[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.Geschichte des dritten Bischof Alberts, vier und zwanzigstes Jahr, §. 6. 1221Nach diesem gingen eben diese Saccalaner nach Gerwen, und griffen §. 7. Nach Volziehung einer so abscheulichen, verfluchten und treulosen That, sand- §. 8. Sie riefen aber die Russen, sowol von Nogardien als von Plescekowe, b) Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) gesaget. Die Sagä (fabelhaften Erzählun- gen) der mitternächtigen Völker ermangeln des nöthigen Lichts aus der Zeitrechnung, weil sie das, was niemals *) geschehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterscheiden *) Quia quae nunquam contigere, sol vielleicht heissen, quae vnquam, was sich nur irgend zugetragen,
konten sie die Zeit noch nicht bestimmen. Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, vier und zwanzigſtes Jahr, §. 6. 1221Nach dieſem gingen eben dieſe Saccalaner nach Gerwen, und griffen §. 7. Nach Volziehung einer ſo abſcheulichen, verfluchten und treuloſen That, ſand- §. 8. Sie riefen aber die Ruſſen, ſowol von Nogardien als von Pleſcekowe, b) Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) geſaget. Die Sagaͤ (fabelhaften Erzaͤhlun- gen) der mitternaͤchtigen Voͤlker ermangeln des noͤthigen Lichts aus der Zeitrechnung, weil ſie das, was niemals *) geſchehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterſcheiden *) Quia quæ nunquam contigere, ſol vielleicht heiſſen, quæ vnquam, was ſich nur irgend zugetragen,
konten ſie die Zeit noch nicht beſtimmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0214" n="182"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, vier und zwanzigſtes Jahr,</hi> </fw><lb/> <div n="4"> <head>§. 6.</head><lb/> <note place="left">1221</note> <p>Nach dieſem gingen eben dieſe <hi rendition="#fr">Saccalaner</hi> nach <hi rendition="#fr">Gerwen,</hi> und griffen<lb/> daſelbſt einen <hi rendition="#fr">Daͤnen, Hebbe,</hi> der ihr Advocat war; den fuͤhrten ſie mit den<lb/> andern <hi rendition="#fr">Daͤnen</hi> in ihr Schloß, und quaͤlten ihn und die andern mit einer grauſa-<lb/> men Marter zu Tode. Sie zerfleiſchten ihnen die Gedaͤrme, riſſen des <hi rendition="#fr">Hebbe</hi><lb/> Herze lebendig aus dem Leibe heraus, brateten es am Feuer, theilten es unter<lb/> ſich, fraſſens auf, um gegen die <hi rendition="#fr">Chriſten</hi> ſtark zu werden, und warfen ihre Lei-<lb/> ber den Hunden und Voͤgeln des Himmels zu zerreiſſen vor.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 7.</head><lb/> <p>Nach Volziehung einer ſo abſcheulichen, verfluchten und treuloſen That, ſand-<lb/> ten die Schloßaͤlteſten von <hi rendition="#fr">Viliende</hi> denſelben Tag nach <hi rendition="#fr">Odempe,</hi> und riethen<lb/> den Einwohnern, es eben ſo wie ſie, zu machen. Sie uͤberſchickten auch denen in<lb/><hi rendition="#fr">Tharbat</hi> die blutigen Schwerdter, womit ſie die <hi rendition="#fr">Deutſchen</hi> ermordet, nebſt<lb/> ihren Pferden und Kleidern zum Zeichen. 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Zu der Zeit befand ſich<lb/> eben in <hi rendition="#fr">Tharbat</hi> bey den Ordensbruͤdern ihr Mitbruder, der Prieſter <hi rendition="#fr">Hard-<lb/> wich,</hi> den ſie auf den beſten Maſtochſen ſetzten, weil er ſelbſt eben ſo dicke war.<lb/> Sie fuͤhrten ihn zum Schloſſe heraus, und erkundigten ſich durchs Loos um den<lb/> Willen ihrer Goͤtter, wen ſie von beyden, den Prieſter oder den Ochſen<lb/> zum Opfer erwaͤhlen ſolten. Das Loos fiel auf den Ochſen, und er<lb/> ward den Augenblick geopfert. Den Prieſter aber erhielten ſie nach dem Willen<lb/> ihrer Goͤtzen am Leben, auſſer daß er eine groſſe Wunde bekam, die nachher ihm<lb/> wieder zugeheilet worden. Alsdenn breitete ſich die Nachricht durch ganz <hi rendition="#fr">Eſth-<lb/> land</hi> und <hi rendition="#fr">Oeſel</hi> aus, daß ſie auf die <hi rendition="#fr">Daͤnen</hi> und <hi rendition="#fr">Deutſchen</hi> losſchlagen ſol-<lb/> ten. 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Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, vier und zwanzigſtes Jahr,
§. 6.
