Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
Was gar zu Schlimmes gränzt: so thu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bey weiten nicht das Gute. -- War ja wohl
Natürlich; wenn das Christentöchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden sollte:
Daß Jhrs als Euer eigen Töchterchen
Erzögt. -- Das hättet ihr mit aller Lieb'
Und Treue nun gethan, und müßtet so
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ey freylich, klüger hättet ihr gethan;
Wenn Jhr die Christinn durch die zweyte Hand
Als Christinn auferziehen lassen: aber
So hättet Jhr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wärs eines wilden Thieres Lieb' auch nur,
Jn solchen Jahren mehr, als Christenthum.
Zum Christenthume hats noch immer Zeit.
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
So bliebs vor Gottes Augen, was es war.
Und ist denn nicht das ganze Christenthum
Aufs Jndenthum gebaut? Es hat mich oft
Geärgert, hat mir Thränen gnug gekostet,
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.
Nathan.
Jhr, guter Bruder, müßt mein Fürsprach seyn,
Wenn
M 5
Was gar zu Schlimmes graͤnzt: ſo thu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlaͤſſig kennen, aber
Bey weiten nicht das Gute. — War ja wohl
Natuͤrlich; wenn das Chriſtentoͤchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden ſollte:
Daß Jhrs als Euer eigen Toͤchterchen
Erzoͤgt. — Das haͤttet ihr mit aller Lieb’
Und Treue nun gethan, und muͤßtet ſo
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ey freylich, kluͤger haͤttet ihr gethan;
Wenn Jhr die Chriſtinn durch die zweyte Hand
Als Chriſtinn auferziehen laſſen: aber
So haͤttet Jhr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Waͤrs eines wilden Thieres Lieb’ auch nur,
Jn ſolchen Jahren mehr, als Chriſtenthum.
Zum Chriſtenthume hats noch immer Zeit.
Wenn nur das Maͤdchen ſonſt geſund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachſen iſt,
So bliebs vor Gottes Augen, was es war.
Und iſt denn nicht das ganze Chriſtenthum
Aufs Jndenthum gebaut? Es hat mich oft
Geaͤrgert, hat mir Thraͤnen gnug gekoſtet,
Wenn Chriſten gar ſo ſehr vergeſſen konnten,
Daß unſer Herr ja ſelbſt ein Jude war.
Nathan.
Jhr, guter Bruder, muͤßt mein Fuͤrſprach ſeyn,
Wenn
M 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#KLO">
              <p><pb facs="#f0193" n="185"/>
Was gar zu Schlimmes gra&#x0364;nzt: &#x017F;o thu ich lieber<lb/>
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar<lb/>
So ziemlich zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig kennen, aber<lb/>
Bey weiten nicht das Gute. &#x2014; War ja wohl<lb/>
Natu&#x0364;rlich; wenn das Chri&#x017F;tento&#x0364;chterchen<lb/>
Recht gut von Euch erzogen werden &#x017F;ollte:<lb/>
Daß Jhrs als Euer eigen To&#x0364;chterchen<lb/>
Erzo&#x0364;gt. &#x2014; Das ha&#x0364;ttet ihr mit aller Lieb&#x2019;<lb/>
Und Treue nun gethan, und mu&#x0364;ßtet &#x017F;o<lb/>
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.<lb/>
Ey freylich, klu&#x0364;ger ha&#x0364;ttet ihr gethan;<lb/>
Wenn Jhr die Chri&#x017F;tinn durch die zweyte Hand<lb/>
Als Chri&#x017F;tinn auferziehen la&#x017F;&#x017F;en: aber<lb/>
So ha&#x0364;ttet Jhr das Kindchen Eures Freunds<lb/>
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,<lb/>
Wa&#x0364;rs eines wilden Thieres Lieb&#x2019; auch nur,<lb/>
Jn &#x017F;olchen Jahren mehr, als Chri&#x017F;tenthum.<lb/>
Zum Chri&#x017F;tenthume hats noch immer Zeit.<lb/>
Wenn nur das Ma&#x0364;dchen &#x017F;on&#x017F;t ge&#x017F;und und fromm<lb/>
Vor Euern Augen aufgewach&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
So bliebs vor Gottes Augen, was es war.<lb/>
Und i&#x017F;t denn nicht das ganze Chri&#x017F;tenthum<lb/>
Aufs Jndenthum gebaut? Es hat mich oft<lb/>
Gea&#x0364;rgert, hat mir Thra&#x0364;nen gnug geko&#x017F;tet,<lb/>
Wenn Chri&#x017F;ten gar &#x017F;o &#x017F;ehr verge&#x017F;&#x017F;en konnten,<lb/>
Daß un&#x017F;er Herr ja &#x017F;elb&#x017F;t ein Jude war.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#NAT">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Jhr, guter Bruder, mu&#x0364;ßt mein Fu&#x0364;r&#x017F;prach &#x017F;eyn,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0193] Was gar zu Schlimmes graͤnzt: ſo thu ich lieber Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar So ziemlich zuverlaͤſſig kennen, aber Bey weiten nicht das Gute. — War ja wohl Natuͤrlich; wenn das Chriſtentoͤchterchen Recht gut von Euch erzogen werden ſollte: Daß Jhrs als Euer eigen Toͤchterchen Erzoͤgt. — Das haͤttet ihr mit aller Lieb’ Und Treue nun gethan, und muͤßtet ſo Belohnet werden? Das will mir nicht ein. Ey freylich, kluͤger haͤttet ihr gethan; Wenn Jhr die Chriſtinn durch die zweyte Hand Als Chriſtinn auferziehen laſſen: aber So haͤttet Jhr das Kindchen Eures Freunds Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe, Waͤrs eines wilden Thieres Lieb’ auch nur, Jn ſolchen Jahren mehr, als Chriſtenthum. Zum Chriſtenthume hats noch immer Zeit. Wenn nur das Maͤdchen ſonſt geſund und fromm Vor Euern Augen aufgewachſen iſt, So bliebs vor Gottes Augen, was es war. Und iſt denn nicht das ganze Chriſtenthum Aufs Jndenthum gebaut? Es hat mich oft Geaͤrgert, hat mir Thraͤnen gnug gekoſtet, Wenn Chriſten gar ſo ſehr vergeſſen konnten, Daß unſer Herr ja ſelbſt ein Jude war. Nathan. Jhr, guter Bruder, muͤßt mein Fuͤrſprach ſeyn, Wenn M 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/193
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/193>, abgerufen am 27.12.2024.