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Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

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Zuerst das auserwählte Volk sich nannte?
Wie? wenn ich dieses Volk nun, zwar nicht haßte,
Doch wegen seines Stolzes zu verachten,
Mich nicht entbrechen könnte? Seines Stolzes;
Den es auf Christ und Muselmann vererbte,
Nur sein Gott sey der rechte Gott! -- Jhr stutzt,
Daß ich, ein Christ, ein Tempelherr, so rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raserey,
Den bessern Gott zu haben, diesen bessern,
Der ganzen Welt als besten aufzudringen,
Jn ihrer schwärzesten Gestalt sich mehr
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt
Die Schuppen nicht vom Auge fallen ... Doch
Sey blind, wer will! -- Vergeßt, was ich gesagt;
Und laßt mich!
(will gehen.)
Nathan.
Ha! Jhr wißt nicht, wie viel fester
Jch nun mich an Euch drengen werde. -- Kommt,
Wir müssen, müssen Freunde seyn! -- Verachtet
Mein Volk so sehr Jhr wollt. Wir haben beyde
Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind
Wir unser Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Christ und Jude eher Christ und Jude,
Als Mensch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden hätte, dem es gnügt, ein Mensch
Zu heissen!
Tempelherr.
Ja, bey Gott, das habt Jhr, Nathan!
Das
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Zuerſt das auserwaͤhlte Volk ſich nannte?
Wie? wenn ich dieſes Volk nun, zwar nicht haßte,
Doch wegen ſeines Stolzes zu verachten,
Mich nicht entbrechen koͤnnte? Seines Stolzes;
Den es auf Chriſt und Muſelmann vererbte,
Nur ſein Gott ſey der rechte Gott! — Jhr ſtutzt,
Daß ich, ein Chriſt, ein Tempelherr, ſo rede?
Wenn hat, und wo die fromme Raſerey,
Den beſſern Gott zu haben, dieſen beſſern,
Der ganzen Welt als beſten aufzudringen,
Jn ihrer ſchwaͤrzeſten Geſtalt ſich mehr
Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt
Die Schuppen nicht vom Auge fallen … Doch
Sey blind, wer will! — Vergeßt, was ich geſagt;
Und laßt mich!
(will gehen.)
Nathan.
Ha! Jhr wißt nicht, wie viel feſter
Jch nun mich an Euch drengen werde. — Kommt,
Wir muͤſſen, muͤſſen Freunde ſeyn! — Verachtet
Mein Volk ſo ſehr Jhr wollt. Wir haben beyde
Uns unſer Volk nicht auserleſen. Sind
Wir unſer Volk? Was heißt denn Volk?
Sind Chriſt und Jude eher Chriſt und Jude,
Als Menſch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch
Gefunden haͤtte, dem es gnuͤgt, ein Menſch
Zu heiſſen!
Tempelherr.
Ja, bey Gott, das habt Jhr, Nathan!
Das
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[83/0091] Zuerſt das auserwaͤhlte Volk ſich nannte? Wie? wenn ich dieſes Volk nun, zwar nicht haßte, Doch wegen ſeines Stolzes zu verachten, Mich nicht entbrechen koͤnnte? Seines Stolzes; Den es auf Chriſt und Muſelmann vererbte, Nur ſein Gott ſey der rechte Gott! — Jhr ſtutzt, Daß ich, ein Chriſt, ein Tempelherr, ſo rede? Wenn hat, und wo die fromme Raſerey, Den beſſern Gott zu haben, dieſen beſſern, Der ganzen Welt als beſten aufzudringen, Jn ihrer ſchwaͤrzeſten Geſtalt ſich mehr Gezeigt, als hier, als itzt? Wem hier, wem itzt Die Schuppen nicht vom Auge fallen … Doch Sey blind, wer will! — Vergeßt, was ich geſagt; Und laßt mich! (will gehen.) Nathan. Ha! Jhr wißt nicht, wie viel feſter Jch nun mich an Euch drengen werde. — Kommt, Wir muͤſſen, muͤſſen Freunde ſeyn! — Verachtet Mein Volk ſo ſehr Jhr wollt. Wir haben beyde Uns unſer Volk nicht auserleſen. Sind Wir unſer Volk? Was heißt denn Volk? Sind Chriſt und Jude eher Chriſt und Jude, Als Menſch? Ah! wenn ich einen mehr in Euch Gefunden haͤtte, dem es gnuͤgt, ein Menſch Zu heiſſen! Tempelherr. Ja, bey Gott, das habt Jhr, Nathan! Das F 2

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/91>, abgerufen am 25.11.2024.