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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1214 bis 1215.
Georgianum, (Jürgensstadt) heist gewöhnlich Dorpat. Chronic. Kioviens. beym1214
Jahr 1030 Collect. Rer. Russic. part. 3. p. 186 *).
§. 4.

Da nun die, so noch in Ungannien übrig geblieben, sahen, daß sie vor der
Wuth b) der Deutschen und Letten keinen Ausweg haben könten, schickten sie
Boten nach Riga mit Friedensvorschlägen. Man sagte ihnen aber, sie müsten
die den Kaufleuten ehemals abgenommenen Güter wieder geben.

Sie versetzten, die rechten Entwender der Güter wären von den Letten
niedergemacht,
und sagten frey, daß sie nicht im Stande wären, dieselben zu-
rück zu geben. Sie baten, man möchte alle Punkte vergessen, und ihnen die Tau-
fe geben, damit sie den wahren Frieden und eine beständige brüderliche Liebe von
den Deutschen und Letten erhalten möchten. Die Deutschen freueten sich
auch, bestätigten mit ihnen den Frieden, und versprachen Priester zur Taufe nach
Ungannien zu schicken. Wie die von Saccala alle das den Unganniern zu-
gefügte Herzeleid vernahmen, befurchten sie, ihnen möchte ein gleiches widerfah-
ren, und schickten daher auch einige, mit Ersuchen, man möchte doch Priester zu ih-
nen abfertigen, damit sie nach volzogener Taufe in ihrer Provinz, auch mit den
Christen Freunde würden. Demnach wurden die Priester Kakewald von
Vinland und Otto, Priester der Ordensbrüder, gesandt, die nach Saccala
abreiseten und die Taufe bis an die Pala, und in Ungannien bis an die Em-
bach
verrichteten. Hierauf kehrten sie wieder nach Liefland; denn sie konten
noch nicht unter den Esthen wohnen, wegen der andern Unbändigkeit.

b) Die Wuth der Deutschen war bey den Römern auch gleichsam zum Sprüchwort
geworden.
§. 5.

Der Bischof von Ratzeburg aber eilte samt Dietrichen, dem Bischof über
Esthland nach Rom aufs Concilium, und begab sich mit den Pilgern, die nach
Deutschland zogen, auf die See, und fuhr mit neun Kauffartheyschiffen nach
Gothland. Die Nacht drauf erhub sich ein Gegenwind mit Donner, und da
sie einen ganzen Tag schwer Wetter gehabt, trieben sie endlich in den neuen Hafen
nach Oesel. Wie die Oeseler erfuhren, daß sie von Riga gekommen, so dro-
heten sie ihnen Krieg. Sie schickten auch über ganz Oesel, und brachten ein star-
kes Schifsvolk zusammen. Andere kamen zu Pferde, und baueten an dem See-
ufer ein Gerüste von Balken auf, fülten es voller Steine, und bemühten sich, den
Hafen zu verschütten, als der eine schmale Einfahrt hatte, damit sie, wenn der Ha-
fen gesperret, alle gefangen nähmen und hinrichteten. Die Deutschen setzten mit
ihren Booten oder Chaloupen ans Land, mäheten das Getreide mit ihren Schwerd-
tern ab, und wusten nichts davon, daß eine Armee auf dem benachbarten Ufer stün-
de; thaten auch viele Tage durch an einem andern Ufer ein gleiches. Endlich
krigten die Oeseler, die aufgelauret hatten, achte von ihnen zu packen, schlugen ei-
nige todt, machten andere zu Gefangenen, entführten auch ein Boot. Dadurch
wurden sie noch muthiger, schickten in alle Provinzen in Esthland, und liessen sa-
gen, sie hätten den Bischof von Riga mit samt seiner Armee veste genommen.
Sie kamen hierauf alle mit einer starken Heeresmacht. Wie es tagete bey frühem
Morgen, schien die ganze See gegen uns finster, indem sie mit ihren Raubschiffen
bedecket war, und fochten wider uns den ganzen Tag. Einige von ihnen brachten
hölzerne Gerüste und alte Schiffe herbey, senkten sie in die Tiefe, fülten sie mit
Steinen an, und versperten uns den Hafen. Daher überfiel uns grosse Angst,

und
*) Die Provinz Ungannien hatte verschiedene kleinere unter sich, darunter die Provinz Darbeten und
in selbiger die Stadt Darbet, oder Tarbat lag. Vielleicht daß ein Flüßgen in selbiger Gegend
den Namen damals geführet, welche Namen alle älter seyn, als die Deutschen, und also nicht von
diesen ihre Benennung empfaugen haben können. Siehe beym Jahr 1210. n. 7.
F f 2
von 1214 bis 1215.
Georgianum, (Juͤrgensſtadt) heiſt gewoͤhnlich Dorpat. Chronic. Kiovienſ. beym1214
Jahr 1030 Collect. Rer. Rusſic. part. 3. p. 186 *).
§. 4.