Nach dieſem gingen eben dieſe Saccalaner nach Gerwen, und griffen
daſelbſt einen Daͤnen, Hebbe, der ihr Advocat war; den fuͤhrten ſie mit den
andern Daͤnen in ihr Schloß, und quaͤlten ihn und die andern mit einer grauſa-
men Marter zu Tode. Sie zerfleiſchten ihnen die Gedaͤrme, riſſen des Hebbe
Herze lebendig aus dem Leibe heraus, brateten es am Feuer, theilten es unter
ſich, fraſſens auf, um gegen die Chriſten ſtark zu werden, und warfen ihre Lei-
ber den Hunden und Voͤgeln des Himmels zu zerreiſſen vor.
§. 7.
Nach Volziehung einer ſo abſcheulichen, verfluchten und treuloſen That, ſand-
ten die Schloßaͤlteſten von Viliende denſelben Tag nach Odempe, und riethen
den Einwohnern, es eben ſo wie ſie, zu machen. Sie uͤberſchickten auch denen in
Tharbat die blutigen Schwerdter, womit ſie die Deutſchen ermordet, nebſt
ihren Pferden und Kleidern zum Zeichen. Dieſe nahmen das Wort mit Freuden
auf, uͤberfielen die Bruͤder von der Ritterſchaft, bunden ſie, und ſchlugen ihren
geweſenen Advocaten, Johannes, und alle deren Knechte todt. Sie erſchlugen
auch viel Kaufleute, die uͤbrigen aber machten ſich aus dem Staube und verſteckten
ſich, welche ſie nachher doch in die Eiſen legten. Sie raubten auch den Ordens-
bruͤdern und andern Deutſchen und Kaufleuten alle ihr Vermoͤgen, theilten es
unter ſich, und lieſſen die Leiber der Getoͤdteten auf den Feldern unbeerdiget lie-
gen, deren Seelen in Chriſto in Friede ruhen muͤſſen. Zu der Zeit befand ſich
eben in Tharbat bey den Ordensbruͤdern ihr Mitbruder, der Prieſter Hard-
wich, den ſie auf den beſten Maſtochſen ſetzten, weil er ſelbſt eben ſo dicke war.
Sie fuͤhrten ihn zum Schloſſe heraus, und erkundigten ſich durchs Loos um den
Willen ihrer Goͤtter, wen ſie von beyden, den Prieſter oder den Ochſen
zum Opfer erwaͤhlen ſolten. Das Loos fiel auf den Ochſen, und er
ward den Augenblick geopfert. Den Prieſter aber erhielten ſie nach dem Willen
ihrer Goͤtzen am Leben, auſſer daß er eine groſſe Wunde bekam, die nachher ihm
wieder zugeheilet worden. Alsdenn breitete ſich die Nachricht durch ganz Eſth-
land und Oeſel aus, daß ſie auf die Daͤnen und Deutſchen losſchlagen ſol-
ten. Sie verbanneten alſo den Chriſtlichen Namen aus allen ihren Grenzen.
§. 8.
Sie riefen aber die Ruſſen, ſowol von Nogardien als von Pleſcekowe,
zu Huͤlfe, machten Friede mit ihnen, und verlegten einige derſelben nach Thar-
bat; etliche nach Viliende, andere in andere Schloͤſſer, damit ſie gegen die
Deutſchen, Lateiner und alle Chriſten ſtreiten ſolten, theilten Pferde und
Geld mit ihnen, und alles Vermoͤgen der Ordensbruͤder und Kaufleute, und al-
les was ſie geraubet hatten; beveſtigten auch ihre Schloͤſſer ungemein ſtark. Sie
baueten in allen Schloͤſſern Patherellen, lehrten ſich die Steinſchleuderkunſt unter
einander ſelbſt, theilten auch die vielen von den Bruͤdern geraubten Steinſchleude-
rer unter ſich. Sie nahmen auſſerdem ihre Weiber wieder an, die ſie zur Zeit ih-
res Chriſtenthums verſtoſſen; die Leiber ihrer Verſtorbenen, die ſie auf dem
Kirchhof verſcharret, gruben ſie auf, und verbranten ſie nach der alten heidni-
ſchen Manier
b⁾
, wuſchen ſich, ihre Haͤuſer und Schloͤſſer mit Waſſer ab, fegten
ſie mit Beſemen und bemuͤheten ſich auf die Art das Sacrament der heiligen Taufe
von ihren Grenzen gaͤnzlich wieder auszutilgen.
b⁾ Siehe, was wir beym Jahr 1207 not. g) geſaget. Die Sagaͤ (fabelhaften Erzaͤhlun-
gen) der mitternaͤchtigen Voͤlker ermangeln des noͤthigen Lichts aus der Zeitrechnung,
weil ſie das, was niemals *) geſchehen, zu keiner Zeit bringen konten; doch unterſcheiden
ſie
*) Quia quæ nunquam contigere, ſol vielleicht heiſſen, quæ vnquam, was ſich nur irgend zugetragen,
konten ſie die Zeit noch nicht beſtimmen.
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