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Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772.

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Emilia Galotti.


Odoardo. Was? Dahin wäre es gekom-
men? nicht doch; nicht doch! Besinne dich. --
Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.
Emilia. Und nur eine Unschuld!
Odoardo. Die über alle Gewalt erhaben ist.--
Emilia. Aber nicht über alle Verführung. --
Gewalt! Gewalt! wer kan der Gewalt nicht trog
tzen? Was Gewalt heist, ist nichts: Verführunn
ist die wahre Gewalt. -- Jch habe Blut, mein
Vater; so jugendliches, so warmes Blut, als eine.
Auch meine Sinne, sind Sinne. Jch stehe für
nichts. Jch bin für nichts gut. Jch kenne das
Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude.
Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mut-
ter; -- und es erhob sich so mancher Tumult in
meiner Seele, den die strengsten Uebungen der Re-
ligion kaum in Wochen besänftigen konnten! --
Der Religion! Und welcher Religion? -- Nichts
Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in
die Fluthen, und sind Heilige! -- Geben Sie
mir, mein Vater, geben Sie mir diesen Dolch.
Odoardo. Und wenn du ihn kenntest diesen
Dolch! --
Emilia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! --
Ein unbekannter Freund, ist auch ein Freund. --
Geben Sie mir ihn, mein Vater; geben Sie
mir ihn.
Odoar-
K 3
Emilia Galotti.


Odoardo. Was? Dahin waͤre es gekom-
men? nicht doch; nicht doch! Beſinne dich. —
Auch du haſt nur ein Leben zu verlieren.
Emilia. Und nur eine Unſchuld!
Odoardo. Die uͤber alle Gewalt erhaben iſt.—
Emilia. Aber nicht uͤber alle Verfuͤhrung. —
Gewalt! Gewalt! wer kan der Gewalt nicht trog
tzen? Was Gewalt heiſt, iſt nichts: Verfuͤhrunn
iſt die wahre Gewalt. — Jch habe Blut, mein
Vater; ſo jugendliches, ſo warmes Blut, als eine.
Auch meine Sinne, ſind Sinne. Jch ſtehe fuͤr
nichts. Jch bin fuͤr nichts gut. Jch kenne das
Haus der Grimaldi. Es iſt das Haus der Freude.
Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mut-
ter; — und es erhob ſich ſo mancher Tumult in
meiner Seele, den die ſtrengſten Uebungen der Re-
ligion kaum in Wochen beſaͤnftigen konnten! —
Der Religion! Und welcher Religion? — Nichts
Schlimmers zu vermeiden, ſprangen Tauſende in
die Fluthen, und ſind Heilige! — Geben Sie
mir, mein Vater, geben Sie mir dieſen Dolch.
Odoardo. Und wenn du ihn kennteſt dieſen
Dolch! —
Emilia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! —
Ein unbekannter Freund, iſt auch ein Freund. —
Geben Sie mir ihn, mein Vater; geben Sie
mir ihn.
Odoar-
K 3
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[149/0153] Emilia Galotti. Odoardo. Was? Dahin waͤre es gekom- men? nicht doch; nicht doch! Beſinne dich. — Auch du haſt nur ein Leben zu verlieren. Emilia. Und nur eine Unſchuld! Odoardo. Die uͤber alle Gewalt erhaben iſt.— Emilia. Aber nicht uͤber alle Verfuͤhrung. — Gewalt! Gewalt! wer kan der Gewalt nicht trog tzen? Was Gewalt heiſt, iſt nichts: Verfuͤhrunn iſt die wahre Gewalt. — Jch habe Blut, mein Vater; ſo jugendliches, ſo warmes Blut, als eine. Auch meine Sinne, ſind Sinne. Jch ſtehe fuͤr nichts. Jch bin fuͤr nichts gut. Jch kenne das Haus der Grimaldi. Es iſt das Haus der Freude. Eine Stunde da, unter den Augen meiner Mut- ter; — und es erhob ſich ſo mancher Tumult in meiner Seele, den die ſtrengſten Uebungen der Re- ligion kaum in Wochen beſaͤnftigen konnten! — Der Religion! Und welcher Religion? — Nichts Schlimmers zu vermeiden, ſprangen Tauſende in die Fluthen, und ſind Heilige! — Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir dieſen Dolch. Odoardo. Und wenn du ihn kennteſt dieſen Dolch! — Emilia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! — Ein unbekannter Freund, iſt auch ein Freund. — Geben Sie mir ihn, mein Vater; geben Sie mir ihn. Odoar- K 3

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_emilia_1772/153>, abgerufen am 25.11.2024.