Lewald, Fanny: Adele. 2. Ausg. Berlin, 1864.er war kurzsichtig geworden. Es dauerte eine Weile, ehe er seine Brille fand und aufsetzte, und da er mit Niemand sprach, den er nicht deutlich sehen konnte, ließ er Adele ruhig warten. Es kam ihr lange vor, denn sie war viel umhergegangen und war müde. Endlich, als die Brille ihm bequem auf seiner Nase saß, trat er ihr ein Paar Schritte entgegen und gab ihr seine Hand. "Willkommen in Berlin!" sagte er freundlich, indem er sie zum Sitzen nöthigte, "obschon ich weiß, daß nichts Gutes Sie hierher geführt hat. Sie sind in Trauer, Ihr Herr Vater ist todt, es ist zum Konkurse gekommen, ich hab's auch zu empfinden gehabt! Und nun will der junge Mensch den alten Kredit eröffnet haben. Hat er denn selber Etwas?" Adele sagte, daß Samuel ohne Vermögen sei, und rühmte mit Wärme seinen Charakter. "Er heißt ja auch Willmar! Es ist ein naher Verwandter! Er ist noch jung!" fuhr der Buchhändler er war kurzsichtig geworden. Es dauerte eine Weile, ehe er seine Brille fand und aufsetzte, und da er mit Niemand sprach, den er nicht deutlich sehen konnte, ließ er Adele ruhig warten. Es kam ihr lange vor, denn sie war viel umhergegangen und war müde. Endlich, als die Brille ihm bequem auf seiner Nase saß, trat er ihr ein Paar Schritte entgegen und gab ihr seine Hand. “Willkommen in Berlin!” sagte er freundlich, indem er sie zum Sitzen nöthigte, “obschon ich weiß, daß nichts Gutes Sie hierher geführt hat. Sie sind in Trauer, Ihr Herr Vater ist todt, es ist zum Konkurse gekommen, ich hab’s auch zu empfinden gehabt! Und nun will der junge Mensch den alten Kredit eröffnet haben. Hat er denn selber Etwas?” Adele sagte, daß Samuel ohne Vermögen sei, und rühmte mit Wärme seinen Charakter. “Er heißt ja auch Willmar! Es ist ein naher Verwandter! Er ist noch jung!” fuhr der Buchhändler <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="162"/> er war kurzsichtig geworden. Es dauerte eine Weile, ehe er seine Brille fand und aufsetzte, und da er mit Niemand sprach, den er nicht deutlich sehen konnte, ließ er Adele ruhig warten. Es kam ihr lange vor, denn sie war viel umhergegangen und war müde. Endlich, als die Brille ihm bequem auf seiner Nase saß, trat er ihr ein Paar Schritte entgegen und gab ihr seine Hand.</p> <p> “Willkommen in Berlin!” sagte er freundlich, indem er sie zum Sitzen nöthigte, “obschon ich weiß, daß nichts Gutes Sie hierher geführt hat. Sie sind in Trauer, Ihr Herr Vater ist todt, es ist zum Konkurse gekommen, ich hab’s auch zu empfinden gehabt! Und nun will der junge Mensch den alten Kredit eröffnet haben. Hat er denn selber Etwas?”</p> <p> Adele sagte, daß Samuel ohne Vermögen sei, und rühmte mit Wärme seinen Charakter.</p> <p> “Er heißt ja auch Willmar! Es ist ein naher Verwandter! Er ist noch jung!” fuhr der Buchhändler </p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0172]
er war kurzsichtig geworden. Es dauerte eine Weile, ehe er seine Brille fand und aufsetzte, und da er mit Niemand sprach, den er nicht deutlich sehen konnte, ließ er Adele ruhig warten. Es kam ihr lange vor, denn sie war viel umhergegangen und war müde. Endlich, als die Brille ihm bequem auf seiner Nase saß, trat er ihr ein Paar Schritte entgegen und gab ihr seine Hand.
“Willkommen in Berlin!” sagte er freundlich, indem er sie zum Sitzen nöthigte, “obschon ich weiß, daß nichts Gutes Sie hierher geführt hat. Sie sind in Trauer, Ihr Herr Vater ist todt, es ist zum Konkurse gekommen, ich hab’s auch zu empfinden gehabt! Und nun will der junge Mensch den alten Kredit eröffnet haben. Hat er denn selber Etwas?”
Adele sagte, daß Samuel ohne Vermögen sei, und rühmte mit Wärme seinen Charakter.
“Er heißt ja auch Willmar! Es ist ein naher Verwandter! Er ist noch jung!” fuhr der Buchhändler
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