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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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man ihm schändlich vorenthält. Wer darf mehr
verlangen, frei und den Besten gleichgestellt zu
sein, als er! Und kannst Du ihn tadeln, daß
er in jedem Augenblicke das Unrecht fühlt, wel-
ches ihm geschieht? daß er den Gedanken aus-
spricht, der zum Grundton seines Wesens ge-
worden? Athmen und frei sein mit seinem
Volke, das ist ihm gleichbedeutend; er kann
und will nicht schweigen von Dem, was allein
ihm Werth hat. Jeder Mann von Ehre müßte
so handeln; ich begreife das vollkommen!"

"So scheint es", sagte William etwas spöt-
tisch, "und es ist nur zu bedauern, daß die
Juden nicht viele solch eifrige Vertheidiger fin-
den, als meine schöne Cousine, die ich von ih-
ren Meditationen über die Emancipation der
Juden nicht länger abhalten will."

Und verstimmt hatten sich die drei Menschen
getrennt, die vor einer Stunde im Gefühl des
reinsten Glückes beisammen gewesen waren.



man ihm ſchändlich vorenthält. Wer darf mehr
verlangen, frei und den Beſten gleichgeſtellt zu
ſein, als er! Und kannſt Du ihn tadeln, daß
er in jedem Augenblicke das Unrecht fühlt, wel-
ches ihm geſchieht? daß er den Gedanken aus-
ſpricht, der zum Grundton ſeines Weſens ge-
worden? Athmen und frei ſein mit ſeinem
Volke, das iſt ihm gleichbedeutend; er kann
und will nicht ſchweigen von Dem, was allein
ihm Werth hat. Jeder Mann von Ehre müßte
ſo handeln; ich begreife das vollkommen!“

„So ſcheint es“, ſagte William etwas ſpöt-
tiſch, „und es iſt nur zu bedauern, daß die
Juden nicht viele ſolch eifrige Vertheidiger fin-
den, als meine ſchöne Couſine, die ich von ih-
ren Meditationen über die Emancipation der
Juden nicht länger abhalten will.“

Und verſtimmt hatten ſich die drei Menſchen
getrennt, die vor einer Stunde im Gefühl des
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[213/0225] man ihm ſchändlich vorenthält. Wer darf mehr verlangen, frei und den Beſten gleichgeſtellt zu ſein, als er! Und kannſt Du ihn tadeln, daß er in jedem Augenblicke das Unrecht fühlt, wel- ches ihm geſchieht? daß er den Gedanken aus- ſpricht, der zum Grundton ſeines Weſens ge- worden? Athmen und frei ſein mit ſeinem Volke, das iſt ihm gleichbedeutend; er kann und will nicht ſchweigen von Dem, was allein ihm Werth hat. Jeder Mann von Ehre müßte ſo handeln; ich begreife das vollkommen!“ „So ſcheint es“, ſagte William etwas ſpöt- tiſch, „und es iſt nur zu bedauern, daß die Juden nicht viele ſolch eifrige Vertheidiger fin- den, als meine ſchöne Couſine, die ich von ih- ren Meditationen über die Emancipation der Juden nicht länger abhalten will.“ Und verſtimmt hatten ſich die drei Menſchen getrennt, die vor einer Stunde im Gefühl des reinſten Glückes beiſammen geweſen waren.

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/225>, abgerufen am 22.11.2024.