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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1219 bis 1220.
§. 5.

Mitler Zeit, da die andern um die Beherschung der Länder sich zankten, ging1219
der Priester der Letten von der Ymera zum andernmal nach Esthland, nahm
einen andern Priester, Dietrich, mit sich, der nur neulich ordiniret war, gin-
gen durch Saccala, kamen an die Pale, fingen von diesem Strom an, und
tauften die benachbarte Provinz, so Wormegunde heisset, hielten sich auch in
jedem Dorfe etwas länger auf, riefen das Volk zusammen und predigten ihnen das
Evangelium. Sie zogen sieben Tage umher, und tauften jeden Tag wol drey-
bis vierhundert beyderley Geschlechts. Hierauf machten sie sich nach Ger-
wen,
und gingen in die äusserste an Wirland gelegene, aber noch ungetaufte
Provinz Lappegunde, verrichteten in jedem grossen Dorfe das Sacrament der
heiligen Taufe, bis sie an ein Dorf, Rettis genant, kamen, woselbst sie ein glei-
ches thaten. Hier haben nachgehends die Dänen eine Kirche erbauet, wie sie es
auch auf andern vielen von uns getauften Dörfern machten. Endlich erreichten sie
das Dorf, so den Namen Reynenen führte, und schickten welche aus, die Leute
aus andern Dörfern her zu bestellen. Es sagte aber ein Bauer, ihr Landesälte-
ster: Wir sind schon alle getauft. Und da diese fragten, mit welcher Tau-
fe sie getauft wären; gab er zur Antwort: Als wir auf dem Dorfe Solge-
sim
waren, da eben der Dänische Priester daselbst seine Taufe verrichtete,
taufte er auch von uns etliche Männer, und gab uns das gesegnete Wasser
mit; worauf wir nach unsern Dörfern umkehrten, und jeder von uns be-
sprengte mit selbigem Wasser seine Familie, Weiber und Kinder; und was
vor ein Getaufe sollen wir weiter mit uns machen s)? Denn da wir einmal
getauft sind, so brauchen wir euch nicht weiter anzunehmen. Die Priester
hörten dieses und lächelten ein wenig, schüttelten aber den Staub von ihren Füssen
auf sie, eilten nach andern Dörfern, und tauften auf der Grenze von Wirland
drey Dörfer. Daselbst war ein Berg und ein schöner Wald, worinne nach Aus-
sage der Einwohner der grosse Gott der Oeseler geboren, der Tharapita heist,
und von demselben Ort nach Oesel geflogen seyn sol t). Es ging auch ein anderer
Priester herum, der hieb die Bilder und Gleichnisse ihrer Götter, so daselbst ge-
macht waren, um, daß die Heiden sich wunderten, warum kein Blut auslief, und
daher den Priestern desto eher glaubten. Wie nun sieben Tage lang die Taufe in
felbiger Provinz gehalten worden, kehrten die Priester nach einer andern Provinz,
die Mocha hieß, brachten da gleichfals eine Woche zu, zogen auf den Dörfern
umher, und tauften des Tages drey- bis vierhundert beyderley Geschlechts,
bis sie endlich in allen Gegenden mit der Taufe fertig waren und die heidnischen
Gebräuche abschaften. Aus dieser Provinz begaben sie sich nach Waiga, fanden
unterwegens viele Dörfer, die von keinen Priestern noch besucht waren, tauften
daselbst alle Männer, Weiber und Kinder, gingen um die See Wercegerwe
herum, erreichten Waiga, und da Waiga schon vorher getauft war, kehrten
sie wieder zu der Provinz um, die Sogentagana u) hieß, besuchten alle und je-
de Dörfer, so vorher ungetauft geblieben waren, nemlich Ygetenere, Welpole
und Wasala, nebst vielen andern, und tauften Männer, Weiber und Kinder
durchgängig. Nachdem sie eine ganze Woche da verharret, und die heilige Taufe
zu Ende gebracht, so kehrten sie frölich wieder an die Embach, volzogen an de-
nen Ungetauften zu beyden Seiten des Flusses das gute Werk, lehrten fleißig
und wandten sich endlich wieder nach Odempe, überliessen den neugepflanzten und
mit der heiligen Taufe bewässerten Weinberg GOtte, der das Gedeien geben solte,
und zogen wieder nach Liefland.

s) Jch glaube, man müsse hier lesen: Et nobis vltra quid facietis*)? was wolt ihr
uns überdem noch zu thun auflegen, da wir einmal getauft seyn?
t) Die,
*) Mein Manuscript behält die Worte: Et nobis vltra quem (baptismum) faciemus?
T t
von 1219 bis 1220.
§. 5.

