernsten Schwüren, dem Onkel anzugehören in Leben und Tod, in Glück und Noth, wie der Geistliche es sagte. Mit beiden Armen warf ich mich ihm an die Brust, und als er mich dort leise und linde festhielt, kam ich mir so geborgen vor, daß ich ihm die Hände dafür küßte.

Alle umarmten mich. Die Mutter weinte, wie ich sie niemals weinen gesehen, der Bruder, der Assessor Klemenz wünschten mir Glück, nur Caroline strich mir, da sie mich küßte, wie mitleidig die Wange und sagte leise: Du armes, armes Kind! -- Ich fuhr erschrocken zusammen, sie drückte mir still die Hand, und als ich sie ansah und ihre schwarzen Augen so finster und trübe auf mir ruhten, fühlte ich eine Art von Furcht vor ihr.

Wir blieben nur eine kurze Zeit beisammen, ehe wir zu Mittag aßen. Schlichting war ganz unverändert,

Man hatte frische Sträuße in die Zimmer gestellt, die Mutter selber bügelte das weiße Kleid, das ich ein paar Wochen früher zur Einsegnung getragen hatte. Dann flocht sie aus Myrthen, die sie groß gezogen, auch selbst für mich den Kranz. Ich sah ihr zu und träumte still vor mich hin. Die Aufregung des vorigen Tages hatte in mir nachgelassen und einem tiefen Sinnen Platz gemacht.

Um Mittag erschien der Onkel. Er trug seine Amtstracht, hatte seine Orden angelegt und kam mir fast wie ein Fremder vor. Grade als es zwölf schlug, wurden wir getraut, und ich gelobte mir mit ernsten Schwüren, dem Onkel anzugehören in Leben und Tod, in Glück und Noth, wie der Geistliche es sagte. Mit beiden Armen warf ich mich ihm an die Brust, und als er mich dort leise und linde festhielt, kam ich mir so geborgen vor, daß ich ihm die Hände dafür küßte.

Alle umarmten mich. Die Mutter weinte, wie ich sie niemals weinen gesehen, der Bruder, der Assessor Klemenz wünschten mir Glück, nur Caroline strich mir, da sie mich küßte, wie mitleidig die Wange und sagte leise: Du armes, armes Kind! — Ich fuhr erschrocken zusammen, sie drückte mir still die Hand, und als ich sie ansah und ihre schwarzen Augen so finster und trübe auf mir ruhten, fühlte ich eine Art von Furcht vor ihr.

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[0071] Man hatte frische Sträuße in die Zimmer gestellt, die Mutter selber bügelte das weiße Kleid, das ich ein paar Wochen früher zur Einsegnung getragen hatte. Dann flocht sie aus Myrthen, die sie groß gezogen, auch selbst für mich den Kranz. Ich sah ihr zu und träumte still vor mich hin. Die Aufregung des vorigen Tages hatte in mir nachgelassen und einem tiefen Sinnen Platz gemacht. Um Mittag erschien der Onkel. Er trug seine Amtstracht, hatte seine Orden angelegt und kam mir fast wie ein Fremder vor. Grade als es zwölf schlug, wurden wir getraut, und ich gelobte mir mit ernsten Schwüren, dem Onkel anzugehören in Leben und Tod, in Glück und Noth, wie der Geistliche es sagte. Mit beiden Armen warf ich mich ihm an die Brust, und als er mich dort leise und linde festhielt, kam ich mir so geborgen vor, daß ich ihm die Hände dafür küßte. Alle umarmten mich. Die Mutter weinte, wie ich sie niemals weinen gesehen, der Bruder, der Assessor Klemenz wünschten mir Glück, nur Caroline strich mir, da sie mich küßte, wie mitleidig die Wange und sagte leise: Du armes, armes Kind! — Ich fuhr erschrocken zusammen, sie drückte mir still die Hand, und als ich sie ansah und ihre schwarzen Augen so finster und trübe auf mir ruhten, fühlte ich eine Art von Furcht vor ihr. Wir blieben nur eine kurze Zeit beisammen, ehe wir zu Mittag aßen. Schlichting war ganz unverändert,

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/71>, abgerufen am 24.11.2024.