Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.du glaubst, daß ich damit zufrieden bin, daß dieser Herr Geheimrath Tag aus, Tag ein im Hause ist, da irrst du. Es haben andere Leute Augen, wenn du blind bist! -- Alles Blut stieg dem Vater ins Gehirn. Mutter! rief er, das vergebe Ihnen Gott! und er mußte sich niedersetzen und das Haupt in seine Hände stützen, so gingen ihm die Gedanken durcheinander. Wie er nun so dasaß, trat die Großmutter an ihn heran. Meinst du denn, sagte sie, der Geheimrath kommt um deinetwillen alle Tage in das Haus? Meinst du, die Beiden haben's dir vergessen, wie es zwischen ihnen war, und daß du ihnen in den Weg getreten bist? Was macht sich denn so ein vornehmer Edelmann, so ein Geheimrath aus Zucht und Ehre in eines Bürgers Haus? Warum heirathet er nicht, wenn er Josephinen nicht immer noch liebt? Was sieht die Josephine denn anders als Leichtsinn und wüstes Wesen in der Gesellschaft, in der ihr lebt und auf die ihr Beide stolz seid? Warum will sie denn die Caroline nicht in die Gesellschaft nehmen? Warum muß das große Mädchen, das selbst Mann und Kinder haben könnte, wie ein Schulkind in der Kinderstube sitzen, als damit die Welt nicht sieht, wie alt die Mutter ist, damit der Geheimrath nicht bemerkt, wie lange es her ist, daß er die Mutter liebte? Was soll der Onkel auch im Hause? Was soll der Onkel Carolinen? Schafft dem Mädchen einen Mann, und schafft sie fort, daß sie's nicht länger anzusehen braucht! du glaubst, daß ich damit zufrieden bin, daß dieser Herr Geheimrath Tag aus, Tag ein im Hause ist, da irrst du. Es haben andere Leute Augen, wenn du blind bist! — Alles Blut stieg dem Vater ins Gehirn. Mutter! rief er, das vergebe Ihnen Gott! und er mußte sich niedersetzen und das Haupt in seine Hände stützen, so gingen ihm die Gedanken durcheinander. Wie er nun so dasaß, trat die Großmutter an ihn heran. Meinst du denn, sagte sie, der Geheimrath kommt um deinetwillen alle Tage in das Haus? Meinst du, die Beiden haben's dir vergessen, wie es zwischen ihnen war, und daß du ihnen in den Weg getreten bist? Was macht sich denn so ein vornehmer Edelmann, so ein Geheimrath aus Zucht und Ehre in eines Bürgers Haus? Warum heirathet er nicht, wenn er Josephinen nicht immer noch liebt? Was sieht die Josephine denn anders als Leichtsinn und wüstes Wesen in der Gesellschaft, in der ihr lebt und auf die ihr Beide stolz seid? Warum will sie denn die Caroline nicht in die Gesellschaft nehmen? Warum muß das große Mädchen, das selbst Mann und Kinder haben könnte, wie ein Schulkind in der Kinderstube sitzen, als damit die Welt nicht sieht, wie alt die Mutter ist, damit der Geheimrath nicht bemerkt, wie lange es her ist, daß er die Mutter liebte? Was soll der Onkel auch im Hause? Was soll der Onkel Carolinen? Schafft dem Mädchen einen Mann, und schafft sie fort, daß sie's nicht länger anzusehen braucht! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0040"/> du glaubst, daß ich damit zufrieden bin, daß dieser Herr Geheimrath Tag aus, Tag ein im Hause ist, da irrst du. Es haben andere Leute Augen, wenn du blind bist! — Alles Blut stieg dem Vater ins Gehirn. Mutter! rief er, das vergebe Ihnen Gott! und er mußte sich niedersetzen und das Haupt in seine Hände stützen, so gingen ihm die Gedanken durcheinander.</p><lb/> <p>Wie er nun so dasaß, trat die Großmutter an ihn heran. Meinst du denn, sagte sie, der Geheimrath kommt um deinetwillen alle Tage in das Haus? Meinst du, die Beiden haben's dir vergessen, wie es zwischen ihnen war, und daß du ihnen in den Weg getreten bist? Was macht sich denn so ein vornehmer Edelmann, so ein Geheimrath aus Zucht und Ehre in eines Bürgers Haus? Warum heirathet er nicht, wenn er Josephinen nicht immer noch liebt? Was sieht die Josephine denn anders als Leichtsinn und wüstes Wesen in der Gesellschaft, in der ihr lebt und auf die ihr Beide stolz seid? Warum will sie denn die Caroline nicht in die Gesellschaft nehmen? Warum muß das große Mädchen, das selbst Mann und Kinder haben könnte, wie ein Schulkind in der Kinderstube sitzen, als damit die Welt nicht sieht, wie alt die Mutter ist, damit der Geheimrath nicht bemerkt, wie lange es her ist, daß er die Mutter liebte? Was soll der Onkel auch im Hause? Was soll der Onkel Carolinen? Schafft dem Mädchen einen Mann, und schafft sie fort, daß sie's nicht länger anzusehen braucht!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
du glaubst, daß ich damit zufrieden bin, daß dieser Herr Geheimrath Tag aus, Tag ein im Hause ist, da irrst du. Es haben andere Leute Augen, wenn du blind bist! — Alles Blut stieg dem Vater ins Gehirn. Mutter! rief er, das vergebe Ihnen Gott! und er mußte sich niedersetzen und das Haupt in seine Hände stützen, so gingen ihm die Gedanken durcheinander.
Wie er nun so dasaß, trat die Großmutter an ihn heran. Meinst du denn, sagte sie, der Geheimrath kommt um deinetwillen alle Tage in das Haus? Meinst du, die Beiden haben's dir vergessen, wie es zwischen ihnen war, und daß du ihnen in den Weg getreten bist? Was macht sich denn so ein vornehmer Edelmann, so ein Geheimrath aus Zucht und Ehre in eines Bürgers Haus? Warum heirathet er nicht, wenn er Josephinen nicht immer noch liebt? Was sieht die Josephine denn anders als Leichtsinn und wüstes Wesen in der Gesellschaft, in der ihr lebt und auf die ihr Beide stolz seid? Warum will sie denn die Caroline nicht in die Gesellschaft nehmen? Warum muß das große Mädchen, das selbst Mann und Kinder haben könnte, wie ein Schulkind in der Kinderstube sitzen, als damit die Welt nicht sieht, wie alt die Mutter ist, damit der Geheimrath nicht bemerkt, wie lange es her ist, daß er die Mutter liebte? Was soll der Onkel auch im Hause? Was soll der Onkel Carolinen? Schafft dem Mädchen einen Mann, und schafft sie fort, daß sie's nicht länger anzusehen braucht!
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/40>, abgerufen am 05.07.2024. |