Mitler Zeit, da die andern um die Beherſchung der Laͤnder ſich zankten, ging1219
der Prieſter der Letten von der Ymera zum andernmal nach Eſthland, nahm
einen andern Prieſter, Dietrich, mit ſich, der nur neulich ordiniret war, gin-
gen durch Saccala, kamen an die Pale, fingen von dieſem Strom an, und
tauften die benachbarte Provinz, ſo Wormegunde heiſſet, hielten ſich auch in
jedem Dorfe etwas laͤnger auf, riefen das Volk zuſammen und predigten ihnen das
Evangelium. Sie zogen ſieben Tage umher, und tauften jeden Tag wol drey-
bis vierhundert beyderley Geſchlechts. Hierauf machten ſie ſich nach Ger-
wen,
und gingen in die aͤuſſerſte an Wirland gelegene, aber noch ungetaufte
Provinz Lappegunde, verrichteten in jedem groſſen Dorfe das Sacrament der
heiligen Taufe, bis ſie an ein Dorf, Rettis genant, kamen, woſelbſt ſie ein glei-
ches thaten. Hier haben nachgehends die Daͤnen eine Kirche erbauet, wie ſie es
auch auf andern vielen von uns getauften Doͤrfern machten. Endlich erreichten ſie
das Dorf, ſo den Namen Reynenen fuͤhrte, und ſchickten welche aus, die Leute
aus andern Doͤrfern her zu beſtellen. Es ſagte aber ein Bauer, ihr Landesaͤlte-
ſter: Wir ſind ſchon alle getauft. Und da dieſe fragten, mit welcher Tau-
fe ſie getauft waͤren; gab er zur Antwort: Als wir auf dem Dorfe Solge-
ſim
waren, da eben der Daͤniſche Prieſter daſelbſt ſeine Taufe verrichtete,
taufte er auch von uns etliche Maͤnner, und gab uns das geſegnete Waſſer
mit; worauf wir nach unſern Doͤrfern umkehrten, und jeder von uns be-
ſprengte mit ſelbigem Waſſer ſeine Familie, Weiber und Kinder; und was
vor ein Getaufe ſollen wir weiter mit uns machen s)? Denn da wir einmal
getauft ſind, ſo brauchen wir euch nicht weiter anzunehmen. Die Prieſter
hoͤrten dieſes und laͤchelten ein wenig, ſchuͤttelten aber den Staub von ihren Fuͤſſen
auf ſie, eilten nach andern Doͤrfern, und tauften auf der Grenze von Wirland
drey Doͤrfer. Daſelbſt war ein Berg und ein ſchoͤner Wald, worinne nach Aus-
ſage der Einwohner der groſſe Gott der Oeſeler geboren, der Tharapita heiſt,
und von demſelben Ort nach Oeſel geflogen ſeyn ſol t). Es ging auch ein anderer
Prieſter herum, der hieb die Bilder und Gleichniſſe ihrer Goͤtter, ſo daſelbſt ge-
macht waren, um, daß die Heiden ſich wunderten, warum kein Blut auslief, und
daher den Prieſtern deſto eher glaubten. Wie nun ſieben Tage lang die Taufe in
felbiger Provinz gehalten worden, kehrten die Prieſter nach einer andern Provinz,
die Mocha hieß, brachten da gleichfals eine Woche zu, zogen auf den Doͤrfern
umher, und tauften des Tages drey- bis vierhundert beyderley Geſchlechts,
bis ſie endlich in allen Gegenden mit der Taufe fertig waren und die heidniſchen
Gebraͤuche abſchaften. Aus dieſer Provinz begaben ſie ſich nach Waiga, fanden
unterwegens viele Doͤrfer, die von keinen Prieſtern noch beſucht waren, tauften
daſelbſt alle Maͤnner, Weiber und Kinder, gingen um die See Wercegerwe
herum, erreichten Waiga, und da Waiga ſchon vorher getauft war, kehrten
ſie wieder zu der Provinz um, die Sogentagana u) hieß, beſuchten alle und je-
de Doͤrfer, ſo vorher ungetauft geblieben waren, nemlich Ygetenere, Welpole
und Waſala, nebſt vielen andern, und tauften Maͤnner, Weiber und Kinder
durchgaͤngig. Nachdem ſie eine ganze Woche da verharret, und die heilige Taufe
zu Ende gebracht, ſo kehrten ſie froͤlich wieder an die Embach, volzogen an de-
nen Ungetauften zu beyden Seiten des Fluſſes das gute Werk, lehrten fleißig
und wandten ſich endlich wieder nach Odempe, uͤberlieſſen den neugepflanzten und
mit der heiligen Taufe bewaͤſſerten Weinberg GOtte, der das Gedeien geben ſolte,
und zogen wieder nach Liefland.