Da nun die, ſo noch in Ungannien uͤbrig geblieben, ſahen, daß ſie vor der
Wuth b) der Deutſchen und Letten keinen Ausweg haben koͤnten, ſchickten ſie
Boten nach Riga mit Friedensvorſchlaͤgen. Man ſagte ihnen aber, ſie muͤſten
die den Kaufleuten ehemals abgenommenen Guͤter wieder geben.

Sie verſetzten, die rechten Entwender der Guͤter waͤren von den Letten
niedergemacht,
und ſagten frey, daß ſie nicht im Stande waͤren, dieſelben zu-
ruͤck zu geben. Sie baten, man moͤchte alle Punkte vergeſſen, und ihnen die Tau-
fe geben, damit ſie den wahren Frieden und eine beſtaͤndige bruͤderliche Liebe von
den Deutſchen und Letten erhalten moͤchten. Die Deutſchen freueten ſich
auch, beſtaͤtigten mit ihnen den Frieden, und verſprachen Prieſter zur Taufe nach
Ungannien zu ſchicken. Wie die von Saccala alle das den Unganniern zu-
gefuͤgte Herzeleid vernahmen, befurchten ſie, ihnen moͤchte ein gleiches widerfah-
ren, und ſchickten daher auch einige, mit Erſuchen, man moͤchte doch Prieſter zu ih-
nen abfertigen, damit ſie nach volzogener Taufe in ihrer Provinz, auch mit den
Chriſten Freunde wuͤrden. Demnach wurden die Prieſter Kakewald von
Vinland und Otto, Prieſter der Ordensbruͤder, geſandt, die nach Saccala
abreiſeten und die Taufe bis an die Pala, und in Ungannien bis an die Em-
bach
verrichteten. Hierauf kehrten ſie wieder nach Liefland; denn ſie konten
noch nicht unter den Eſthen wohnen, wegen der andern Unbaͤndigkeit.

b) Die Wuth der Deutſchen war bey den Roͤmern auch gleichſam zum Spruͤchwort
geworden.
§. 5.

Der Biſchof von Ratzeburg aber eilte ſamt Dietrichen, dem Biſchof uͤber
Eſthland nach Rom aufs Concilium, und begab ſich mit den Pilgern, die nach
Deutſchland zogen, auf die See, und fuhr mit neun Kauffartheyſchiffen nach
Gothland. Die Nacht drauf erhub ſich ein Gegenwind mit Donner, und da
ſie einen ganzen Tag ſchwer Wetter gehabt, trieben ſie endlich in den neuen Hafen
nach Oeſel. Wie die Oeſeler erfuhren, daß ſie von Riga gekommen, ſo dro-
heten ſie ihnen Krieg. Sie ſchickten auch uͤber ganz Oeſel, und brachten ein ſtar-
kes Schifsvolk zuſammen. Andere kamen zu Pferde, und baueten an dem See-
ufer ein Geruͤſte von Balken auf, fuͤlten es voller Steine, und bemuͤhten ſich, den
Hafen zu verſchuͤtten, als der eine ſchmale Einfahrt hatte, damit ſie, wenn der Ha-
fen geſperret, alle gefangen naͤhmen und hinrichteten. Die Deutſchen ſetzten mit
ihren Booten oder Chaloupen ans Land, maͤheten das Getreide mit ihren Schwerd-
tern ab, und wuſten nichts davon, daß eine Armee auf dem benachbarten Ufer ſtuͤn-
de; thaten auch viele Tage durch an einem andern Ufer ein gleiches. Endlich
krigten die Oeſeler, die aufgelauret hatten, achte von ihnen zu packen, ſchlugen ei-
nige todt, machten andere zu Gefangenen, entfuͤhrten auch ein Boot. Dadurch
wurden ſie noch muthiger, ſchickten in alle Provinzen in Eſthland, und lieſſen ſa-
gen, ſie haͤtten den Biſchof von Riga mit ſamt ſeiner Armee veſte genommen.
Sie kamen hierauf alle mit einer ſtarken Heeresmacht. Wie es tagete bey fruͤhem
Morgen, ſchien die ganze See gegen uns finſter, indem ſie mit ihren Raubſchiffen
bedecket war, und fochten wider uns den ganzen Tag. Einige von ihnen brachten
hoͤlzerne Geruͤſte und alte Schiffe herbey, ſenkten ſie in die Tiefe, fuͤlten ſie mit
Steinen an, und verſperten uns den Hafen. Daher uͤberfiel uns groſſe Angſt,

