Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu
glauben, dieses Bild sei Wahrheit?"

"O Gott! nicht weiter", rief Jenny wei-
nend aus, "nicht weiter! guter, bester Joseph!
ich bin grenzenlos unglücklich!"

"Doch! mein liebes Kind! denn wie ein
theures Kind liebe ich Dich", sagte Joseph mit
bebender Stimme, "doch! -- Du mußt mit Dir
selbst einig werden. Du weißt, das viele Spre-
chen ist nicht meine Sache; um Dich aber auf-
zuklären über Dich selbst, müssen wir aufrichtig
sprechen. Den Glauben an Gott, die Lehren,
recht zu thun und dem Nächsten zu dienen, ent-
hält das alte Testament, und Du findest sie
veredelt und einer höhern geistigen Entwickelung
entsprechend im neuen Testamente wieder, und
Mahomet und Zoroaster lehrten sie -- denn sie
sind begründet in unserer Seele, die uns Gott
gegeben. Darüber hinaus ist alles Menschen-
satzung; und Du, großgezogen im Skepticismus

geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu
glauben, dieſes Bild ſei Wahrheit?“

„O Gott! nicht weiter“, rief Jenny wei-
nend aus, „nicht weiter! guter, beſter Joſeph!
ich bin grenzenlos unglücklich!“

„Doch! mein liebes Kind! denn wie ein
theures Kind liebe ich Dich“, ſagte Joſeph mit
bebender Stimme, „doch! — Du mußt mit Dir
ſelbſt einig werden. Du weißt, das viele Spre-
chen iſt nicht meine Sache; um Dich aber auf-
zuklären über Dich ſelbſt, müſſen wir aufrichtig
ſprechen. Den Glauben an Gott, die Lehren,
recht zu thun und dem Nächſten zu dienen, ent-
hält das alte Teſtament, und Du findeſt ſie
veredelt und einer höhern geiſtigen Entwickelung
entſprechend im neuen Teſtamente wieder, und
Mahomet und Zoroaſter lehrten ſie — denn ſie
ſind begründet in unſerer Seele, die uns Gott
gegeben. Darüber hinaus iſt alles Menſchen-
ſatzung; und Du, großgezogen im Skepticismus

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="166"/>
geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu<lb/>
glauben, die&#x017F;es Bild &#x017F;ei Wahrheit?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O Gott! nicht weiter&#x201C;, rief Jenny wei-<lb/>
nend aus, &#x201E;nicht weiter! guter, be&#x017F;ter Jo&#x017F;eph!<lb/>
ich bin grenzenlos unglücklich!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Doch! mein liebes Kind! denn wie ein<lb/>
theures Kind liebe ich Dich&#x201C;, &#x017F;agte Jo&#x017F;eph mit<lb/>
bebender Stimme, &#x201E;doch! &#x2014; Du mußt mit Dir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t einig werden. Du weißt, das viele Spre-<lb/>
chen i&#x017F;t nicht meine Sache; um Dich aber auf-<lb/>
zuklären über Dich &#x017F;elb&#x017F;t, mü&#x017F;&#x017F;en wir aufrichtig<lb/>
&#x017F;prechen. Den Glauben an Gott, die Lehren,<lb/>
recht zu thun und dem Näch&#x017F;ten zu dienen, ent-<lb/>
hält das alte Te&#x017F;tament, und Du finde&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
veredelt und einer höhern gei&#x017F;tigen Entwickelung<lb/>
ent&#x017F;prechend im neuen Te&#x017F;tamente wieder, und<lb/>
Mahomet und Zoroa&#x017F;ter lehrten &#x017F;ie &#x2014; denn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind begründet in un&#x017F;erer Seele, die uns Gott<lb/>
gegeben. Darüber hinaus i&#x017F;t alles Men&#x017F;chen-<lb/>
&#x017F;atzung; und Du, großgezogen im Skepticismus<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0178] geben, aber wer gibt Dir die Fähigkeit zu glauben, dieſes Bild ſei Wahrheit?“ „O Gott! nicht weiter“, rief Jenny wei- nend aus, „nicht weiter! guter, beſter Joſeph! ich bin grenzenlos unglücklich!“ „Doch! mein liebes Kind! denn wie ein theures Kind liebe ich Dich“, ſagte Joſeph mit bebender Stimme, „doch! — Du mußt mit Dir ſelbſt einig werden. Du weißt, das viele Spre- chen iſt nicht meine Sache; um Dich aber auf- zuklären über Dich ſelbſt, müſſen wir aufrichtig ſprechen. Den Glauben an Gott, die Lehren, recht zu thun und dem Nächſten zu dienen, ent- hält das alte Teſtament, und Du findeſt ſie veredelt und einer höhern geiſtigen Entwickelung entſprechend im neuen Teſtamente wieder, und Mahomet und Zoroaſter lehrten ſie — denn ſie ſind begründet in unſerer Seele, die uns Gott gegeben. Darüber hinaus iſt alles Menſchen- ſatzung; und Du, großgezogen im Skepticismus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/178
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/178>, abgerufen am 28.04.2024.