Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

So wie Banks also den Ring gebraucht hat,
thut er nicht die beste Wirkung. Mich dünkt,
er würde eine weit bessere thun, wenn ihn die
Königinn ganz vergessen hätte, und er ihr plötz-
lich, aber auch zu spät, eingehändiget würde,
indem sie eben von der Unschuld, oder wenig-
stens geringern Schuld des Grafen, noch aus
andern Gründen überzeugt würde. Die Schen-
kung des Ringes hätte vor der Handlung des
Stücks lange müssen vorhergegangen seyn, und
blos der Graf hätte darauf rechnen müssen, aber
aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen
wollen, als bis er gesehen, daß man auf seine
Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn
zu sehr wider ihn eingenommen sey, als daß er
sie zu überzeugen hoffen könne, daß er sie also zu
bewegen suchen müsse. Und indem sie so bewegt
würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen;
die Erkennung seiner Unschuld und die Erinne-
rung ihres Versprechens, ihn auch dann, wenn
er schuldig seyn sollte, für unschuldig gelten zu
lassen, müßten sie auf einmal überraschen, aber
nicht eher überraschen, als bis es nicht mehr in ih-
rem Vermögen stehet, gerecht u. erkenntlich zu seyn.

Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in
sein Stück eingeflochten. -- Aber eine Ohrfeige
in einem Trauerspiele! Wie englisch, wie unan-
ständig! -- Ehe meine feinern Leser zu sehr dar-
über spotten, bitte ich sie, sich der Ohrfeige im

Cid
C 3

So wie Banks alſo den Ring gebraucht hat,
thut er nicht die beſte Wirkung. Mich dünkt,
er würde eine weit beſſere thun, wenn ihn die
Königinn ganz vergeſſen hätte, und er ihr plötz-
lich, aber auch zu ſpät, eingehändiget würde,
indem ſie eben von der Unſchuld, oder wenig-
ſtens geringern Schuld des Grafen, noch aus
andern Gründen überzeugt würde. Die Schen-
kung des Ringes hätte vor der Handlung des
Stücks lange müſſen vorhergegangen ſeyn, und
blos der Graf hätte darauf rechnen müſſen, aber
aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen
wollen, als bis er geſehen, daß man auf ſeine
Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn
zu ſehr wider ihn eingenommen ſey, als daß er
ſie zu überzeugen hoffen könne, daß er ſie alſo zu
bewegen ſuchen müſſe. Und indem ſie ſo bewegt
würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen;
die Erkennung ſeiner Unſchuld und die Erinne-
rung ihres Verſprechens, ihn auch dann, wenn
er ſchuldig ſeyn ſollte, für unſchuldig gelten zu
laſſen, müßten ſie auf einmal überraſchen, aber
nicht eher überraſchen, als bis es nicht mehr in ih-
rem Vermögen ſtehet, gerecht u. erkeñtlich zu ſeyn.

Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in
ſein Stück eingeflochten. — Aber eine Ohrfeige
in einem Trauerſpiele! Wie engliſch, wie unan-
ſtändig! — Ehe meine feinern Leſer zu ſehr dar-
über ſpotten, bitte ich ſie, ſich der Ohrfeige im

Cid
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0027" n="21"/>
        <p>So wie Banks al&#x017F;o den Ring gebraucht hat,<lb/>
thut er nicht die be&#x017F;te Wirkung. Mich dünkt,<lb/>
er würde eine weit be&#x017F;&#x017F;ere thun, wenn ihn die<lb/>
Königinn ganz verge&#x017F;&#x017F;en hätte, und er ihr plötz-<lb/>
lich, aber auch zu &#x017F;pät, eingehändiget würde,<lb/>
indem &#x017F;ie eben von der Un&#x017F;chuld, oder wenig-<lb/>
&#x017F;tens geringern Schuld des Grafen, noch aus<lb/>
andern Gründen überzeugt würde. Die Schen-<lb/>
kung des Ringes hätte vor der Handlung des<lb/>
Stücks lange mü&#x017F;&#x017F;en vorhergegangen &#x017F;eyn, und<lb/>
blos der Graf hätte darauf rechnen mü&#x017F;&#x017F;en, aber<lb/>
aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen<lb/>
wollen, als bis er ge&#x017F;ehen, daß man auf &#x017F;eine<lb/>
Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn<lb/>
zu &#x017F;ehr wider ihn eingenommen &#x017F;ey, als daß er<lb/>
&#x017F;ie zu überzeugen hoffen könne, daß er &#x017F;ie al&#x017F;o zu<lb/>
bewegen &#x017F;uchen mü&#x017F;&#x017F;e. Und indem &#x017F;ie &#x017F;o bewegt<lb/>
würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen;<lb/>
die Erkennung &#x017F;einer Un&#x017F;chuld und die Erinne-<lb/>
rung ihres Ver&#x017F;prechens, ihn auch dann, wenn<lb/>
er &#x017F;chuldig &#x017F;eyn &#x017F;ollte, für un&#x017F;chuldig gelten zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, müßten &#x017F;ie auf einmal überra&#x017F;chen, aber<lb/>
nicht eher überra&#x017F;chen, als bis es nicht mehr in ih-<lb/>
rem Vermögen &#x017F;tehet, gerecht u. erken&#x0303;tlich zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in<lb/>
&#x017F;ein Stück eingeflochten. &#x2014; Aber eine Ohrfeige<lb/>
in einem Trauer&#x017F;piele! Wie engli&#x017F;ch, wie unan-<lb/>
&#x017F;tändig! &#x2014; Ehe meine feinern Le&#x017F;er zu &#x017F;ehr dar-<lb/>
über &#x017F;potten, bitte ich &#x017F;ie, &#x017F;ich der Ohrfeige im<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Cid</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0027] So wie Banks alſo den Ring gebraucht hat, thut er nicht die beſte Wirkung. Mich dünkt, er würde eine weit beſſere thun, wenn ihn die Königinn ganz vergeſſen hätte, und er ihr plötz- lich, aber auch zu ſpät, eingehändiget würde, indem ſie eben von der Unſchuld, oder wenig- ſtens geringern Schuld des Grafen, noch aus andern Gründen überzeugt würde. Die Schen- kung des Ringes hätte vor der Handlung des Stücks lange müſſen vorhergegangen ſeyn, und blos der Graf hätte darauf rechnen müſſen, aber aus Edelmuth nicht eher Gebrauch davon machen wollen, als bis er geſehen, daß man auf ſeine Rechtfertigung nicht achte, daß die Königinn zu ſehr wider ihn eingenommen ſey, als daß er ſie zu überzeugen hoffen könne, daß er ſie alſo zu bewegen ſuchen müſſe. Und indem ſie ſo bewegt würde, müßte die Ueberzeugung dazu kommen; die Erkennung ſeiner Unſchuld und die Erinne- rung ihres Verſprechens, ihn auch dann, wenn er ſchuldig ſeyn ſollte, für unſchuldig gelten zu laſſen, müßten ſie auf einmal überraſchen, aber nicht eher überraſchen, als bis es nicht mehr in ih- rem Vermögen ſtehet, gerecht u. erkeñtlich zu ſeyn. Viel glücklicher hat Banks die Ohrfeige in ſein Stück eingeflochten. — Aber eine Ohrfeige in einem Trauerſpiele! Wie engliſch, wie unan- ſtändig! — Ehe meine feinern Leſer zu ſehr dar- über ſpotten, bitte ich ſie, ſich der Ohrfeige im Cid C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/27
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/27>, abgerufen am 21.11.2024.