Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Glauben eine Proselytin zu gewinnen, diese
Schwäche lag ihm fern, und er ließ jeden
Glauben gelten, weil er Geltung für den seinen
verlangte. Nur einem dringenden Mangel in
dem Herzen seiner Schülerin hatte er abhelfen
wollen; er war überzeugt, daß der Glaube in
Jenny den geistigen Hochmuth zerstören, ihr
Wesen milder machen müsse, und war sehr er-
freut, wirklich diese Resultate zu erblicken, ohne
zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er
für das Werk der Religion gehalten, eine Folge
ihrer Liebe zu ihm sei. Jenny fühlte das Be-
dürfniß, an einen Gott zu glauben, der das
Gute jenseits lohne, weil ihr kein Erdenglück
für Reinhard ansreichend schien; sie wurde de-
müthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott,
sondern vor dem Geliebten, und der Gedanke,
ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder
durch den Tod aufhören, machte sie so un-
glücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unsterb-

Glauben eine Proſelytin zu gewinnen, dieſe
Schwäche lag ihm fern, und er ließ jeden
Glauben gelten, weil er Geltung für den ſeinen
verlangte. Nur einem dringenden Mangel in
dem Herzen ſeiner Schülerin hatte er abhelfen
wollen; er war überzeugt, daß der Glaube in
Jenny den geiſtigen Hochmuth zerſtören, ihr
Weſen milder machen müſſe, und war ſehr er-
freut, wirklich dieſe Reſultate zu erblicken, ohne
zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er
für das Werk der Religion gehalten, eine Folge
ihrer Liebe zu ihm ſei. Jenny fühlte das Be-
dürfniß, an einen Gott zu glauben, der das
Gute jenſeits lohne, weil ihr kein Erdenglück
für Reinhard ansreichend ſchien; ſie wurde de-
müthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott,
ſondern vor dem Geliebten, und der Gedanke,
ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder
durch den Tod aufhören, machte ſie ſo un-
glücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unſterb-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="70"/>
Glauben eine Pro&#x017F;elytin zu gewinnen, die&#x017F;e<lb/>
Schwäche lag ihm fern, und er ließ jeden<lb/>
Glauben gelten, weil er Geltung für den &#x017F;einen<lb/>
verlangte. Nur einem dringenden Mangel in<lb/>
dem Herzen &#x017F;einer Schülerin hatte er abhelfen<lb/>
wollen; er war überzeugt, daß der Glaube in<lb/>
Jenny den gei&#x017F;tigen Hochmuth zer&#x017F;tören, ihr<lb/>
We&#x017F;en milder machen mü&#x017F;&#x017F;e, und war &#x017F;ehr er-<lb/>
freut, wirklich die&#x017F;e Re&#x017F;ultate zu erblicken, ohne<lb/>
zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er<lb/>
für das Werk der Religion gehalten, eine Folge<lb/>
ihrer Liebe zu ihm &#x017F;ei. Jenny fühlte das Be-<lb/>
dürfniß, an einen Gott zu glauben, der das<lb/>
Gute jen&#x017F;eits lohne, weil ihr kein Erdenglück<lb/>
für Reinhard ansreichend &#x017F;chien; &#x017F;ie wurde de-<lb/>
müthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott,<lb/>
&#x017F;ondern vor dem Geliebten, und der Gedanke,<lb/>
ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder<lb/>
durch den Tod aufhören, machte &#x017F;ie &#x017F;o un-<lb/>
glücklich, daß ihr die Hoffnung auf Un&#x017F;terb-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0082] Glauben eine Proſelytin zu gewinnen, dieſe Schwäche lag ihm fern, und er ließ jeden Glauben gelten, weil er Geltung für den ſeinen verlangte. Nur einem dringenden Mangel in dem Herzen ſeiner Schülerin hatte er abhelfen wollen; er war überzeugt, daß der Glaube in Jenny den geiſtigen Hochmuth zerſtören, ihr Weſen milder machen müſſe, und war ſehr er- freut, wirklich dieſe Reſultate zu erblicken, ohne zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er für das Werk der Religion gehalten, eine Folge ihrer Liebe zu ihm ſei. Jenny fühlte das Be- dürfniß, an einen Gott zu glauben, der das Gute jenſeits lohne, weil ihr kein Erdenglück für Reinhard ansreichend ſchien; ſie wurde de- müthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott, ſondern vor dem Geliebten, und der Gedanke, ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder durch den Tod aufhören, machte ſie ſo un- glücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unſterb-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/82
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/82>, abgerufen am 27.04.2024.