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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1209 bis 1210.
§. 9.

Das heilige Weihnachtsfest war vor der Thüre, und die Strenge des Win-1209
ters nahm zu. Also schickten die Aeltesten von Riga durch ganz Liefland *),
Lettland, durchs ganze Gebiet und an alle Schlösser an der Düne und Goiwe,
alle solten kommen und sich fertig halten, sich an den Nationen der Esthen zu rächen.
Dis Gerüchte drung nach Pleseekowe, die damals mit uns Frieden hatten, und
es kam ein mächtiger Haufen Russen den Unsrigen zu Hülfe. Es erschienen auch
die Landesältesten Rußin, Caupo, Nunnus und Dabrel samt andern, und
marschirten vor den Rigischen und Fremden voraus. Die ganze Armee folgte
nach Metsepole, und zogen nach der See, nachdem sie von den Liven, so man
für treulos hielte, Geisseln genommen. Sie marschirten Tag und Nacht auf der
Heerstrasse längst der See, und erreichten die erste Provinz, die Sontagana
hieß. Die Wegehüter flohen, als sie die Armee erblickten, um es den ihrigen an-
zusagen. Aber die, so unter der Armee die schnelsten waren, drungen mit den
Kundschaftern zugleich in die Dörfer, und fanden fast alle in den Dorfschaften zu
Hause. Die Armee theilte sich durch alle Wege und Dörfer, brachte aller Orten
viel Volk um, verfolgte die in den nahegelegenen Provinzen, nahm ihnen Wei-
ber und Knaben weg, und versamlete sich bey dem Schlosse. Den andern und
dritten Tag zogen sie umher, verwüsteten und steckten alles in Brand, was sie
fanden, und erhielten Pferde und unzählig viel Vieh. Denn der Ochsen und Kühe
waren vier tausend; ausser den Pferden, dem andern Vieh, und den Gefangenen,
die niemand zählen konte. Viele Heiden, die in den Wäldern und auf dem Eise
des Meers mit der Flucht entkommen, froren auch zu todte. Wie sie nun drey
Schlösser erobert und in Brand gestecket, fingen sie den vierten Tag an, mit der
ganzen Beute, aus dem Lande zu ziehen, nahmen sich Zeit zum Rückwege, theilten
alsdenn alles gleich unter sich, und wandten sich mit Freuden wieder nach Lief-
land,
und lobten alle den HErrn, der ihnen Rache über ihre Feinde gegeben.
Die Esthen sagten nicht ein Wort wegen des Vorwurfs, da sie den Liven und
Letten anfänglich den Märtyrertod der Jhrigen vorgerückt hatten. Bey folgen-
dem Mondlichte kamen die Liven und Letten wieder mit den Rigischen bey der
See Astigerwe **) zusammen, und stiessen auf einen Trup Sacalanen und Un-
gannier,
rückten auch an sie an, und wolten sich mit denselben schlagen. Diese aber wie-
sen den Rücken und nahmen Reißaus, doch blieb einer von ihnen stehen. Der trat zu den
Unsrigen und sagte aus, daß ein ander starkes Heer von den Provinzen an der See in
selbiger Nacht den Strandweg kommen, und in Liefland einfallen würde. Die
Landesältesten der Liven eilten auf diese Nachricht zu ihren Weibern und Kindern,
sie vor den Feinden in Sicherheit zu bringen, und jeder zog nach seiner Schanze.
Gleich aber morgendes Tages kamen die Esthen, so erst entwischet waren, aus
Sontagana ***) und andern herumliegenden Provinzen, mit einer grossen Ar-
mee nach Metsepole, und weil alles Volk in den Schlössern sich aufhielt, steck-
ten sie die leeren Dörfer und Kirchen an, verübten auch mit ihren Opfern viele
Leichtfertigkeit um die Kirchen und um die Gräber der verstorbenen Christen.
Die Rigischen kamen hierauf in Thoreida zusammen, sie zu verfolgen. Auch
Berthold von Wenden und Rußin mit allen Letten begaben sich nach der Ro-
pa.
