Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist wahr Quintilian sagt: Ego vero narrationem,
ut si ullam partem orationis, omni, qua potest, gra-
tia & venere exornandam puto
**;
und dieses muß
die Stelle seyn, worauf sich la Fontaine stützet.
Aber ist diese Grazie, diese Venus, die er der
Erzehlung so viel als möglich, obgleich nach Maaß-
gebung der Sache***, zu ertheilen befiehlet, ist die-
ses Lustigkeit? Ich sollte meinen, daß grade die
Lustigkeit dadurch ausgeschlossen werde. Doch der
Hauptpunkt ist hier dieser: Quintilian redet von
der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede,
und was er von dieser sagt, ziehet la Fontaine,
wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa-
bel. Er hätte diese Regel unter andern bey dem
Theon finden können. Der Grieche redet von dem
Vortrage der Erzehlung in der Chrie, -- wie plan,
wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie seyn! --
und setzt hinzu: en de tois muthois aplousteran ten er-
meneian eina[m] dei kai prosphue; kai os dunaton, aka-
taskeuon te ka[m] saphe:
Die Erzehlung der Fabel soll

noch
** Quinctilianus Inst. Orat. lib. IV. cap. 2.
*** Sed plurimum refert, quae sit natura ejus rei, quam exponi-
mus. Idem, ibidem.

Es iſt wahr Quintilian ſagt: Ego vero narrationem,
ut ſi ullam partem orationis, omni, qua poteſt, gra-
tia & venere exornandam puto
**;
und dieſes muß
die Stelle ſeyn, worauf ſich la Fontaine ſtützet.
Aber iſt dieſe Grazie, dieſe Venus, die er der
Erzehlung ſo viel als möglich, obgleich nach Maaß-
gebung der Sache***, zu ertheilen befiehlet, iſt die-
ſes Luſtigkeit? Ich ſollte meinen, daß grade die
Luſtigkeit dadurch ausgeſchloſſen werde. Doch der
Hauptpunkt iſt hier dieſer: Quintilian redet von
der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede,
und was er von dieſer ſagt, ziehet la Fontaine,
wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa-
bel. Er hätte dieſe Regel unter andern bey dem
Theon finden können. Der Grieche redet von dem
Vortrage der Erzehlung in der Chrie, — wie plan,
wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie ſeyn! —
und ſetzt hinzu: ἐν δε τοις μυϑοις ἀπλουϛεραν την ἐρ-
μηνειαν ἐινα[μ] δει ϰαι προσφυη· ϰαι ὡς δυνατον, ἀϰα-
τασϰευον τε ϰα[μ] σαφη:
Die Erzehlung der Fabel ſoll

