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Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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der in ihr lebt, so nahm das alte Attachement des Onkels für unsere Mutter nun allmählich auch eine andere und wärmere Gestalt an.

Meine Mutter hatte es nach Beendigung des Trauerjahres für ihre Pflicht gehalten, ihre beiden erwachsenen Töchter wieder in die Gesellschaft zu führen, besonders weil Carolinens Geliebter in Paris eine reiche Frau geheirathet hatte und Caroline dadurch in eine so wilde Verzweiflung und dann in eine so menschenfeindliche Bitterkeit verfallen war, daß die Mutter es als ihre Aufgabe erkannte, ihre Tochter zu zerstreuen und einer milderen Stimmung zugänglich zu machen. Sie hielt ihr jetzt selber vor, daß sie ja jung und angenehm und obenein vermögend sei, daß sie eine neue Liebe fassen, neuer Liebe begegnen könne; aber Caroline ging auf das Alles wenig ein, und es war, als ob sie die Gesellschaft und den Verkehr mit Männern sich nur gefallen ließe, weil sie dabei Gelegenheit fand, ihnen ihre herben Sarkasmen und ihre Geringschätzung fortwährend kund zu geben. Unliebenswürdiger, als sie damals war, habe ich nie ein Frauenzimmer gekannt. Sie schmückte sich auf das Aeußerste, man sah, sie wollte gefallen, Eroberungen machen, aber es geschah nur, um fortzustoßen, was sich ihr näherte, um leiden zu machen, weil sie selber litt. Sie war kokett geworden aus Herzzerrissenheit. Die Mutter, die sonst strenge gegen Carolinens Eitelkeit und Putzsucht gewesen war, hatte jetzt Mitleid mit ihr und behandelte sie

der in ihr lebt, so nahm das alte Attachement des Onkels für unsere Mutter nun allmählich auch eine andere und wärmere Gestalt an.

Meine Mutter hatte es nach Beendigung des Trauerjahres für ihre Pflicht gehalten, ihre beiden erwachsenen Töchter wieder in die Gesellschaft zu führen, besonders weil Carolinens Geliebter in Paris eine reiche Frau geheirathet hatte und Caroline dadurch in eine so wilde Verzweiflung und dann in eine so menschenfeindliche Bitterkeit verfallen war, daß die Mutter es als ihre Aufgabe erkannte, ihre Tochter zu zerstreuen und einer milderen Stimmung zugänglich zu machen. Sie hielt ihr jetzt selber vor, daß sie ja jung und angenehm und obenein vermögend sei, daß sie eine neue Liebe fassen, neuer Liebe begegnen könne; aber Caroline ging auf das Alles wenig ein, und es war, als ob sie die Gesellschaft und den Verkehr mit Männern sich nur gefallen ließe, weil sie dabei Gelegenheit fand, ihnen ihre herben Sarkasmen und ihre Geringschätzung fortwährend kund zu geben. Unliebenswürdiger, als sie damals war, habe ich nie ein Frauenzimmer gekannt. Sie schmückte sich auf das Aeußerste, man sah, sie wollte gefallen, Eroberungen machen, aber es geschah nur, um fortzustoßen, was sich ihr näherte, um leiden zu machen, weil sie selber litt. Sie war kokett geworden aus Herzzerrissenheit. Die Mutter, die sonst strenge gegen Carolinens Eitelkeit und Putzsucht gewesen war, hatte jetzt Mitleid mit ihr und behandelte sie

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[0055] der in ihr lebt, so nahm das alte Attachement des Onkels für unsere Mutter nun allmählich auch eine andere und wärmere Gestalt an. Meine Mutter hatte es nach Beendigung des Trauerjahres für ihre Pflicht gehalten, ihre beiden erwachsenen Töchter wieder in die Gesellschaft zu führen, besonders weil Carolinens Geliebter in Paris eine reiche Frau geheirathet hatte und Caroline dadurch in eine so wilde Verzweiflung und dann in eine so menschenfeindliche Bitterkeit verfallen war, daß die Mutter es als ihre Aufgabe erkannte, ihre Tochter zu zerstreuen und einer milderen Stimmung zugänglich zu machen. Sie hielt ihr jetzt selber vor, daß sie ja jung und angenehm und obenein vermögend sei, daß sie eine neue Liebe fassen, neuer Liebe begegnen könne; aber Caroline ging auf das Alles wenig ein, und es war, als ob sie die Gesellschaft und den Verkehr mit Männern sich nur gefallen ließe, weil sie dabei Gelegenheit fand, ihnen ihre herben Sarkasmen und ihre Geringschätzung fortwährend kund zu geben. Unliebenswürdiger, als sie damals war, habe ich nie ein Frauenzimmer gekannt. Sie schmückte sich auf das Aeußerste, man sah, sie wollte gefallen, Eroberungen machen, aber es geschah nur, um fortzustoßen, was sich ihr näherte, um leiden zu machen, weil sie selber litt. Sie war kokett geworden aus Herzzerrissenheit. Die Mutter, die sonst strenge gegen Carolinens Eitelkeit und Putzsucht gewesen war, hatte jetzt Mitleid mit ihr und behandelte sie

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:16:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:16:08Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/55>, abgerufen am 24.11.2024.