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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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mehr gesehen und es ist auch nie wieder die
Rede davon gewesen. Am nächsten Tage zogen
wir hieher und seitdem ist Jenny's traurige
Stimmung, wie Sie selbst wissen, im Zuneh-
men begriffen."

Die Pfarrerin schwieg lange Zeit und schien
mit sich selbst zu Rathe zu gehen, dann sprach
sie: "Gott verhüte, daß Ihre Behauptung
wahr sei! Ich kann nicht glauben, daß Jenny
sich so vollkommen über ihre Gefühle getäuscht
haben könne, und bin ebenso fest von ihrer
Liebe zu Reinhard überzeugt, als von der sei-
nen für sie. Indeß ist leider unser Herz tau-
send befremdlichen Eindrücken zugänglich, und
es wäre nicht unmöglich, daß sich irgend ein
Widerstreit von Gefühlen in der Seele meiner
armen Jenny erhoben hat, den sie mit ihrer
leidenschaftlichen Weise gewaltsam bekämpfen
will und hoffentlich bekämpfen wird. Daher
mag ihre Unruhe entstehen, und ich danke Ih-

mehr geſehen und es iſt auch nie wieder die
Rede davon geweſen. Am nächſten Tage zogen
wir hieher und ſeitdem iſt Jenny's traurige
Stimmung, wie Sie ſelbſt wiſſen, im Zuneh-
men begriffen.“

Die Pfarrerin ſchwieg lange Zeit und ſchien
mit ſich ſelbſt zu Rathe zu gehen, dann ſprach
ſie: „Gott verhüte, daß Ihre Behauptung
wahr ſei! Ich kann nicht glauben, daß Jenny
ſich ſo vollkommen über ihre Gefühle getäuſcht
haben könne, und bin ebenſo feſt von ihrer
Liebe zu Reinhard überzeugt, als von der ſei-
nen für ſie. Indeß iſt leider unſer Herz tau-
ſend befremdlichen Eindrücken zugänglich, und
es wäre nicht unmöglich, daß ſich irgend ein
Widerſtreit von Gefühlen in der Seele meiner
armen Jenny erhoben hat, den ſie mit ihrer
leidenſchaftlichen Weiſe gewaltſam bekämpfen
will und hoffentlich bekämpfen wird. Daher
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[40/0050] mehr geſehen und es iſt auch nie wieder die Rede davon geweſen. Am nächſten Tage zogen wir hieher und ſeitdem iſt Jenny's traurige Stimmung, wie Sie ſelbſt wiſſen, im Zuneh- men begriffen.“ Die Pfarrerin ſchwieg lange Zeit und ſchien mit ſich ſelbſt zu Rathe zu gehen, dann ſprach ſie: „Gott verhüte, daß Ihre Behauptung wahr ſei! Ich kann nicht glauben, daß Jenny ſich ſo vollkommen über ihre Gefühle getäuſcht haben könne, und bin ebenſo feſt von ihrer Liebe zu Reinhard überzeugt, als von der ſei- nen für ſie. Indeß iſt leider unſer Herz tau- ſend befremdlichen Eindrücken zugänglich, und es wäre nicht unmöglich, daß ſich irgend ein Widerſtreit von Gefühlen in der Seele meiner armen Jenny erhoben hat, den ſie mit ihrer leidenſchaftlichen Weiſe gewaltſam bekämpfen will und hoffentlich bekämpfen wird. Daher mag ihre Unruhe entſtehen, und ich danke Ih-

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/50>, abgerufen am 24.04.2024.