Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nach- bars hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort.
Und eben wollte er es auf einer alten Eiche ver- zehren, als sich ein Fuchs herbey schlich, und ihm zurief: Sey mir geseget, Vogel des Jupiters! -- Für wen siehst du mich an? fragte der Rabe. -- Für wen ich dich ansehe? erwiederte der Fuchs. Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechte des Zevs auf diese Eiche herab kömmt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?
Der Rabe erstaunte, und freute sich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrthume nicht brin-
gen.
D 3
XV. Der Rabe und der Fuchs.
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleiſch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen ſeines Nach- bars hingeworfen hatte, in ſeinen Klauen fort.
Und eben wollte er es auf einer alten Eiche ver- zehren, als ſich ein Fuchs herbey ſchlich, und ihm zurief: Sey mir geſeget, Vogel des Jupiters! — Für wen ſiehſt du mich an? fragte der Rabe. — Für wen ich dich anſehe? erwiederte der Fuchs. Biſt du nicht der rüſtige Adler, der täglich von der Rechte des Zevs auf dieſe Eiche herab kömmt, mich Armen zu ſpeiſen? Warum verſtellſt du dich? Sehe ich denn nicht in der ſiegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu ſchicken noch fortfährt?
Der Rabe erſtaunte, und freute ſich innig, für einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte er, den Fuchs aus dieſem Irrthume nicht brin-
gen.
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XV.
Der Rabe und der Fuchs.
Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleiſch, das
der erzürnte Gärtner für die Katzen ſeines Nach-
bars hingeworfen hatte, in ſeinen Klauen fort.
Und eben wollte er es auf einer alten Eiche ver-
zehren, als ſich ein Fuchs herbey ſchlich, und ihm
zurief: Sey mir geſeget, Vogel des Jupiters! —
Für wen ſiehſt du mich an? fragte der Rabe. —
Für wen ich dich anſehe? erwiederte der Fuchs.
Biſt du nicht der rüſtige Adler, der täglich von der
Rechte des Zevs auf dieſe Eiche herab kömmt, mich
Armen zu ſpeiſen? Warum verſtellſt du dich?
Sehe ich denn nicht in der ſiegreichen Klaue die
erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu
ſchicken noch fortfährt?
Der Rabe erſtaunte, und freute ſich innig, für
einen Adler gehalten zu werden. Ich muß, dachte
er, den Fuchs aus dieſem Irrthume nicht brin-
gen.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/73>, abgerufen am 06.07.2024.
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