Da sie das hörten, gingen sie schleunig aus dem Lande, und warteten das
Treffen mit den Christen nicht ab. Bey dem dritten Mondscheine machten die
Rigischen sich gefast, das Schloß Viliendi in Saccala zu belagern, und be-
riefen die Liven und Letten aus allen Gränzen und Schlössern zusammen, und

be-
*) Mein Manuscript füget hier die Worte hinzu: & Letthiam & per totam provinciam.
**) Auf deutsch die Burtnickische See.
***) Thomas Hiärne macht das zur Provinz Sontagana, wo jetzt die Kirchspiele St. Michaelis
und Fickel liegen. Der Zug von Riga aber nach Oesel und andere Stellen zeigens an, daß sie gleich
nach Paßirung des Flusses und der Provinz Salis in Sontagana getreten, und müste also wol
das Pernauische darunter verstanden werden.
X 2
von 1209 bis 1210.
§. 9.

Das heilige Weihnachtsfeſt war vor der Thuͤre, und die Strenge des Win-1209
ters nahm zu. Alſo ſchickten die Aelteſten von Riga durch ganz Liefland *),
Lettland, durchs ganze Gebiet und an alle Schloͤſſer an der Duͤne und Goiwe,
alle ſolten kommen und ſich fertig halten, ſich an den Nationen der Eſthen zu raͤchen.
Dis Geruͤchte drung nach Pleseekowe, die damals mit uns Frieden hatten, und
es kam ein maͤchtiger Haufen Ruſſen den Unſrigen zu Huͤlfe. Es erſchienen auch
die Landesaͤlteſten Rußin, Caupo, Nunnus und Dabrel ſamt andern, und
marſchirten vor den Rigiſchen und Fremden voraus. Die ganze Armee folgte
nach Metſepole, und zogen nach der See, nachdem ſie von den Liven, ſo man
fuͤr treulos hielte, Geiſſeln genommen. Sie marſchirten Tag und Nacht auf der
Heerſtraſſe laͤngſt der See, und erreichten die erſte Provinz, die Sontagana
hieß. Die Wegehuͤter flohen, als ſie die Armee erblickten, um es den ihrigen an-
zuſagen. Aber die, ſo unter der Armee die ſchnelſten waren, drungen mit den
Kundſchaftern zugleich in die Doͤrfer, und fanden faſt alle in den Dorfſchaften zu
Hauſe. Die Armee theilte ſich durch alle Wege und Doͤrfer, brachte aller Orten
viel Volk um, verfolgte die in den nahegelegenen Provinzen, nahm ihnen Wei-
ber und Knaben weg, und verſamlete ſich bey dem Schloſſe. Den andern und
dritten Tag zogen ſie umher, verwuͤſteten und ſteckten alles in Brand, was ſie
fanden, und erhielten Pferde und unzaͤhlig viel Vieh. Denn der Ochſen und Kuͤhe
waren vier tauſend; auſſer den Pferden, dem andern Vieh, und den Gefangenen,
die niemand zaͤhlen konte. Viele Heiden, die in den Waͤldern und auf dem Eiſe
des Meers mit der Flucht entkommen, froren auch zu todte. Wie ſie nun drey
Schloͤſſer erobert und in Brand geſtecket, fingen ſie den vierten Tag an, mit der
ganzen Beute, aus dem Lande zu ziehen, nahmen ſich Zeit zum Ruͤckwege, theilten
alsdenn alles gleich unter ſich, und wandten ſich mit Freuden wieder nach Lief-
land,
und lobten alle den HErrn, der ihnen Rache uͤber ihre Feinde gegeben.
