Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

mehrern gemein haben können; wenn wir schon
solche Etymologie nicht immer klar und sicher
angeben können.

Jch will mich bey einer so bekannten Sache
nicht verweilen: aber wundern muß ich mich,
wie die Ausleger des Aristoteles sich ihrer gleich-
wohl da nicht erinnern können, wo Aristoteles
so unwidersprechlich auf sie verweiset. Denn
was kann nunmehr wahrer, was kann klärer
seyn, als was der Philosoph von der Rücksicht
sagt, welche die Poesie bey Ertheilung der Na-
men auf das Allgemeine nimmt? Was kann
unleugbarer seyn, als daß epi men tes komo-
dias ede touto delon gegonen, daß sich diese
Rücksicht bey der Komödie besonders längst of-
fenbar gezeigt habe? Von ihrem ersten Ursprun-
ge an, das ist, sobald sich die Jambischen Dich-
ter von dem Besondern zu dem Allgemeinen er-
hoben, sobald aus der beleidigenden Satyre die
unterrichtende Komödie entstand: suchte man
jenes Allgemeine durch die Namen selbst anzu-
deuten. Der großsprecherische feige Soldat
hieß nicht wie dieser oder jener Anführer aus
diesem oder jenem Stamme: er hieß Pyrgopo-
linices, Hauptmann Mauerbrecher. Der
elende Schmaruzer, der diesem um das Maul
gieng, hieß nicht, wie ein gewisser armer
Schlucker in der Stadt: er hieß Artotrogus,
Brockenschröter. Der Jüngling, welcher

durch
P p 3

mehrern gemein haben können; wenn wir ſchon
ſolche Etymologie nicht immer klar und ſicher
angeben können.

Jch will mich bey einer ſo bekannten Sache
nicht verweilen: aber wundern muß ich mich,
wie die Ausleger des Ariſtoteles ſich ihrer gleich-
wohl da nicht erinnern können, wo Ariſtoteles
ſo unwiderſprechlich auf ſie verweiſet. Denn
was kann nunmehr wahrer, was kann klärer
ſeyn, als was der Philoſoph von der Rückſicht
ſagt, welche die Poeſie bey Ertheilung der Na-
men auf das Allgemeine nimmt? Was kann
unleugbarer ſeyn, als daß ἐπι μεν της ϰωμῳ-
διας ἠδη τουτο δηλον γεγονεν, daß ſich dieſe
Rückſicht bey der Komödie beſonders längſt of-
fenbar gezeigt habe? Von ihrem erſten Urſprun-
ge an, das iſt, ſobald ſich die Jambiſchen Dich-
ter von dem Beſondern zu dem Allgemeinen er-
hoben, ſobald aus der beleidigenden Satyre die
unterrichtende Komödie entſtand: ſuchte man
jenes Allgemeine durch die Namen ſelbſt anzu-
deuten. Der großſprecheriſche feige Soldat
hieß nicht wie dieſer oder jener Anführer aus
dieſem oder jenem Stamme: er hieß Pyrgopo-
linices, Hauptmann Mauerbrecher. Der
elende Schmaruzer, der dieſem um das Maul
gieng, hieß nicht, wie ein gewiſſer armer
Schlucker in der Stadt: er hieß Artotrogus,
Brockenſchröter. Der Jüngling, welcher

