Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

liebsten, wenn die Leute von Anfang an lernen, sich selber fortzubringen."

Solcher Fälle sind mir verschiedene vorgekommen. Ein anderer hierhergehöriger begegnete mir, ehe wir im Spätsommer von 1866 Berlin verließen. Wir hatten dort einen jungen und sehr tüchtigen Buchbinder; er war armer Leute verwaistes Kind, eine wohlhabende Familie im Halberstädtschen hatte ihn erzogen und das Buchbindergewerbe lernen lassen. Als er von seinen Wanderschaften nach Berlin zurückkehrte, um sich dort niederzulassen, fand er seine Pflegeschwester, die wohl fünfzehn Jahre älter sein mochte als er, mit ihren zwei Töchterchen in großer Noth. Sie war in der Scheidung von ihrem Manne, der sich im hohen Grade dem Trunke ergeben hatte, und da sie kränklich war, konnte sie sich und die Kinder nicht ernähren. Der junge Buchbinder war also rasch entschlossen. "Ihr habt mir geholfen, nun werde ich Euch helfen!" sagte er. Die Mutter und die Kinder zogen denn gleich mit ihm zusammen, als er sich etablirte, und die Frau erlernte von ihm die Arbeit, die sonst die Lehrburschen verrichten. Bald konnte auch das älteste sehr geschickte Mädchen in die Lehre genommen werden, und in den Stunden, in denen es nicht in der Schule war, dem jungen Meister zur Hand sein. Das Gewerbe ging sehr gut vorwärts, der junge Mann war ein Muster von Fleiß, er beschäftigte bald mehrere Gesellen und Burschen. Da brach der Krieg von sechsundsechszig aus, er

liebsten, wenn die Leute von Anfang an lernen, sich selber fortzubringen.«

Solcher Fälle sind mir verschiedene vorgekommen. Ein anderer hierhergehöriger begegnete mir, ehe wir im Spätsommer von 1866 Berlin verließen. Wir hatten dort einen jungen und sehr tüchtigen Buchbinder; er war armer Leute verwaistes Kind, eine wohlhabende Familie im Halberstädtschen hatte ihn erzogen und das Buchbindergewerbe lernen lassen. Als er von seinen Wanderschaften nach Berlin zurückkehrte, um sich dort niederzulassen, fand er seine Pflegeschwester, die wohl fünfzehn Jahre älter sein mochte als er, mit ihren zwei Töchterchen in großer Noth. Sie war in der Scheidung von ihrem Manne, der sich im hohen Grade dem Trunke ergeben hatte, und da sie kränklich war, konnte sie sich und die Kinder nicht ernähren. Der junge Buchbinder war also rasch entschlossen. »Ihr habt mir geholfen, nun werde ich Euch helfen!« sagte er. Die Mutter und die Kinder zogen denn gleich mit ihm zusammen, als er sich etablirte, und die Frau erlernte von ihm die Arbeit, die sonst die Lehrburschen verrichten. Bald konnte auch das älteste sehr geschickte Mädchen in die Lehre genommen werden, und in den Stunden, in denen es nicht in der Schule war, dem jungen Meister zur Hand sein. Das Gewerbe ging sehr gut vorwärts, der junge Mann war ein Muster von Fleiß, er beschäftigte bald mehrere Gesellen und Burschen. Da brach der Krieg von sechsundsechszig aus, er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="34"/>
liebsten, wenn die Leute von Anfang an lernen, sich selber fortzubringen.«</p>
        <p>Solcher Fälle sind mir verschiedene vorgekommen. Ein anderer hierhergehöriger begegnete mir, ehe wir im Spätsommer von 1866 Berlin verließen. Wir hatten dort einen jungen und sehr tüchtigen Buchbinder; er war armer Leute verwaistes Kind, eine wohlhabende Familie im Halberstädtschen hatte ihn erzogen und das Buchbindergewerbe lernen lassen. Als er von seinen Wanderschaften nach Berlin zurückkehrte, um sich dort niederzulassen, fand er seine Pflegeschwester, die wohl fünfzehn Jahre älter sein mochte als er, mit ihren zwei Töchterchen in großer Noth. Sie war in der Scheidung von ihrem Manne, der sich im hohen Grade dem Trunke ergeben hatte, und da sie kränklich war, konnte sie sich und die Kinder nicht ernähren. Der junge Buchbinder war also rasch entschlossen. »Ihr habt mir geholfen, nun werde ich Euch helfen!« sagte er. Die Mutter und die Kinder zogen denn gleich mit ihm zusammen, als er sich etablirte, und die Frau erlernte von ihm die Arbeit, die sonst die Lehrburschen verrichten. Bald konnte auch das älteste sehr geschickte Mädchen in die Lehre genommen werden, und in den Stunden, in denen es nicht in der Schule war, dem jungen Meister zur Hand sein. Das Gewerbe ging sehr gut vorwärts, der junge Mann war ein Muster von Fleiß, er beschäftigte bald mehrere Gesellen und Burschen. Da brach der Krieg von sechsundsechszig aus, er
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0044] liebsten, wenn die Leute von Anfang an lernen, sich selber fortzubringen.« Solcher Fälle sind mir verschiedene vorgekommen. Ein anderer hierhergehöriger begegnete mir, ehe wir im Spätsommer von 1866 Berlin verließen. Wir hatten dort einen jungen und sehr tüchtigen Buchbinder; er war armer Leute verwaistes Kind, eine wohlhabende Familie im Halberstädtschen hatte ihn erzogen und das Buchbindergewerbe lernen lassen. Als er von seinen Wanderschaften nach Berlin zurückkehrte, um sich dort niederzulassen, fand er seine Pflegeschwester, die wohl fünfzehn Jahre älter sein mochte als er, mit ihren zwei Töchterchen in großer Noth. Sie war in der Scheidung von ihrem Manne, der sich im hohen Grade dem Trunke ergeben hatte, und da sie kränklich war, konnte sie sich und die Kinder nicht ernähren. Der junge Buchbinder war also rasch entschlossen. »Ihr habt mir geholfen, nun werde ich Euch helfen!« sagte er. Die Mutter und die Kinder zogen denn gleich mit ihm zusammen, als er sich etablirte, und die Frau erlernte von ihm die Arbeit, die sonst die Lehrburschen verrichten. Bald konnte auch das älteste sehr geschickte Mädchen in die Lehre genommen werden, und in den Stunden, in denen es nicht in der Schule war, dem jungen Meister zur Hand sein. Das Gewerbe ging sehr gut vorwärts, der junge Mann war ein Muster von Fleiß, er beschäftigte bald mehrere Gesellen und Burschen. Da brach der Krieg von sechsundsechszig aus, er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax von zeno.org (2013-01-04T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus zeno.org entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/44
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/44>, abgerufen am 03.12.2024.