Die Eſthen ſagten nicht ein Wort wegen des Vorwurfs, da ſie den Liven und
Letten anfaͤnglich den Maͤrtyrertod der Jhrigen vorgeruͤckt hatten. Bey folgen-
dem Mondlichte kamen die Liven und Letten wieder mit den Rigiſchen bey der
See Aſtigerwe **) zuſammen, und ſtieſſen auf einen Trup Sacalanen und Un-
gannier,
ruͤckten auch an ſie an, und wolten ſich mit denſelben ſchlagen. Dieſe aber wie-
ſen den Ruͤcken und nahmen Reißaus, doch blieb einer von ihnen ſtehen. Der trat zu den
Unſrigen und ſagte aus, daß ein ander ſtarkes Heer von den Provinzen an der See in
ſelbiger Nacht den Strandweg kommen, und in Liefland einfallen wuͤrde. Die
Landesaͤlteſten der Liven eilten auf dieſe Nachricht zu ihren Weibern und Kindern,
ſie vor den Feinden in Sicherheit zu bringen, und jeder zog nach ſeiner Schanze.
Gleich aber morgendes Tages kamen die Eſthen, ſo erſt entwiſchet waren, aus
Sontagana ***) und andern herumliegenden Provinzen, mit einer groſſen Ar-
mee nach Metſepole, und weil alles Volk in den Schloͤſſern ſich aufhielt, ſteck-
ten ſie die leeren Doͤrfer und Kirchen an, veruͤbten auch mit ihren Opfern viele
Leichtfertigkeit um die Kirchen und um die Graͤber der verſtorbenen Chriſten.
Die Rigiſchen kamen hierauf in Thoreida zuſammen, ſie zu verfolgen. Auch
Berthold von Wenden und Rußin mit allen Letten begaben ſich nach der Ro-
pa.
Da ſie das hoͤrten, gingen ſie ſchleunig aus dem Lande, und warteten das
Treffen mit den Chriſten nicht ab. Bey dem dritten Mondſcheine machten die
Rigiſchen ſich gefaſt, das Schloß Viliendi in Saccala zu belagern, und be-
riefen die Liven und Letten aus allen Graͤnzen und Schloͤſſern zuſammen, und

be-
*) Mein Manuſcript fuͤget hier die Worte hinzu: & Letthiam & per totam provinciam.
**) Auf deutſch die Burtnickiſche See.
***) Thomas Hiaͤrne macht das zur Provinz Sontagana, wo jetzt die Kirchſpiele St. Michaelis
und Fickel liegen. Der Zug von Riga aber nach Oeſel und andere Stellen zeigens an, daß ſie gleich
nach Paßirung des Fluſſes und der Provinz Salis in Sontagana getreten, und muͤſte alſo wol
das Pernauiſche darunter verſtanden werden.
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[83/0115] von 1209 bis 1210. §. 9. Das heilige Weihnachtsfeſt war vor der Thuͤre, und die Strenge des Win- ters nahm zu. Alſo ſchickten die Aelteſten von Riga durch ganz Liefland *), Lettland, durchs ganze Gebiet und an alle Schloͤſſer an der Duͤne und Goiwe, alle ſolten kommen und ſich fertig halten, ſich an den Nationen der Eſthen zu raͤchen. Dis Geruͤchte drung nach Pleseekowe, die damals mit uns Frieden hatten, und es kam ein maͤchtiger Haufen Ruſſen den Unſrigen zu Huͤlfe. Es erſchienen auch die Landesaͤlteſten Rußin, Caupo, Nunnus und Dabrel ſamt andern, und marſchirten vor den Rigiſchen und Fremden voraus. Die ganze Armee folgte nach Metſepole, und zogen nach der See, nachdem ſie von den Liven, ſo man fuͤr treulos hielte, Geiſſeln genommen. Sie marſchirten Tag und Nacht auf der Heerſtraſſe laͤngſt der See, und erreichten die erſte Provinz, die Sontagana hieß. Die Wegehuͤter flohen, als ſie die Armee erblickten, um es den ihrigen an- zuſagen. Aber die, ſo unter der Armee die ſchnelſten waren, drungen mit den Kundſchaftern