Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Eltern in Jenny eine Herrschsucht, einen Eigen-
sinn entstehen gemacht hatten, dem bis jetzt
keine Schranke gesetzt worden war, als durch
seinen Vetter Joseph, der im Meierschen Hause
lebend, die Kleine mit seiner ernsten, rauhen
Art tadelte und zurechtwies. Dafür konnte
Jenny den Cousin schon damals nicht leiden,
und klagte dem Bruder unter vielen Thränen,
wie garstig Joseph sei, wie er ihr Alles zum
Trotze thäte, und wie sie hoffe, in Eduard
einen Beschützer gegen den bösen Cousin zu
finden.

Der junge Mann begriff bald, daß bei
Jenny mit Strenge nichts auszurichten sei und
machte sich in der ersten Zeit seiner Anwesenheit
selbst zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie be-
griff spielend, ja es schien oft, als läge das
Verständniß aller Dinge in ihr, und man dürfe
sie nur daran erinnern, um klar und deutlich
in ihr Kenntnisse hervorzurufen, die man ihr

Eltern in Jenny eine Herrſchſucht, einen Eigen-
ſinn entſtehen gemacht hatten, dem bis jetzt
keine Schranke geſetzt worden war, als durch
ſeinen Vetter Joſeph, der im Meierſchen Hauſe
lebend, die Kleine mit ſeiner ernſten, rauhen
Art tadelte und zurechtwies. Dafür konnte
Jenny den Couſin ſchon damals nicht leiden,
und klagte dem Bruder unter vielen Thränen,
wie garſtig Joſeph ſei, wie er ihr Alles zum
Trotze thäte, und wie ſie hoffe, in Eduard
einen Beſchützer gegen den böſen Couſin zu
finden.

Der junge Mann begriff bald, daß bei
Jenny mit Strenge nichts auszurichten ſei und
machte ſich in der erſten Zeit ſeiner Anweſenheit
ſelbſt zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie be-
griff ſpielend, ja es ſchien oft, als läge das
Verſtändniß aller Dinge in ihr, und man dürfe
ſie nur daran erinnern, um klar und deutlich
in ihr Kenntniſſe hervorzurufen, die man ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="54"/>
Eltern in Jenny eine Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht, einen Eigen-<lb/>
&#x017F;inn ent&#x017F;tehen gemacht hatten, dem bis jetzt<lb/>
keine Schranke ge&#x017F;etzt worden war, als durch<lb/>
&#x017F;einen Vetter Jo&#x017F;eph, der im Meier&#x017F;chen Hau&#x017F;e<lb/>
lebend, die Kleine mit &#x017F;einer ern&#x017F;ten, rauhen<lb/>
Art tadelte und zurechtwies. Dafür konnte<lb/>
Jenny den Cou&#x017F;in &#x017F;chon damals nicht leiden,<lb/>
und klagte dem Bruder unter vielen Thränen,<lb/>
wie gar&#x017F;tig Jo&#x017F;eph &#x017F;ei, wie er ihr Alles zum<lb/>
Trotze thäte, und wie &#x017F;ie hoffe, in Eduard<lb/>
einen Be&#x017F;chützer gegen den bö&#x017F;en Cou&#x017F;in zu<lb/>
finden.</p><lb/>
        <p>Der junge Mann begriff bald, daß bei<lb/>
Jenny mit Strenge nichts auszurichten &#x017F;ei und<lb/>
machte &#x017F;ich in der er&#x017F;ten Zeit &#x017F;einer Anwe&#x017F;enheit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie be-<lb/>
griff &#x017F;pielend, ja es &#x017F;chien oft, als läge das<lb/>
Ver&#x017F;tändniß aller Dinge in ihr, und man dürfe<lb/>
&#x017F;ie nur daran erinnern, um klar und deutlich<lb/>
in ihr Kenntni&#x017F;&#x017F;e hervorzurufen, die man ihr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0066] Eltern in Jenny eine Herrſchſucht, einen Eigen- ſinn entſtehen gemacht hatten, dem bis jetzt keine Schranke geſetzt worden war, als durch ſeinen Vetter Joſeph, der im Meierſchen Hauſe lebend, die Kleine mit ſeiner ernſten, rauhen Art tadelte und zurechtwies. Dafür konnte Jenny den Couſin ſchon damals nicht leiden, und klagte dem Bruder unter vielen Thränen, wie garſtig Joſeph ſei, wie er ihr Alles zum Trotze thäte, und wie ſie hoffe, in Eduard einen Beſchützer gegen den böſen Couſin zu finden. Der junge Mann begriff bald, daß bei Jenny mit Strenge nichts auszurichten ſei und machte ſich in der erſten Zeit ſeiner Anweſenheit ſelbſt zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie be- griff ſpielend, ja es ſchien oft, als läge das Verſtändniß aller Dinge in ihr, und man dürfe ſie nur daran erinnern, um klar und deutlich in ihr Kenntniſſe hervorzurufen, die man ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/66
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/66>, abgerufen am 24.11.2024.