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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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stenthums die Hauptsache in demselben sei, war
es allein, die ihr einen Ausweg für ihre Be-
sorgnisse zeigte, vor dem sich jedoch Anfangs
ihre Redlichkeit scheute. Was aber sollte sie
thun? Jetzt, nachdem sie unaufhörlich ihren
Glauben an die christlichen Dogmen behauptet
hatte, plötzlich erklären, sie habe sich getäuscht
und sie könne nichts davon glauben? Das
hätte sie eigentlich am liebsten gethan; aber
würde man nicht an der Unfreiwilligkeit dieser
Täuschung zweifeln, und annehmen, sie habe
bis jetzt gegen ihre Ansicht etwas behauptet,
um ihren Zweck zu erreichen, was zu beschwö-
ren ihr der Muth fehle? Vor Reinhard
und ihrem Vater, vor Eduard in diesem Lichte
zu erscheinen, brachte sie zur Verzweiflung, ab-
gesehen selbst von der Trennung von dem Ge-
liebten, die unvermeidlich wurde, wenn sie sich
weigerte, Christin zu werden. Sie schauderte,
zwischen der Wahrheit und Reinhard wählen

ſtenthums die Hauptſache in demſelben ſei, war
es allein, die ihr einen Ausweg für ihre Be-
ſorgniſſe zeigte, vor dem ſich jedoch Anfangs
ihre Redlichkeit ſcheute. Was aber ſollte ſie
thun? Jetzt, nachdem ſie unaufhörlich ihren
Glauben an die chriſtlichen Dogmen behauptet
hatte, plötzlich erklären, ſie habe ſich getäuſcht
und ſie könne nichts davon glauben? Das
hätte ſie eigentlich am liebſten gethan; aber
würde man nicht an der Unfreiwilligkeit dieſer
Täuſchung zweifeln, und annehmen, ſie habe
bis jetzt gegen ihre Anſicht etwas behauptet,
um ihren Zweck zu erreichen, was zu beſchwö-
ren ihr der Muth fehle? Vor Reinhard
und ihrem Vater, vor Eduard in dieſem Lichte
zu erſcheinen, brachte ſie zur Verzweiflung, ab-
geſehen ſelbſt von der Trennung von dem Ge-
liebten, die unvermeidlich wurde, wenn ſie ſich
weigerte, Chriſtin zu werden. Sie ſchauderte,
zwiſchen der Wahrheit und Reinhard wählen

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[20/0030] ſtenthums die Hauptſache in demſelben ſei, war es allein, die ihr einen Ausweg für ihre Be- ſorgniſſe zeigte, vor dem ſich jedoch Anfangs ihre Redlichkeit ſcheute. Was aber ſollte ſie thun? Jetzt, nachdem ſie unaufhörlich ihren Glauben an die chriſtlichen Dogmen behauptet hatte, plötzlich erklären, ſie habe ſich getäuſcht und ſie könne nichts davon glauben? Das hätte ſie eigentlich am liebſten gethan; aber würde man nicht an der Unfreiwilligkeit dieſer Täuſchung zweifeln, und annehmen, ſie habe bis jetzt gegen ihre Anſicht etwas behauptet, um ihren Zweck zu erreichen, was zu beſchwö- ren ihr der Muth fehle? Vor Reinhard und ihrem Vater, vor Eduard in dieſem Lichte zu erſcheinen, brachte ſie zur Verzweiflung, ab- geſehen ſelbſt von der Trennung von dem Ge- liebten, die unvermeidlich wurde, wenn ſie ſich weigerte, Chriſtin zu werden. Sie ſchauderte, zwiſchen der Wahrheit und Reinhard wählen

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/30>, abgerufen am 26.04.2024.