Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wurf gemacht, den sie gern hatte und sich bei des Vaters Reichthum auch gestatten durfte. Das hatte denn böses Blut gegeben zwischen den Dreien, denn der Vater liebte unsere Mutter, wußte, was er an ihr besaß und wie er sie vertreten mußte. Wäre er nicht das einzige Kind der Großmutter gewesen, vielleicht hätte es einmal ein Ende genommen zwischen ihnen, so aber mußten sie und ihre Sonderbarkeiten still ertragen werden; indeß war der Sonntag für die ganze Familie ein Gegenstand der peinlichen Erwartung und der Abneigung, nur für die älteste Schwester war er's nicht. Caroline war von ihrer Geburt an der Abgott der Großmutter gewesen. Sie glich ihr, als wäre sie ihr aus den Augen geschnitten, und Alles, was sie der Schwiegertochter an Lebensfreude, Luxus und Wohlstand mißgönnte, das erwünschte sie für die geliebte Enkelin und suchte es dieser von jeher zu bereiten. Sie beschenkte Caroline vorzugsweise, putzte sie gegen die Absicht und den Geschmack unserer Mutter und störte auf diese Weise der Mutter Einfluß und die Erziehung unserer Schwester. Caroline war eigentlich nicht hübsch. Sie war groß, mager und brünett, eben wie die Großmutter, aber sie hatte, wie diese, ein Paar schöne schwarze Augen, schöne Zähne und sehr schönes Haar, und da sie gesund und frisch aussah, konnte sie in ihrer Jugend wohl gefallen. Die Großmutter hielt sie für die wurf gemacht, den sie gern hatte und sich bei des Vaters Reichthum auch gestatten durfte. Das hatte denn böses Blut gegeben zwischen den Dreien, denn der Vater liebte unsere Mutter, wußte, was er an ihr besaß und wie er sie vertreten mußte. Wäre er nicht das einzige Kind der Großmutter gewesen, vielleicht hätte es einmal ein Ende genommen zwischen ihnen, so aber mußten sie und ihre Sonderbarkeiten still ertragen werden; indeß war der Sonntag für die ganze Familie ein Gegenstand der peinlichen Erwartung und der Abneigung, nur für die älteste Schwester war er's nicht. Caroline war von ihrer Geburt an der Abgott der Großmutter gewesen. Sie glich ihr, als wäre sie ihr aus den Augen geschnitten, und Alles, was sie der Schwiegertochter an Lebensfreude, Luxus und Wohlstand mißgönnte, das erwünschte sie für die geliebte Enkelin und suchte es dieser von jeher zu bereiten. Sie beschenkte Caroline vorzugsweise, putzte sie gegen die Absicht und den Geschmack unserer Mutter und störte auf diese Weise der Mutter Einfluß und die Erziehung unserer Schwester. Caroline war eigentlich nicht hübsch. Sie war groß, mager und brünett, eben wie die Großmutter, aber sie hatte, wie diese, ein Paar schöne schwarze Augen, schöne Zähne und sehr schönes Haar, und da sie gesund und frisch aussah, konnte sie in ihrer Jugend wohl gefallen. Die Großmutter hielt sie für die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0031"/> wurf gemacht, den sie gern hatte und sich bei des Vaters Reichthum auch gestatten durfte. Das hatte denn böses Blut gegeben zwischen den Dreien, denn der Vater liebte unsere Mutter, wußte, was er an ihr besaß und wie er sie vertreten mußte. Wäre er nicht das einzige Kind der Großmutter gewesen, vielleicht hätte es einmal ein Ende genommen zwischen ihnen, so aber mußten sie und ihre Sonderbarkeiten still ertragen werden; indeß war der Sonntag für die ganze Familie ein Gegenstand der peinlichen Erwartung und der Abneigung, nur für die älteste Schwester war er's nicht.</p><lb/> <p>Caroline war von ihrer Geburt an der Abgott der Großmutter gewesen. Sie glich ihr, als wäre sie ihr aus den Augen geschnitten, und Alles, was sie der Schwiegertochter an Lebensfreude, Luxus und Wohlstand mißgönnte, das erwünschte sie für die geliebte Enkelin und suchte es dieser von jeher zu bereiten. Sie beschenkte Caroline vorzugsweise, putzte sie gegen die Absicht und den Geschmack unserer Mutter und störte auf diese Weise der Mutter Einfluß und die Erziehung unserer Schwester.</p><lb/> <p>Caroline war eigentlich nicht hübsch. Sie war groß, mager und brünett, eben wie die Großmutter, aber sie hatte, wie diese, ein Paar schöne schwarze Augen, schöne Zähne und sehr schönes Haar, und da sie gesund und frisch aussah, konnte sie in ihrer Jugend wohl gefallen. Die Großmutter hielt sie für die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
wurf gemacht, den sie gern hatte und sich bei des Vaters Reichthum auch gestatten durfte. Das hatte denn böses Blut gegeben zwischen den Dreien, denn der Vater liebte unsere Mutter, wußte, was er an ihr besaß und wie er sie vertreten mußte. Wäre er nicht das einzige Kind der Großmutter gewesen, vielleicht hätte es einmal ein Ende genommen zwischen ihnen, so aber mußten sie und ihre Sonderbarkeiten still ertragen werden; indeß war der Sonntag für die ganze Familie ein Gegenstand der peinlichen Erwartung und der Abneigung, nur für die älteste Schwester war er's nicht.
Caroline war von ihrer Geburt an der Abgott der Großmutter gewesen. Sie glich ihr, als wäre sie ihr aus den Augen geschnitten, und Alles, was sie der Schwiegertochter an Lebensfreude, Luxus und Wohlstand mißgönnte, das erwünschte sie für die geliebte Enkelin und suchte es dieser von jeher zu bereiten. Sie beschenkte Caroline vorzugsweise, putzte sie gegen die Absicht und den Geschmack unserer Mutter und störte auf diese Weise der Mutter Einfluß und die Erziehung unserer Schwester.
Caroline war eigentlich nicht hübsch. Sie war groß, mager und brünett, eben wie die Großmutter, aber sie hatte, wie diese, ein Paar schöne schwarze Augen, schöne Zähne und sehr schönes Haar, und da sie gesund und frisch aussah, konnte sie in ihrer Jugend wohl gefallen. Die Großmutter hielt sie für die
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/31>, abgerufen am 05.07.2024. |