Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Fabel sey; er gestand es zu, daß es ihr vornehmster
Schmuck sey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha-
ben. Er bekannte* mit der liebenswürdigsten Auf-
richtigkeit, "daß man die zierliche Präcision und
"die ausserordentliche Kürze, durch die sich Phä-
"drus
so sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden
"werde. Es wären dieses Eigenschaften, die zu
"erreichen, ihn seine Sprache zum Theil verhindert
"hätte; und bloß deswegen, weil er den Phädrus
"darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt,
"qu'il falloit en recompense egayer l'ouvrage plus qu'il
"n'a fait.
Alle die Lustigkeit,
sagt er, durch die ich
meine Fabeln aufgestützt habe, soll weiter nichts als
eine etwanige Schadloshaltung für wesentlichere
Schönheiten seyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un-
vermögend gewesen bin.
-- Welch Bekenntniß! In
meinen Augen macht ihm dieses Bekenntniß mehr
Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie
wunderbar ward es von dem französischen Publico
aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein
blosses Compliment machen, und hielt die Schad-

löshal-
* In der Vorrede zu seinen Fabeln.

Fabel ſey; er geſtand es zu, daß es ihr vornehmſter
Schmuck ſey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha-
ben. Er bekannte* mit der liebenswürdigſten Auf-
richtigkeit, „daß man die zierliche Präciſion und
„die auſſerordentliche Kürze, durch die ſich Phä-
„drus
ſo ſehr empfehle, in ſeinen Fabeln nicht finden
„werde. Es wären dieſes Eigenſchaften, die zu
„erreichen, ihn ſeine Sprache zum Theil verhindert
„hätte; und bloß deswegen, weil er den Phädrus
„darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt,
qu’il falloit en recompenſe egayer l’ouvrage plus qu’il
„n’a fait.
Alle die Luſtigkeit,
ſagt er, durch die ich
meine Fabeln aufgeſtützt habe, ſoll weiter nichts als
eine etwanige Schadloshaltung für weſentlichere
Schönheiten ſeyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un-
vermögend geweſen bin.
— Welch Bekenntniß! In
meinen Augen macht ihm dieſes Bekenntniß mehr
Ehre, als ihm alle ſeine Fabeln machen! Aber wie
wunderbar ward es von dem franzöſiſchen Publico
aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein
bloſſes Compliment machen, und hielt die Schad-

löshal-
* In der Vorrede zu ſeinen Fabeln.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="218"/>
Fabel &#x017F;ey; er ge&#x017F;tand es zu, daß es ihr vornehm&#x017F;ter<lb/>
Schmuck &#x017F;ey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha-<lb/>
ben. Er bekannte<note place="foot" n="*">In der Vorrede zu &#x017F;einen Fabeln.</note> mit der liebenswürdig&#x017F;ten Auf-<lb/>
richtigkeit, <cit><quote>&#x201E;daß man die zierliche Präci&#x017F;ion und<lb/>
&#x201E;die au&#x017F;&#x017F;erordentliche Kürze, durch die &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Phä-<lb/>
&#x201E;drus</hi> &#x017F;o &#x017F;ehr empfehle, in &#x017F;einen Fabeln nicht finden<lb/>
&#x201E;werde. Es wären die&#x017F;es Eigen&#x017F;chaften, die zu<lb/>
&#x201E;erreichen, ihn &#x017F;eine Sprache zum Theil verhindert<lb/>
&#x201E;hätte; und bloß deswegen, weil er den <hi rendition="#fr">Phädrus</hi><lb/>
&#x201E;darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt,<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">qu&#x2019;il falloit en recompen&#x017F;e egayer l&#x2019;ouvrage plus qu&#x2019;il<lb/>
&#x201E;n&#x2019;a fait.</hi> Alle die Lu&#x017F;tigkeit,</quote><bibl/></cit> &#x017F;agt er, <cit><quote>durch die ich<lb/>
meine Fabeln aufge&#x017F;tützt habe, &#x017F;oll weiter nichts als<lb/>
eine etwanige Schadloshaltung für we&#x017F;entlichere<lb/>
Schönheiten &#x017F;eyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un-<lb/>
vermögend gewe&#x017F;en bin.</quote><bibl/></cit> &#x2014; Welch Bekenntniß! In<lb/>
meinen Augen macht ihm die&#x017F;es Bekenntniß mehr<lb/>
Ehre, als ihm alle &#x017F;eine Fabeln machen! Aber wie<lb/>
wunderbar ward es von dem franzö&#x017F;i&#x017F;chen Publico<lb/>
aufgenommen! Es glaubte, <hi rendition="#fr">la Fontaine</hi> wolle ein<lb/>
blo&#x017F;&#x017F;es Compliment machen, und hielt die Schad-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">löshal-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0238] Fabel ſey; er geſtand es zu, daß es ihr vornehmſter Schmuck ſey, ganz und gar keinen Schmuck zu ha- ben. Er bekannte * mit der liebenswürdigſten Auf- richtigkeit, „daß man die zierliche Präciſion und „die auſſerordentliche Kürze, durch die ſich Phä- „drus ſo ſehr empfehle, in ſeinen Fabeln nicht finden „werde. Es wären dieſes Eigenſchaften, die zu „erreichen, ihn ſeine Sprache zum Theil verhindert „hätte; und bloß deswegen, weil er den Phädrus „darinn nicht nachahmen können, habe er geglaubt, „qu’il falloit en recompenſe egayer l’ouvrage plus qu’il „n’a fait. Alle die Luſtigkeit, ſagt er, durch die ich meine Fabeln aufgeſtützt habe, ſoll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für weſentlichere Schönheiten ſeyn, die ich ihnen zu ertheilen zu un- vermögend geweſen bin. — Welch Bekenntniß! In meinen Augen macht ihm dieſes Bekenntniß mehr Ehre, als ihm alle ſeine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem franzöſiſchen Publico aufgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein bloſſes Compliment machen, und hielt die Schad- löshal- * In der Vorrede zu ſeinen Fabeln.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/238
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/238>, abgerufen am 02.05.2024.