Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Emilia Galotti.


nicht verleumde! -- bekleidet mit keiner Verwün-
schung -- Die Verwünschung denk' ich hinzu. --
Der Name Marinelli war das letzte Wort des
sterbenden Grafen.
Marinelli. Des sterbenden Grafen? Gra-
fen Appiani? -- Sie hören, gnädige Frau,
was mir in ihrer seltsamen Rede am meisten auf-
fällt. -- Des sterbenden Grafen? -- Was Sie
sonst sagen wollen, versteh' ich nicht.
Claudia. (bitter und langsam) Der Name Ma-
rinelli war das letzte Wort des sterbenden Gra-
fen! -- Verstehen Sie nun? -- Jch verstand
es erst auch nicht: ob schon mit einem Tone ge-
sprochen -- mit einem Tone! -- Jch höre ihn
noch! Wo waren meine Sinne, daß sie diesen
Ton nicht sogleich verstanden?
Marinelli. Nun, gnädige Frau? -- Jch
war von je her des Grafen Freund; sein vertrau-
tester Freund. Also, wenn er mich noch im Ster-
ben nannte --
Claudia. Mit dem Tone? -- Jch kann ihn
nicht nachahmen? ich kann ihn nicht beschreiben:
aber er enthielt alles! alles! -- Was? Räuber
wären
Emilia Galotti.


nicht verleumde! — bekleidet mit keiner Verwuͤn-
ſchung — Die Verwuͤnſchung denk’ ich hinzu. —
Der Name Marinelli war das letzte Wort des
ſterbenden Grafen.
Marinelli. Des ſterbenden Grafen? Gra-
fen Appiani? — Sie hoͤren, gnaͤdige Frau,
was mir in ihrer ſeltſamen Rede am meiſten auf-
faͤllt. — Des ſterbenden Grafen? — Was Sie
ſonſt ſagen wollen, verſteh’ ich nicht.
Claudia. (bitter und langſam) Der Name Ma-
rinelli war das letzte Wort des ſterbenden Gra-
fen! — Verſtehen Sie nun? — Jch verſtand
es erſt auch nicht: ob ſchon mit einem Tone ge-
ſprochen — mit einem Tone! — Jch hoͤre ihn
noch! Wo waren meine Sinne, daß ſie dieſen
Ton nicht ſogleich verſtanden?
Marinelli. Nun, gnaͤdige Frau? — Jch
war von je her des Grafen Freund; ſein vertrau-
teſter Freund. Alſo, wenn er mich noch im Ster-
ben nannte —
Claudia. Mit dem Tone? — Jch kann ihn
nicht nachahmen? ich kann ihn nicht beſchreiben:
aber er enthielt alles! alles! — Was? Raͤuber
waͤren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#CLA">
            <p><pb facs="#f0092" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Emilia Galotti.</hi></fw><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
nicht verleumde! &#x2014; bekleidet mit keiner Verwu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;chung &#x2014; Die Verwu&#x0364;n&#x017F;chung denk&#x2019; ich hinzu. &#x2014;<lb/>
Der Name Marinelli war das letzte Wort des<lb/>
&#x017F;terbenden Grafen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MAR">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Marinelli.</hi> </speaker>
            <p>Des &#x017F;terbenden Grafen? Gra-<lb/>
fen Appiani? &#x2014; Sie ho&#x0364;ren, gna&#x0364;dige Frau,<lb/>
was mir in ihrer &#x017F;elt&#x017F;amen Rede am mei&#x017F;ten auf-<lb/>
fa&#x0364;llt. &#x2014; Des &#x017F;terbenden Grafen? &#x2014; Was Sie<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;agen wollen, ver&#x017F;teh&#x2019; ich nicht.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#CLA">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Claudia.</hi> </speaker>
            <stage>(bitter und lang&#x017F;am)</stage>
            <p>Der Name Ma-<lb/>
rinelli war das letzte Wort des &#x017F;terbenden Gra-<lb/>
fen! &#x2014; Ver&#x017F;tehen Sie nun? &#x2014; Jch ver&#x017F;tand<lb/>
es er&#x017F;t auch nicht: ob &#x017F;chon mit einem Tone ge-<lb/>
&#x017F;prochen &#x2014; mit einem Tone! &#x2014; Jch ho&#x0364;re ihn<lb/>
noch! Wo waren meine Sinne, daß &#x017F;ie die&#x017F;en<lb/>
Ton nicht &#x017F;ogleich ver&#x017F;tanden?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MAR">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Marinelli.</hi> </speaker>
            <p>Nun, gna&#x0364;dige Frau? &#x2014; Jch<lb/>
war von je her des Grafen Freund; &#x017F;ein vertrau-<lb/>
te&#x017F;ter Freund. Al&#x017F;o, wenn er mich noch im Ster-<lb/>
ben nannte &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#CLA">
            <speaker> <hi rendition="#fr">Claudia.</hi> </speaker>
            <p>Mit dem Tone? &#x2014; Jch kann ihn<lb/>
nicht nachahmen? ich kann ihn nicht be&#x017F;chreiben:<lb/>
aber er enthielt alles! alles! &#x2014; Was? Ra&#x0364;uber<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wa&#x0364;ren</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0092] Emilia Galotti. nicht verleumde! — bekleidet mit keiner Verwuͤn- ſchung — Die Verwuͤnſchung denk’ ich hinzu. — Der Name Marinelli war das letzte Wort des ſterbenden Grafen. Marinelli. Des ſterbenden Grafen? Gra- fen Appiani? — Sie hoͤren, gnaͤdige Frau, was mir in ihrer ſeltſamen Rede am meiſten auf- faͤllt. — Des ſterbenden Grafen? — Was Sie ſonſt ſagen wollen, verſteh’ ich nicht. Claudia. (bitter und langſam) Der Name Ma- rinelli war das letzte Wort des ſterbenden Gra- fen! — Verſtehen Sie nun? — Jch verſtand es erſt auch nicht: ob ſchon mit einem Tone ge- ſprochen — mit einem Tone! — Jch hoͤre ihn noch! Wo waren meine Sinne, daß ſie dieſen Ton nicht ſogleich verſtanden? Marinelli. Nun, gnaͤdige Frau? — Jch war von je her des Grafen Freund; ſein vertrau- teſter Freund. Alſo, wenn er mich noch im Ster- ben nannte — Claudia. Mit dem Tone? — Jch kann ihn nicht nachahmen? ich kann ihn nicht beſchreiben: aber er enthielt alles! alles! — Was? Raͤuber waͤren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_emilia_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_emilia_1772/92
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_emilia_1772/92>, abgerufen am 03.05.2024.