Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
XVI.
Die Wespen.

Fäulniß und Verwesung zerstörten das stolze Ge-
bäu eines kriegerischen Rosses, das unter seinem
kühnen Reiter erschossen worden. Die Ruinen des
einen braucht die allzeit wirksame Natur, zu dem
Leben des andern. Und so floh auch ein Schwarm
junger Wespen aus dem beschmeißten Aase hervor.
O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur-
sprungs sind wir! Das prächtigste Roß, der Lieb-
ling Neptuns, ist unser Erzeuger!

Diese seltsame Prahlerey hörte der aufmerksame
Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner,
die sich nichts geringers als Abkömmlinge der alten
unsterblichen Römer zu seyn einbilden, weil sie auf
ihren Gräbern gebohren worden.



XVII. Die
XVI.
Die Wespen.

Fäulniß und Verweſung zerſtörten das ſtolze Ge-
bäu eines kriegeriſchen Roſſes, das unter ſeinem
kühnen Reiter erſchoſſen worden. Die Ruinen des
einen braucht die allzeit wirkſame Natur, zu dem
Leben des andern. Und ſo floh auch ein Schwarm
junger Wespen aus dem beſchmeißten Aaſe hervor.
O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur-
ſprungs ſind wir! Das prächtigſte Roß, der Lieb-
ling Neptuns, iſt unſer Erzeuger!

Dieſe ſeltſame Prahlerey hörte der aufmerkſame
Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner,
die ſich nichts geringers als Abkömmlinge der alten
unſterblichen Römer zu ſeyn einbilden, weil ſie auf
ihren Gräbern gebohren worden.



XVII. Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0040" n="20"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">XVI.</hi><lb/>
Die <hi rendition="#fr">Wespen.</hi></hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">F</hi>äulniß und Verwe&#x017F;ung zer&#x017F;törten das &#x017F;tolze Ge-<lb/>
bäu eines kriegeri&#x017F;chen Ro&#x017F;&#x017F;es, das unter &#x017F;einem<lb/>
kühnen Reiter er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en worden. Die Ruinen des<lb/>
einen braucht die allzeit wirk&#x017F;ame Natur, zu dem<lb/>
Leben des andern. Und &#x017F;o floh auch ein Schwarm<lb/>
junger Wespen aus dem be&#x017F;chmeißten Aa&#x017F;e hervor.<lb/>
O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur-<lb/>
&#x017F;prungs &#x017F;ind wir! Das prächtig&#x017F;te Roß, der Lieb-<lb/>
ling Neptuns, i&#x017F;t un&#x017F;er Erzeuger!</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e &#x017F;elt&#x017F;ame Prahlerey hörte der aufmerk&#x017F;ame<lb/>
Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner,<lb/>
die &#x017F;ich nichts geringers als Abkömmlinge der alten<lb/>
un&#x017F;terblichen Römer zu &#x017F;eyn einbilden, weil &#x017F;ie auf<lb/>
ihren Gräbern gebohren worden.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Die</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0040] XVI. Die Wespen. Fäulniß und Verweſung zerſtörten das ſtolze Ge- bäu eines kriegeriſchen Roſſes, das unter ſeinem kühnen Reiter erſchoſſen worden. Die Ruinen des einen braucht die allzeit wirkſame Natur, zu dem Leben des andern. Und ſo floh auch ein Schwarm junger Wespen aus dem beſchmeißten Aaſe hervor. O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur- ſprungs ſind wir! Das prächtigſte Roß, der Lieb- ling Neptuns, iſt unſer Erzeuger! Dieſe ſeltſame Prahlerey hörte der aufmerkſame Fabeldichter, und dachte an die heutigen Italiäner, die ſich nichts geringers als Abkömmlinge der alten unſterblichen Römer zu ſeyn einbilden, weil ſie auf ihren Gräbern gebohren worden. XVII. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/40
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/40>, abgerufen am 03.12.2024.