Bär gebohren zu seyn, als ein Mensch. Nein, kein Mensch kann unter Menschen so lange ver- lassen seyn! Man schleidere ihn hin, wohin man will: wenn er noch unter Menschen fällt, so fällt er unter Wesen, die, ehe er sich umge- sehen, wo er ist, auf allen Seiten bereit stehen, sich an ihn anzuketten. Sind es nicht vorneh- me, so sind es geringe! Sind es nicht glück- liche, so sind es unglückliche Menschen! Men- schen sind es doch immer. So wie ein Tropfen nur die Fläche des Wassers berühren darf, um von ihm aufgenommen zu werden und ganz in ihm zu verfließen: das Wasser heisse, wie es will, Lache oder Quelle, Strom oder See, Belt oder Ocean.
Gleichwohl soll diese dreyßigiährige Einsam- keit unter den Menschen, den Charakter des Dorval gebildet haben. Welcher Charakter kann ihn nun ähnlich sehen? Wer kann sich in ihm erkennen? nur zum kleinsten Theil in ihm erkennen?
Eine Ausflucht, finde ich doch, hat sich Di- derot auszusparen gesucht. Er sagt in dem Verfolge der angezogenen Stelle: "Jn der "ernsthaften Gattung werden die Charaktere "oft eben so allgemein seyn, als in der komi- "schen Gattung; sie werden aber allezeit weni- "ger individuell seyn, als in der Tragischen." Er würde sonach antworten: Der Charakter
des
Bär gebohren zu ſeyn, als ein Menſch. Nein, kein Menſch kann unter Menſchen ſo lange ver- laſſen ſeyn! Man ſchleidere ihn hin, wohin man will: wenn er noch unter Menſchen fällt, ſo fällt er unter Weſen, die, ehe er ſich umge- ſehen, wo er iſt, auf allen Seiten bereit ſtehen, ſich an ihn anzuketten. Sind es nicht vorneh- me, ſo ſind es geringe! Sind es nicht glück- liche, ſo ſind es unglückliche Menſchen! Men- ſchen ſind es doch immer. So wie ein Tropfen nur die Fläche des Waſſers berühren darf, um von ihm aufgenommen zu werden und ganz in ihm zu verfließen: das Waſſer heiſſe, wie es will, Lache oder Quelle, Strom oder See, Belt oder Ocean.
Gleichwohl ſoll dieſe dreyßigiährige Einſam- keit unter den Menſchen, den Charakter des Dorval gebildet haben. Welcher Charakter kann ihn nun ähnlich ſehen? Wer kann ſich in ihm erkennen? nur zum kleinſten Theil in ihm erkennen?
Eine Ausflucht, finde ich doch, hat ſich Di- derot auszuſparen geſucht. Er ſagt in dem Verfolge der angezogenen Stelle: „Jn der „ernſthaften Gattung werden die Charaktere „oft eben ſo allgemein ſeyn, als in der komi- „ſchen Gattung; ſie werden aber allezeit weni- „ger individuell ſeyn, als in der Tragiſchen.„ Er würde ſonach antworten: Der Charakter
des
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Bär gebohren zu ſeyn, als ein Menſch. Nein,
kein Menſch kann unter Menſchen ſo lange ver-
laſſen ſeyn! Man ſchleidere ihn hin, wohin
man will: wenn er noch unter Menſchen fällt,
ſo fällt er unter Weſen, die, ehe er ſich umge-
ſehen, wo er iſt, auf allen Seiten bereit ſtehen,
ſich an ihn anzuketten. Sind es nicht vorneh-
me, ſo ſind es geringe! Sind es nicht glück-
liche, ſo ſind es unglückliche Menſchen! Men-
ſchen ſind es doch immer. So wie ein Tropfen
nur die Fläche des Waſſers berühren darf, um
von ihm aufgenommen zu werden und ganz in
ihm zu verfließen: das Waſſer heiſſe, wie es
will, Lache oder Quelle, Strom oder See,
Belt oder Ocean.
Gleichwohl ſoll dieſe dreyßigiährige Einſam-
keit unter den Menſchen, den Charakter des
Dorval gebildet haben. Welcher Charakter
kann ihn nun ähnlich ſehen? Wer kann ſich in
ihm erkennen? nur zum kleinſten Theil in ihm
erkennen?
Eine Ausflucht, finde ich doch, hat ſich Di-
derot auszuſparen geſucht. Er ſagt in dem
Verfolge der angezogenen Stelle: „Jn der
„ernſthaften Gattung werden die Charaktere
„oft eben ſo allgemein ſeyn, als in der komi-
„ſchen Gattung; ſie werden aber allezeit weni-
„ger individuell ſeyn, als in der Tragiſchen.„
Er würde ſonach antworten: Der Charakter
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/293>, abgerufen am 22.11.2024.
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