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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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bessern müsse. Jn der Tragödie möchte diese
Regel noch eher gelten; sie kann uns da mit dem
Schicksale versöhnen, und Murren in Mitleid
kehren. Aber in der Komödie, denke ich, hilft
sie nicht allein nichts, sondern sie verdirbt viel-
mehr vieles. Wenigstens macht sie immer den
Ausgang schielend, und kalt, und einförmig.
Wenn die verschiednen Charaktere, welche ich
in eine Handlung verbinde, nur diese Handlung
zu Ende bringen, warum sollen sie nicht bleiben,
wie sie waren? Aber freylich muß die Handlung
sodann in etwas mehr, als in einer bloßen Colli-
sion der Charaktere, bestehen. Diese kann aller-
dings nicht anders, als durch Nachgebung und
Veränderung des einen Theiles dieser Charak-
tere, geendet werden; und ein Stück, das wenig
oder nichts mehr hat als sie, nähert sich nicht so-
wohl seinem Ziele, sondern schläft vielmehr nach
und nach ein. Wenn hingegen jene Collision,
die Handlung mag sich ihrem Ende nähern, so
viel als sie will, dennoch gleich stark fortdauert:
so begreift man leicht, daß das Ende eben so leb-
haft und unterhaltend seyn kann, als die Mitte
nur immer war. Und das ist gerade der Unter-
schied, der sich zwischen dem letzten Akte des Te-
renz, und dem letzten unsers Verfassers befin-
det. Sobald wir in diesem hören, daß der
strenge Vater hinter die Wahrheit gekommen:
so können wir uns das Uebrige alles an den Fin-

gern

beſſern müſſe. Jn der Tragödie möchte dieſe
Regel noch eher gelten; ſie kann uns da mit dem
Schickſale verſöhnen, und Murren in Mitleid
kehren. Aber in der Komödie, denke ich, hilft
ſie nicht allein nichts, ſondern ſie verdirbt viel-
mehr vieles. Wenigſtens macht ſie immer den
Ausgang ſchielend, und kalt, und einförmig.
Wenn die verſchiednen Charaktere, welche ich
in eine Handlung verbinde, nur dieſe Handlung
zu Ende bringen, warum ſollen ſie nicht bleiben,
wie ſie waren? Aber freylich muß die Handlung
ſodann in etwas mehr, als in einer bloßen Colli-
ſion der Charaktere, beſtehen. Dieſe kann aller-
dings nicht anders, als durch Nachgebung und
Veränderung des einen Theiles dieſer Charak-
tere, geendet werden; und ein Stück, das wenig
oder nichts mehr hat als ſie, nähert ſich nicht ſo-
wohl ſeinem Ziele, ſondern ſchläft vielmehr nach
und nach ein. Wenn hingegen jene Colliſion,
die Handlung mag ſich ihrem Ende nähern, ſo
viel als ſie will, dennoch gleich ſtark fortdauert:
ſo begreift man leicht, daß das Ende eben ſo leb-
haft und unterhaltend ſeyn kann, als die Mitte
nur immer war. Und das iſt gerade der Unter-
ſchied, der ſich zwiſchen dem letzten Akte des Te-
renz, und dem letzten unſers Verfaſſers befin-
det. Sobald wir in dieſem hören, daß der
ſtrenge Vater hinter die Wahrheit gekommen:
ſo können wir uns das Uebrige alles an den Fin-

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[370/0376] beſſern müſſe. Jn der Tragödie möchte dieſe Regel noch eher gelten; ſie kann uns da mit dem Schickſale verſöhnen, und Murren in Mitleid kehren. Aber in der Komödie, denke ich, hilft ſie nicht allein nichts, ſondern ſie verdirbt viel- mehr vieles. Wenigſtens macht ſie immer den Ausgang ſchielend, und kalt, und einförmig. Wenn die verſchiednen Charaktere, welche ich in eine Handlung verbinde, nur dieſe Handlung zu Ende bringen, warum ſollen ſie nicht bleiben, wie ſie waren? Aber freylich muß die Handlung ſodann in etwas mehr, als in einer bloßen Colli- ſion der Charaktere, beſtehen. Dieſe kann aller- dings nicht anders, als durch Nachgebung und Veränderung des einen Theiles dieſer Charak- tere, geendet werden; und ein Stück, das wenig oder nichts mehr hat als ſie, nähert ſich nicht ſo- wohl ſeinem Ziele, ſondern ſchläft vielmehr nach und nach ein. Wenn hingegen jene Colliſion, die Handlung mag ſich ihrem Ende nähern, ſo viel als ſie will, dennoch gleich ſtark fortdauert: ſo begreift man leicht, daß das Ende eben ſo leb- haft und unterhaltend ſeyn kann, als die Mitte nur immer war. Und das iſt gerade der Unter- ſchied, der ſich zwiſchen dem letzten Akte des Te- renz, und dem letzten unſers Verfaſſers befin- det. Sobald wir in dieſem hören, daß der ſtrenge Vater hinter die Wahrheit gekommen: ſo können wir uns das Uebrige alles an den Fin- gern

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/376>, abgerufen am 07.05.2024.