noch
** Quinctilianus Inſt. Orat. lib. IV. cap. 2.
*** Sed plurimum refert, quæ ſit natura ejus rei, quam exponi-
mus. Idem, ibidem.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="220"/>
Es i&#x017F;t wahr <hi rendition="#fr">Quintilian</hi> &#x017F;agt: <cit><quote><hi rendition="#aq">Ego vero narrationem,<lb/>
ut &#x017F;i ullam partem orationis, omni, qua pote&#x017F;t, gra-<lb/>
tia &amp; venere exornandam puto</hi><note place="foot" n="**"><hi rendition="#aq">Quinctilianus In&#x017F;t. Orat. lib. IV. cap.</hi> 2.</note>;</quote><bibl/></cit> und die&#x017F;es muß<lb/>
die Stelle &#x017F;eyn, worauf &#x017F;ich <hi rendition="#fr">la Fontaine</hi> &#x017F;tützet.<lb/>
Aber i&#x017F;t die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Grazie,</hi> die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Venus,</hi> die er der<lb/>
Erzehlung &#x017F;o viel als möglich, obgleich nach Maaß-<lb/>
gebung der Sache<note place="foot" n="***"><hi rendition="#aq">Sed plurimum refert, quæ &#x017F;it natura ejus rei, quam exponi-<lb/>
mus. <hi rendition="#i">Idem, ibidem.</hi></hi></note>, zu ertheilen befiehlet, i&#x017F;t die-<lb/>
&#x017F;es <hi rendition="#fr">Lu&#x017F;tigkeit?</hi> Ich &#x017F;ollte meinen, daß grade die<lb/>
Lu&#x017F;tigkeit dadurch ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werde. Doch der<lb/>
Hauptpunkt i&#x017F;t hier die&#x017F;er: <hi rendition="#fr">Quintilian</hi> redet von<lb/>
der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede,<lb/>
und was er von die&#x017F;er &#x017F;agt, ziehet <hi rendition="#fr">la Fontaine,</hi><lb/>
wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa-<lb/>
bel. Er hätte die&#x017F;e Regel unter andern bey dem<lb/><hi rendition="#fr">Theon</hi> finden können. Der Grieche redet von dem<lb/>
Vortrage der Erzehlung in der Chrie, &#x2014; wie plan,<lb/>
wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie &#x017F;eyn! &#x2014;<lb/>
und &#x017F;etzt hinzu: <cit><quote>&#x1F10;&#x03BD; &#x03B4;&#x03B5; &#x03C4;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03BC;&#x03C5;&#x03D1;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x1F00;&#x03C0;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C5;&#x03DB;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B1;&#x03BD; &#x03C4;&#x03B7;&#x03BD; &#x1F10;&#x03C1;-<lb/>
&#x03BC;&#x03B7;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BD; &#x1F10;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B1;<supplied>&#x03BC;</supplied> &#x03B4;&#x03B5;&#x03B9; &#x03F0;&#x03B1;&#x03B9; &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03C6;&#x03C5;&#x03B7;&#x0387; &#x03F0;&#x03B1;&#x03B9; &#x1F61;&#x03C2; &#x03B4;&#x03C5;&#x03BD;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BD;, &#x1F00;&#x03F0;&#x03B1;-<lb/>
&#x03C4;&#x03B1;&#x03C3;&#x03F0;&#x03B5;&#x03C5;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x03B5; &#x03F0;&#x03B1;<supplied>&#x03BC;</supplied> &#x03C3;&#x03B1;&#x03C6;&#x03B7;:</quote><bibl/></cit> Die Erzehlung der Fabel &#x017F;oll<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">noch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0240] Es iſt wahr Quintilian ſagt: Ego vero narrationem, ut ſi ullam partem orationis, omni, qua poteſt, gra- tia & venere exornandam puto **; und dieſes muß die Stelle ſeyn, worauf ſich la Fontaine ſtützet. Aber iſt dieſe Grazie, dieſe Venus, die er der Erzehlung ſo viel als möglich, obgleich nach Maaß- gebung der Sache ***, zu ertheilen befiehlet, iſt die- ſes Luſtigkeit? Ich ſollte meinen, daß grade die Luſtigkeit dadurch ausgeſchloſſen werde. Doch der Hauptpunkt iſt hier dieſer: Quintilian redet von der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieſer ſagt, ziehet la Fontaine, wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa- bel. Er hätte dieſe Regel unter andern bey dem Theon finden können. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzehlung in der Chrie, — wie plan, wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie ſeyn! — und ſetzt hinzu: ἐν δε τοις μυϑοις ἀπλουϛεραν την ἐρ- μηνειαν ἐιναμ δει ϰαι προσφυη· ϰαι ὡς δυνατον, ἀϰα- τασϰευον τε ϰαμ σαφη: Die Erzehlung der Fabel ſoll noch ** Quinctilianus Inſt. Orat. lib. IV. cap. 2. *** Sed plurimum refert, quæ ſit natura ejus rei, quam exponi- mus. Idem, ibidem.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/240
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/240>, abgerufen am 02.05.2024.