und
*) Die Provinz Ungannien hatte verſchiedene kleinere unter ſich, darunter die Provinz Darbeten und
in ſelbiger die Stadt Darbet, oder Tarbat lag. Vielleicht daß ein Fluͤßgen in ſelbiger Gegend
den Namen damals gefuͤhret, welche Namen alle aͤlter ſeyn, als die Deutſchen, und alſo nicht von
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[115/0147] von 1214 bis 1215. a⁾ Georgianum, (Juͤrgensſtadt) heiſt gewoͤhnlich Dorpat. Chronic. Kiovienſ. beym Jahr 1030 Collect. Rer. Rusſic. part. 3. p. 186 *). §. 4. Da nun die, ſo noch in Ungannien uͤbrig geblieben, ſahen, daß ſie vor der Wuth b⁾ der Deutſchen und Letten keinen Ausweg haben koͤnten, ſchickten ſie Boten nach Riga mit Friedensvorſchlaͤgen. Man ſagte ihnen aber, ſie muͤſten die den Kaufleuten ehemals abgenommenen Guͤter wieder geben. Sie verſetzten, die rechten Entwender der Guͤter waͤren von den Letten niedergemacht, und ſagten frey, daß ſie nicht im Stande waͤren, dieſelben zu- ruͤck zu geben. Sie baten, man moͤchte alle Punkte vergeſſen, und ihnen die Tau- fe geben, damit ſie den wahren Frieden und eine beſtaͤndige bruͤderliche Liebe von den Deutſchen und Letten erhalten moͤchten. Die Deutſchen freueten ſich auch, beſtaͤtigten mit ihnen den Frieden, und verſprachen Prieſter zur Taufe nach Ungannien zu ſchicken. Wie die von Saccala alle das den Unganniern zu- gefuͤgte Herzeleid vernahmen, befurchten ſie, ihnen moͤchte ein gleiches widerfah- ren, und ſchickten daher auch einige, mit Erſuchen, man moͤchte doch Prieſter zu ih- nen abfertigen, damit ſie nach volzogener Taufe in ihrer Provinz, auch mit den Chriſten Freunde wuͤrden. Demnach wurden die Prieſter Kakewald von Vinland und Otto, Prieſter der Ordensbruͤder, geſandt, die nach Saccala abreiſeten und die Taufe bis an die Pala, und in Ungannien bis an die Em- bach verrichteten. Hierauf kehrten ſie wieder nach Liefland; denn ſie konten noch nicht unter den Eſthen wohnen, wegen der andern Unbaͤndigkeit. b⁾ Die Wuth der Deutſchen war bey den Roͤmern auch gleichſam zum Spruͤchwort geworden. §. 5. Der Biſchof von Ratzeburg aber eilte ſamt Dietrichen, dem Biſchof uͤber Eſthland nach Rom aufs Concilium, und begab ſich mit den Pilgern, die nach Deutſchland zogen, auf die See, und fuhr mit neun Kauffartheyſchiffen nach Gothland. Die Nacht drauf erhub ſich ein Gegenwind mit Donner, und da ſie einen ganzen Tag ſchwer Wetter gehabt, trieben ſie endlich in den neuen Hafen nach Oeſel. Wie die Oeſeler erfuhren, daß ſie von Riga gekommen, ſo dro- heten ſie ihnen Krieg. Sie ſchickten auch uͤber ganz Oeſel, und brachten ein ſtar- kes Schifsvolk zuſammen. Andere kamen zu Pferde, und baueten an dem See- ufer ein Geruͤſte von Balken auf, fuͤlten es voller Steine, und bemuͤhten ſich, den Hafen zu verſchuͤtten, als der eine ſchmale Einfahrt hatte, damit ſie, wenn der Ha- fen geſperret, alle gefangen naͤhmen und hinrichteten. Die Deutſchen ſetzten mit ihren Booten oder Chaloupen ans Land, maͤheten das Getreide mit ihren Schwerd- tern ab, und wuſten nichts davon, daß eine Armee auf dem benachbarten Ufer ſtuͤn- de; thaten auch viele Tage durch an einem andern Ufer ein gleiches. Endlich krigten die Oeſeler, die aufgelauret hatten, achte von ihnen zu packen, ſchlugen ei- nige todt, machten andere zu Gefangenen, entfuͤhrten auch ein Boot. Dadurch wurden ſie noch muthiger, ſchickten in alle Provinzen in Eſthland, und lieſſen ſa- gen, ſie haͤtten den Biſchof von Riga mit ſamt ſeiner Armee veſte genommen. Sie kamen hierauf alle mit einer ſtarken Heeresmacht. Wie es tagete bey fruͤhem Morgen, ſchien die ganze See gegen uns finſter, indem ſie mit ihren Raubſchiffen bedecket war, und fochten wider uns den ganzen Tag. Einige von ihnen brachten hoͤlzerne Geruͤſte und alte Schiffe herbey, ſenkten ſie in die Tiefe, fuͤlten ſie mit Steinen an, und verſperten uns den Hafen. Daher uͤberfiel uns groſſe Angſt, und *) Die Provinz Ungannien hatte verſchiedene kleinere unter ſich, darunter die Provinz Darbeten und in ſelbiger die Stadt Darbet, oder Tarbat lag. Vielleicht daß ein Fluͤßgen in ſelbiger Gegend den Namen damals gefuͤhret, welche Namen alle aͤlter ſeyn, als die Deutſchen, und alſo nicht von dieſen ihre Benennung empfaugen haben koͤnnen. Siehe beym Jahr 1210. n. 7. F f 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/147>, abgerufen am 23.11.2024.