Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

stehen große Namen, große Staatsmänner an ihrer Spitze.

Die jetzige staatliche und gesellschaftliche Stellung der Frauen ist aber auch eine wahre Musterkarte von Widersprüchen. Es wird zugegeben, daß die körperliche und geistige Entwickelung -- ich brauche diese Bezeichnung, weil sie der Mehrzahl der Menschen die geläufigste ist -- der Frauen eine schnellere ist, als die der Männer. Tritt nun das sehr unzulänglich unterrichtete Mädchen mit sechszehn Jahren in die Gesellschaft ein, so ist es mit einem Male in einer Weise emancipirt, von der für den gleichaltrigen, besser unterrichteten jungen Menschen keine Rede ist. Es spricht mit über Alles und Jedes; und weil der Mund frisch ist, mit dem es seine Nichtigkeiten sagt, und die Zähne weiß sind, die es zeigt, wenn es endlich einmal gezwungen wird, seine eigenen Dummheiten zu belachen, so lassen die Männer sich diese Albernheiten wie die Zudringlichkeiten eines kleinen Hundes mit spielendem Leichtsinne und aus Geringschätzung gefallen, ohne zu bedenken, daß sie damit die schlimmsten Fehler in dem Charakter der Frauen groß ziehen: die Selbstüberschätzung und die Nichtachtung vor der Bedeutung und dem besseren Wissen der bestunterrichteten Männer. Ich habe einmal dabei gesessen, als ein neunzehnjähriges Mädchen seine Ansicht über Goethe und die Goethe'schen Romane mit großer Entschiedenheit geltend zu machen suchte, während Heinrich Simon, Adolf Stahr und

stehen große Namen, große Staatsmänner an ihrer Spitze.

Die jetzige staatliche und gesellschaftliche Stellung der Frauen ist aber auch eine wahre Musterkarte von Widersprüchen. Es wird zugegeben, daß die körperliche und geistige Entwickelung — ich brauche diese Bezeichnung, weil sie der Mehrzahl der Menschen die geläufigste ist — der Frauen eine schnellere ist, als die der Männer. Tritt nun das sehr unzulänglich unterrichtete Mädchen mit sechszehn Jahren in die Gesellschaft ein, so ist es mit einem Male in einer Weise emancipirt, von der für den gleichaltrigen, besser unterrichteten jungen Menschen keine Rede ist. Es spricht mit über Alles und Jedes; und weil der Mund frisch ist, mit dem es seine Nichtigkeiten sagt, und die Zähne weiß sind, die es zeigt, wenn es endlich einmal gezwungen wird, seine eigenen Dummheiten zu belachen, so lassen die Männer sich diese Albernheiten wie die Zudringlichkeiten eines kleinen Hundes mit spielendem Leichtsinne und aus Geringschätzung gefallen, ohne zu bedenken, daß sie damit die schlimmsten Fehler in dem Charakter der Frauen groß ziehen: die Selbstüberschätzung und die Nichtachtung vor der Bedeutung und dem besseren Wissen der bestunterrichteten Männer. Ich habe einmal dabei gesessen, als ein neunzehnjähriges Mädchen seine Ansicht über Goethe und die Goethe'schen Romane mit großer Entschiedenheit geltend zu machen suchte, während Heinrich Simon, Adolf Stahr und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0150" n="140"/>
stehen große Namen, große Staatsmänner an ihrer Spitze.</p>
        <p>Die jetzige staatliche und gesellschaftliche Stellung der Frauen ist aber auch eine wahre Musterkarte von Widersprüchen. Es wird zugegeben, daß die körperliche und geistige Entwickelung &#x2014; ich brauche diese Bezeichnung, weil sie der Mehrzahl der Menschen die geläufigste ist &#x2014; der Frauen eine schnellere ist, als die der Männer. Tritt nun das sehr unzulänglich unterrichtete Mädchen mit sechszehn Jahren in die Gesellschaft ein, so ist es mit einem Male in einer Weise emancipirt, von der für den gleichaltrigen, besser unterrichteten jungen Menschen keine Rede ist. Es spricht mit über Alles und Jedes; und weil der Mund frisch ist, mit dem es seine Nichtigkeiten sagt, und die Zähne weiß sind, die es zeigt, wenn es endlich einmal gezwungen wird, seine eigenen Dummheiten zu belachen, so lassen die Männer sich diese Albernheiten wie die Zudringlichkeiten eines kleinen Hundes mit spielendem Leichtsinne und aus Geringschätzung gefallen, ohne zu bedenken, daß sie damit die schlimmsten Fehler in dem Charakter der Frauen groß ziehen: die Selbstüberschätzung und die Nichtachtung vor der Bedeutung und dem besseren Wissen der bestunterrichteten Männer. Ich habe einmal dabei gesessen, als ein neunzehnjähriges Mädchen seine Ansicht über Goethe und die Goethe'schen Romane mit großer Entschiedenheit geltend zu machen suchte, während Heinrich Simon, Adolf Stahr und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0150] stehen große Namen, große Staatsmänner an ihrer Spitze. Die jetzige staatliche und gesellschaftliche Stellung der Frauen ist aber auch eine wahre Musterkarte von Widersprüchen. Es wird zugegeben, daß die körperliche und geistige Entwickelung — ich brauche diese Bezeichnung, weil sie der Mehrzahl der Menschen die geläufigste ist — der Frauen eine schnellere ist, als die der Männer. Tritt nun das sehr unzulänglich unterrichtete Mädchen mit sechszehn Jahren in die Gesellschaft ein, so ist es mit einem Male in einer Weise emancipirt, von der für den gleichaltrigen, besser unterrichteten jungen Menschen keine Rede ist. Es spricht mit über Alles und Jedes; und weil der Mund frisch ist, mit dem es seine Nichtigkeiten sagt, und die Zähne weiß sind, die es zeigt, wenn es endlich einmal gezwungen wird, seine eigenen Dummheiten zu belachen, so lassen die Männer sich diese Albernheiten wie die Zudringlichkeiten eines kleinen Hundes mit spielendem Leichtsinne und aus Geringschätzung gefallen, ohne zu bedenken, daß sie damit die schlimmsten Fehler in dem Charakter der Frauen groß ziehen: die Selbstüberschätzung und die Nichtachtung vor der Bedeutung und dem besseren Wissen der bestunterrichteten Männer. Ich habe einmal dabei gesessen, als ein neunzehnjähriges Mädchen seine Ansicht über Goethe und die Goethe'schen Romane mit großer Entschiedenheit geltend zu machen suchte, während Heinrich Simon, Adolf Stahr und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax von zeno.org (2013-01-04T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus zeno.org entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Wird ein Wort durch einen Seitenumbruch getrennt, so wird es vollständig auf der vorhergehenden Seite übernommen.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/150
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/150>, abgerufen am 04.05.2024.