Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.an mich, sondern an meine Mutter adressirt und die Aufschrift "eigenhändig" wies ihn ihr noch ganz besonders zu. Sie ging in das Schlafzimmer, ihn zu lesen, Caroline und ich blieben zurück. Welche Unruhe folterte mich, wie zählte ich die Secunden bis zu ihrer Rückkehr! -- Als sie wieder in das Zimmer trat, war sie bleicher, als ich sie je gesehen, und ihre Augen roth von Thränen. Mutter! rief ich, um Gottes willen, was ist geschehen, was schreibt Schlichting? Er sendet eine traurige Nachricht, sagte sie leise. Klemenz ist bei der böhmischen Armee und -- Todt? riefen Caroline und ich, wie aus Einem Munde, wie unter der gleichen Vernichtung. Die Mutter nickte kaum merklich mit dem Kopfe, auch sie weinte um ihn. Er ist bei Kulm gefallen, sprach sie langsam. Caroline brach mit einem wilden Schrei zusammen. Ihr Schmerz kannte keine Grenzen, sie verfiel in eine Art von Krampf, wir hatten nur mit ihr zu thun. Erst als wir sie ausgekleidet und zu Bett gebracht, kam ich zur eigenen Besinnung und verlangte den Brief zu lesen, der das Härteste gemeldet hatte, aber ich war still und thränenlos. "Mehr als einen Monat ohne alle Nachricht von Julien und von Ihnen, theure Freundin!" schrieb Schlichting, "erhalte ich heute aus Teplitz von dem Adjutanten des Major R. die Einlage, welche in traurigster Weise Ihre Vermuthung bestätigt, daß an mich, sondern an meine Mutter adressirt und die Aufschrift „eigenhändig“ wies ihn ihr noch ganz besonders zu. Sie ging in das Schlafzimmer, ihn zu lesen, Caroline und ich blieben zurück. Welche Unruhe folterte mich, wie zählte ich die Secunden bis zu ihrer Rückkehr! — Als sie wieder in das Zimmer trat, war sie bleicher, als ich sie je gesehen, und ihre Augen roth von Thränen. Mutter! rief ich, um Gottes willen, was ist geschehen, was schreibt Schlichting? Er sendet eine traurige Nachricht, sagte sie leise. Klemenz ist bei der böhmischen Armee und — Todt? riefen Caroline und ich, wie aus Einem Munde, wie unter der gleichen Vernichtung. Die Mutter nickte kaum merklich mit dem Kopfe, auch sie weinte um ihn. Er ist bei Kulm gefallen, sprach sie langsam. Caroline brach mit einem wilden Schrei zusammen. Ihr Schmerz kannte keine Grenzen, sie verfiel in eine Art von Krampf, wir hatten nur mit ihr zu thun. Erst als wir sie ausgekleidet und zu Bett gebracht, kam ich zur eigenen Besinnung und verlangte den Brief zu lesen, der das Härteste gemeldet hatte, aber ich war still und thränenlos. „Mehr als einen Monat ohne alle Nachricht von Julien und von Ihnen, theure Freundin!“ schrieb Schlichting, „erhalte ich heute aus Teplitz von dem Adjutanten des Major R. die Einlage, welche in traurigster Weise Ihre Vermuthung bestätigt, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0117"/> an mich, sondern an meine Mutter adressirt und die Aufschrift „eigenhändig“ wies ihn ihr noch ganz besonders zu. Sie ging in das Schlafzimmer, ihn zu lesen, Caroline und ich blieben zurück. Welche Unruhe folterte mich, wie zählte ich die Secunden bis zu ihrer Rückkehr! — Als sie wieder in das Zimmer trat, war sie bleicher, als ich sie je gesehen, und ihre Augen roth von Thränen.</p><lb/> <p>Mutter! rief ich, um Gottes willen, was ist geschehen, was schreibt Schlichting? Er sendet eine traurige Nachricht, sagte sie leise. Klemenz ist bei der böhmischen Armee und — Todt? riefen Caroline und ich, wie aus Einem Munde, wie unter der gleichen Vernichtung. Die Mutter nickte kaum merklich mit dem Kopfe, auch sie weinte um ihn. Er ist bei Kulm gefallen, sprach sie langsam.</p><lb/> <p>Caroline brach mit einem wilden Schrei zusammen. Ihr Schmerz kannte keine Grenzen, sie verfiel in eine Art von Krampf, wir hatten nur mit ihr zu thun. Erst als wir sie ausgekleidet und zu Bett gebracht, kam ich zur eigenen Besinnung und verlangte den Brief zu lesen, der das Härteste gemeldet hatte, aber ich war still und thränenlos.</p><lb/> <p>„Mehr als einen Monat ohne alle Nachricht von Julien und von Ihnen, theure Freundin!“ schrieb Schlichting, „erhalte ich heute aus Teplitz von dem Adjutanten des Major R. die Einlage, welche in traurigster Weise Ihre Vermuthung bestätigt, daß<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
an mich, sondern an meine Mutter adressirt und die Aufschrift „eigenhändig“ wies ihn ihr noch ganz besonders zu. Sie ging in das Schlafzimmer, ihn zu lesen, Caroline und ich blieben zurück. Welche Unruhe folterte mich, wie zählte ich die Secunden bis zu ihrer Rückkehr! — Als sie wieder in das Zimmer trat, war sie bleicher, als ich sie je gesehen, und ihre Augen roth von Thränen.
Mutter! rief ich, um Gottes willen, was ist geschehen, was schreibt Schlichting? Er sendet eine traurige Nachricht, sagte sie leise. Klemenz ist bei der böhmischen Armee und — Todt? riefen Caroline und ich, wie aus Einem Munde, wie unter der gleichen Vernichtung. Die Mutter nickte kaum merklich mit dem Kopfe, auch sie weinte um ihn. Er ist bei Kulm gefallen, sprach sie langsam.
Caroline brach mit einem wilden Schrei zusammen. Ihr Schmerz kannte keine Grenzen, sie verfiel in eine Art von Krampf, wir hatten nur mit ihr zu thun. Erst als wir sie ausgekleidet und zu Bett gebracht, kam ich zur eigenen Besinnung und verlangte den Brief zu lesen, der das Härteste gemeldet hatte, aber ich war still und thränenlos.
„Mehr als einen Monat ohne alle Nachricht von Julien und von Ihnen, theure Freundin!“ schrieb Schlichting, „erhalte ich heute aus Teplitz von dem Adjutanten des Major R. die Einlage, welche in traurigster Weise Ihre Vermuthung bestätigt, daß
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/117 |
Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Die Tante. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 69–193. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_tante_1910/117>, abgerufen am 26.07.2024. |