durch
P p 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0307" n="301"/>
mehrern gemein haben können; wenn wir &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;olche Etymologie nicht immer klar und &#x017F;icher<lb/>
angeben können.</p><lb/>
        <p>Jch will mich bey einer &#x017F;o bekannten Sache<lb/>
nicht verweilen: aber wundern muß ich mich,<lb/>
wie die Ausleger des Ari&#x017F;toteles &#x017F;ich ihrer gleich-<lb/>
wohl da nicht erinnern können, wo Ari&#x017F;toteles<lb/>
&#x017F;o unwider&#x017F;prechlich auf &#x017F;ie verwei&#x017F;et. Denn<lb/>
was kann nunmehr wahrer, was kann klärer<lb/>
&#x017F;eyn, als was der Philo&#x017F;oph von der Rück&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;agt, welche die Poe&#x017F;ie bey Ertheilung der Na-<lb/>
men auf das Allgemeine nimmt? Was kann<lb/>
unleugbarer &#x017F;eyn, als daß &#x1F10;&#x03C0;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BD; &#x03C4;&#x03B7;&#x03C2; &#x03F0;&#x03C9;&#x03BC;&#x1FF3;-<lb/>
&#x03B4;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C2; &#x1F20;&#x03B4;&#x03B7; &#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C4;&#x03BF; &#x03B4;&#x03B7;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; &#x03B3;&#x03B5;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B5;&#x03BD;, daß &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
Rück&#x017F;icht bey der Komödie be&#x017F;onders läng&#x017F;t of-<lb/>
fenbar gezeigt habe? Von ihrem er&#x017F;ten Ur&#x017F;prun-<lb/>
ge an, das i&#x017F;t, &#x017F;obald &#x017F;ich die Jambi&#x017F;chen Dich-<lb/>
ter von dem Be&#x017F;ondern zu dem Allgemeinen er-<lb/>
hoben, &#x017F;obald aus der beleidigenden Satyre die<lb/>
unterrichtende Komödie ent&#x017F;tand: &#x017F;uchte man<lb/>
jenes Allgemeine durch die Namen &#x017F;elb&#x017F;t anzu-<lb/>
deuten. Der groß&#x017F;precheri&#x017F;che feige Soldat<lb/>
hieß nicht wie die&#x017F;er oder jener Anführer aus<lb/>
die&#x017F;em oder jenem Stamme: er hieß Pyrgopo-<lb/>
linices, Hauptmann <hi rendition="#g">Mauerbrecher</hi>. Der<lb/>
elende Schmaruzer, der die&#x017F;em um das Maul<lb/>
gieng, hieß nicht, wie ein gewi&#x017F;&#x017F;er armer<lb/>
Schlucker in der Stadt: er hieß Artotrogus,<lb/><hi rendition="#g">Brocken&#x017F;chröter</hi>. Der Jüngling, welcher<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p 3</fw><fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0307] mehrern gemein haben können; wenn wir ſchon ſolche Etymologie nicht immer klar und ſicher angeben können. Jch will mich bey einer ſo bekannten Sache nicht verweilen: aber wundern muß ich mich, wie die Ausleger des Ariſtoteles ſich ihrer gleich- wohl da nicht erinnern können, wo Ariſtoteles ſo unwiderſprechlich auf ſie verweiſet. Denn was kann nunmehr wahrer, was kann klärer ſeyn, als was der Philoſoph von der Rückſicht ſagt, welche die Poeſie bey Ertheilung der Na- men auf das Allgemeine nimmt? Was kann unleugbarer ſeyn, als daß ἐπι μεν της ϰωμῳ- διας ἠδη τουτο δηλον γεγονεν, daß ſich dieſe Rückſicht bey der Komödie beſonders längſt of- fenbar gezeigt habe? Von ihrem erſten Urſprun- ge an, das iſt, ſobald ſich die Jambiſchen Dich- ter von dem Beſondern zu dem Allgemeinen er- hoben, ſobald aus der beleidigenden Satyre die unterrichtende Komödie entſtand: ſuchte man jenes Allgemeine durch die Namen ſelbſt anzu- deuten. Der großſprecheriſche feige Soldat hieß nicht wie dieſer oder jener Anführer aus dieſem oder jenem Stamme: er hieß Pyrgopo- linices, Hauptmann Mauerbrecher. Der elende Schmaruzer, der dieſem um das Maul gieng, hieß nicht, wie ein gewiſſer armer Schlucker in der Stadt: er hieß Artotrogus, Brockenſchröter. Der Jüngling, welcher durch P p 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/307
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/307>, abgerufen am 07.05.2024.