s) Jch glaube, man muͤſſe hier leſen: Et nobis vltra quid facietis*)? was wolt ihr
uns uͤberdem noch zu thun auflegen, da wir einmal getauft ſeyn?
t) Die,
*) Mein Manuſcript behaͤlt die Worte: Et nobis vltra quem (baptismum) faciemus?
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[165/0197] von 1219 bis 1220. §. 5. Mitler Zeit, da die andern um die Beherſchung der Laͤnder ſich zankten, ging der Prieſter der Letten von der Ymera zum andernmal nach Eſthland, nahm einen andern Prieſter, Dietrich, mit ſich, der nur neulich ordiniret war, gin- gen durch Saccala, kamen an die Pale, fingen von dieſem Strom an, und tauften die benachbarte Provinz, ſo Wormegunde heiſſet, hielten ſich auch in jedem Dorfe etwas laͤnger auf, riefen das Volk zuſammen und predigten ihnen das Evangelium. Sie zogen ſieben Tage umher, und tauften jeden Tag wol drey- bis vierhundert beyderley Geſchlechts. Hierauf machten ſie ſich nach Ger- wen, und gingen in die aͤuſſerſte an Wirland gelegene, aber noch ungetaufte Provinz Lappegunde, verrichteten in jedem groſſen Dorfe das Sacrament der heiligen Taufe, bis ſie an ein Dorf, Rettis genant, kamen, woſelbſt ſie ein glei- ches thaten. Hier haben nachgehends die Daͤnen eine Kirche erbauet, wie ſie es auch auf andern vielen von uns getauften Doͤrfern machten. Endlich erreichten ſie das Dorf, ſo den Namen Reynenen fuͤhrte, und ſchickten welche aus, die Leute aus andern Doͤrfern her zu beſtellen. Es ſagte aber ein Bauer, ihr Landesaͤlte- ſter: Wir ſind ſchon alle getauft. Und da dieſe fragten, mit welcher Tau- fe ſie getauft waͤren; gab er zur Antwort: Als wir auf dem Dorfe Solge- ſim waren, da eben der Daͤniſche Prieſter daſelbſt ſeine Taufe verrichtete, taufte er auch von uns etliche Maͤnner, und gab uns das geſegnete Waſſer mit; worauf wir nach unſern Doͤrfern umkehrten, und jeder von uns be- ſprengte mit ſelbigem Waſſer ſeine Familie, Weiber und Kinder; und was vor ein Getaufe ſollen wir weiter mit uns machen s⁾ ? Denn da wir einmal getauft ſind, ſo brauchen wir euch nicht weiter anzunehmen. Die Prieſter hoͤrten dieſes und laͤchelten ein wenig, ſchuͤttelten aber den Staub von ihren Fuͤſſen auf ſie, eilten nach andern Doͤrfern, und tauften auf der Grenze von Wirland drey Doͤrfer. Daſelbſt war ein Berg und ein ſchoͤner Wald, worinne nach Aus- ſage der Einwohner der groſſe Gott der Oeſeler geboren, der Tharapita heiſt, und von demſelben Ort nach Oeſel geflogen ſeyn ſol t⁾ . Es ging auch ein anderer Prieſter herum, der hieb die Bilder und Gleichniſſe ihrer Goͤtter, ſo daſelbſt ge- macht waren, um, daß die Heiden ſich wunderten, warum kein Blut auslief, und daher den Prieſtern deſto eher glaubten. Wie nun ſieben Tage lang die Taufe in felbiger Provinz gehalten worden, kehrten die Prieſter nach einer andern Provinz, die Mocha hieß, brachten da gleichfals eine Woche zu, zogen auf den Doͤrfern umher, und tauften des Tages drey- bis vierhundert beyderley Geſchlechts, bis ſie endlich in allen Gegenden mit der Taufe fertig waren und die heidniſchen Gebraͤuche abſchaften. Aus dieſer Provinz begaben ſie ſich nach Waiga, fanden unterwegens viele Doͤrfer, die von keinen Prieſtern noch beſucht waren, tauften daſelbſt alle Maͤnner, Weiber und Kinder, gingen um die See Wercegerwe herum, erreichten Waiga, und da Waiga ſchon vorher getauft war, kehrten ſie wieder zu der Provinz um, die Sogentagana u⁾ hieß, beſuchten alle und je- de Doͤrfer, ſo vorher ungetauft geblieben waren, nemlich Ygetenere, Welpole und Waſala, nebſt vielen andern, und tauften Maͤnner, Weiber und Kinder durchgaͤngig. Nachdem ſie eine ganze Woche da verharret, und die heilige Taufe zu Ende gebracht, ſo kehrten ſie froͤlich wieder an die Embach, volzogen an de- nen Ungetauften zu beyden Seiten des Fluſſes das gute Werk, lehrten fleißig und wandten ſich endlich wieder nach Odempe, uͤberlieſſen den neugepflanzten und mit der heiligen Taufe bewaͤſſerten Weinberg GOtte, der das Gedeien geben ſolte, und zogen wieder nach Liefland. 1219 s⁾ Jch glaube, man muͤſſe hier leſen: Et nobis vltra quid facietis *)? was wolt ihr uns uͤberdem noch zu thun auflegen, da wir einmal getauft ſeyn? t) Die, *) Mein Manuſcript behaͤlt die Worte: Et nobis vltra quem (baptismum) faciemus? T t

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/197>, abgerufen am 21.11.2024.