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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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in jener Situation beobachten und sie falsch
beurtheilen können.

"Wie wir doch nach allen Seiten hin
auf Widersprüche in den Sitten unserer so-
genannten civilisirten Welt stoßen!" sagte Wal-
ter zu Herrn Meier, der indeß dazu gekommen
war. "Wäre eine der Dienerinnen des Hau-
ses der Unglücklichen begegnet, und hätte sich
ihrer angenommen, so würden wir das schön
und lobenswerth gefunden haben; und nun ta-
delt man Fräulein Jenny, daß sie nicht un-
barmherziger zu sein vermochte, als Jene, ob-
gleich der Dienst, den sie leistete, größer war,
denn er mußte ihr beschwerlicher scheinen."

"Sie billigen also die Handlung meiner
Tochter unbedingt?" fragte Herr Meier.

Walter stockte einen Augenblick und meinte
dann: "Wenigstens hätte ich selbst nicht anders
zu handeln vermocht."

"Aber Sie würden wünschen", sagte der

in jener Situation beobachten und ſie falſch
beurtheilen können.

„Wie wir doch nach allen Seiten hin
auf Widerſprüche in den Sitten unſerer ſo-
genannten civiliſirten Welt ſtoßen!“ ſagte Wal-
ter zu Herrn Meier, der indeß dazu gekommen
war. „Wäre eine der Dienerinnen des Hau-
ſes der Unglücklichen begegnet, und hätte ſich
ihrer angenommen, ſo würden wir das ſchön
und lobenswerth gefunden haben; und nun ta-
delt man Fräulein Jenny, daß ſie nicht un-
barmherziger zu ſein vermochte, als Jene, ob-
gleich der Dienſt, den ſie leiſtete, größer war,
denn er mußte ihr beſchwerlicher ſcheinen.“

„Sie billigen alſo die Handlung meiner
Tochter unbedingt?“ fragte Herr Meier.

Walter ſtockte einen Augenblick und meinte
dann: „Wenigſtens hätte ich ſelbſt nicht anders
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[186/0196] in jener Situation beobachten und ſie falſch beurtheilen können. „Wie wir doch nach allen Seiten hin auf Widerſprüche in den Sitten unſerer ſo- genannten civiliſirten Welt ſtoßen!“ ſagte Wal- ter zu Herrn Meier, der indeß dazu gekommen war. „Wäre eine der Dienerinnen des Hau- ſes der Unglücklichen begegnet, und hätte ſich ihrer angenommen, ſo würden wir das ſchön und lobenswerth gefunden haben; und nun ta- delt man Fräulein Jenny, daß ſie nicht un- barmherziger zu ſein vermochte, als Jene, ob- gleich der Dienſt, den ſie leiſtete, größer war, denn er mußte ihr beſchwerlicher ſcheinen.“ „Sie billigen alſo die Handlung meiner Tochter unbedingt?“ fragte Herr Meier. Walter ſtockte einen Augenblick und meinte dann: „Wenigſtens hätte ich ſelbſt nicht anders zu handeln vermocht.“ „Aber Sie würden wünſchen“, ſagte der

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/196>, abgerufen am 22.11.2024.