zugleich in die Doͤrfer, und fanden faſt alle in den Dorfſchaften zu Hauſe. Die Armee theilte ſich durch alle Wege und Doͤrfer, brachte aller Orten viel Volk um, verfolgte die in den nahegelegenen Provinzen, nahm ihnen Wei- ber und Knaben weg, und verſamlete ſich bey dem Schloſſe. Den andern und dritten Tag zogen ſie umher, verwuͤſteten und ſteckten alles in Brand, was ſie fanden, und erhielten Pferde und unzaͤhlig viel Vieh. Denn der Ochſen und Kuͤhe waren vier tauſend; auſſer den Pferden, dem andern Vieh, und den Gefangenen, die niemand zaͤhlen konte. Viele Heiden, die in den Waͤldern und auf dem Eiſe des Meers mit der Flucht entkommen, froren auch zu todte. Wie ſie nun drey Schloͤſſer erobert und in Brand geſtecket, fingen ſie den vierten Tag an, mit der ganzen Beute, aus dem Lande zu ziehen, nahmen ſich Zeit zum Ruͤckwege, theilten alsdenn alles gleich unter ſich, und wandten ſich mit Freuden wieder nach Lief- land, und lobten alle den HErrn, der ihnen Rache uͤber ihre Feinde gegeben. Die Eſthen ſagten nicht ein Wort wegen des Vorwurfs, da ſie den Liven und Letten anfaͤnglich den Maͤrtyrertod der Jhrigen vorgeruͤckt hatten. Bey folgen- dem Mondlichte kamen die Liven und Letten wieder mit den Rigiſchen bey der See Aſtigerwe **) zuſammen, und ſtieſſen auf einen Trup Sacalanen und Un- gannier, ruͤckten auch an ſie an, und wolten ſich mit denſelben ſchlagen. Dieſe aber wie- ſen den Ruͤcken und nahmen Reißaus, doch blieb einer von ihnen ſtehen. Der trat zu den Unſrigen und ſagte aus, daß ein ander ſtarkes Heer von den Provinzen an der See in ſelbiger Nacht den Strandweg kommen, und in Liefland einfallen wuͤrde. Die Landesaͤlteſten der Liven eilten auf dieſe Nachricht zu ihren Weibern und Kindern, ſie vor den Feinden in Sicherheit zu bringen, und jeder zog nach ſeiner Schanze. Gleich aber morgendes Tages kamen die Eſthen, ſo erſt entwiſchet waren, aus Sontagana ***) und andern herumliegenden Provinzen, mit einer groſſen Ar- mee nach Metſepole, und weil alles Volk in den Schloͤſſern ſich aufhielt, ſteck- ten ſie die leeren Doͤrfer und Kirchen an, veruͤbten auch mit ihren Opfern viele Leichtfertigkeit um die Kirchen und um die Graͤber der verſtorbenen Chriſten. Die Rigiſchen kamen hierauf in Thoreida zuſammen, ſie zu verfolgen. Auch Berthold von Wenden und Rußin mit allen Letten begaben ſich nach der Ro- pa. Da ſie das hoͤrten, gingen ſie ſchleunig aus dem Lande, und warteten das Treffen mit den Chriſten nicht ab. Bey dem dritten Mondſcheine machten die Rigiſchen ſich gefaſt, das Schloß Viliendi in Saccala zu belagern, und be- riefen die Liven und Letten aus allen Graͤnzen und Schloͤſſern zuſammen, und be- 1209 *) Mein Manuſcript fuͤget hier die Worte hinzu: & Letthiam & per totam provinciam. **) Auf deutſch die Burtnickiſche See. ***) Thomas Hiaͤrne macht das zur Provinz Sontagana, wo jetzt die Kirchſpiele St. Michaelis und Fickel liegen. Der Zug von Riga aber nach Oeſel und andere Stellen zeigens an, daß ſie gleich nach Paßirung des Fluſſes und der Provinz Salis in Sontagana getreten, und muͤſte alſo wol das Pernauiſche darunter verſtanden werden. X 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/115>, abgerufen am 22.11.2024.