Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

sie mit allem didaktischen Ernste wiederhohlt,
und mit Proben begleitet wurden, in welchen
sich der Verfasser von einigen der gerügten
Mängel zu entfernen, und den Weg der Natur
und Täuschung besser einzuschlagen, bemüht hatte.
Nun weckte der Neid die Critik. Nun war es
klar, warum Diderot das Theater seiner Nation
auf dem Gipfel der Vollkommenheit nicht sahe,
auf dem wir es durchaus glauben sollen; warum
er so viel Fehler in den gepriesenen Meister-
stücken desselben fand: blos und allein, um seinen
Stücken Platz zu schaffen. Er mußte die Me-
thode seiner Vorgänger verschrien haben, weil
er empfand, daß in Befolgung der nehmlichen
Methode, er unendlich unter ihnen bleiben wür-
de. Er mußte ein elender Charlatan seyn, der
allen fremden Theriak verachtet, damit kein
Mensch andern als seinen kaufe. Und so fielen
die Palissots über seine Stücke her.

Allerdings hatte er ihnen auch, in seinem na-
türlichen Sohne
, manche Blöße gegeben.
Dieser erste Versuch ist bey weiten das nicht,
was der Hausvater ist. Zu viel Einförmigkeit
in den Charakteren, das Romantische in diesen
Charakteren selbst, ein steifer kostbarer Dialog,
ein pedantisches Geklingle von neumodisch phi-
losophischen Sentenzen: alles das machte den
Tadlern leichtes Spiel. Besonders zog die
feyerliche Theresia (oder Constantia, wie sie in

dem

ſie mit allem didaktiſchen Ernſte wiederhohlt,
und mit Proben begleitet wurden, in welchen
ſich der Verfaſſer von einigen der gerügten
Mängel zu entfernen, und den Weg der Natur
und Täuſchung beſſer einzuſchlagen, bemüht hatte.
Nun weckte der Neid die Critik. Nun war es
klar, warum Diderot das Theater ſeiner Nation
auf dem Gipfel der Vollkommenheit nicht ſahe,
auf dem wir es durchaus glauben ſollen; warum
er ſo viel Fehler in den geprieſenen Meiſter-
ſtücken deſſelben fand: blos und allein, um ſeinen
Stücken Platz zu ſchaffen. Er mußte die Me-
thode ſeiner Vorgänger verſchrien haben, weil
er empfand, daß in Befolgung der nehmlichen
Methode, er unendlich unter ihnen bleiben wür-
de. Er mußte ein elender Charlatan ſeyn, der
allen fremden Theriak verachtet, damit kein
Menſch andern als ſeinen kaufe. Und ſo fielen
die Paliſſots über ſeine Stücke her.

Allerdings hatte er ihnen auch, in ſeinem na-
türlichen Sohne
, manche Blöße gegeben.
Dieſer erſte Verſuch iſt bey weiten das nicht,
was der Hausvater iſt. Zu viel Einförmigkeit
in den Charakteren, das Romantiſche in dieſen
Charakteren ſelbſt, ein ſteifer koſtbarer Dialog,
ein pedantiſches Geklingle von neumodiſch phi-
loſophiſchen Sentenzen: alles das machte den
Tadlern leichtes Spiel. Beſonders zog die
feyerliche Thereſia (oder Conſtantia, wie ſie in

dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0269" n="263"/>
&#x017F;ie mit allem didakti&#x017F;chen Ern&#x017F;te wiederhohlt,<lb/>
und mit Proben begleitet wurden, in welchen<lb/>
&#x017F;ich der Verfa&#x017F;&#x017F;er von einigen der gerügten<lb/>
Mängel zu entfernen, und den Weg der Natur<lb/>
und Täu&#x017F;chung be&#x017F;&#x017F;er einzu&#x017F;chlagen, bemüht hatte.<lb/>
Nun weckte der Neid die Critik. Nun war es<lb/>
klar, warum Diderot das Theater &#x017F;einer Nation<lb/>
auf dem Gipfel der Vollkommenheit nicht &#x017F;ahe,<lb/>
auf dem wir es durchaus glauben &#x017F;ollen; warum<lb/>
er &#x017F;o viel Fehler in den geprie&#x017F;enen Mei&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;tücken de&#x017F;&#x017F;elben fand: blos und allein, um &#x017F;einen<lb/>
Stücken Platz zu &#x017F;chaffen. Er mußte die Me-<lb/>
thode &#x017F;einer Vorgänger ver&#x017F;chrien haben, weil<lb/>
er empfand, daß in Befolgung der nehmlichen<lb/>
Methode, er unendlich unter ihnen bleiben wür-<lb/>
de. Er mußte ein elender Charlatan &#x017F;eyn, der<lb/>
allen fremden Theriak verachtet, damit kein<lb/>
Men&#x017F;ch andern als &#x017F;einen kaufe. Und &#x017F;o fielen<lb/>
die Pali&#x017F;&#x017F;ots über &#x017F;eine Stücke her.</p><lb/>
        <p>Allerdings hatte er ihnen auch, in &#x017F;einem <hi rendition="#g">na-<lb/>
türlichen Sohne</hi>, manche Blöße gegeben.<lb/>
Die&#x017F;er er&#x017F;te Ver&#x017F;uch i&#x017F;t bey weiten das nicht,<lb/>
was der Hausvater i&#x017F;t. Zu viel Einförmigkeit<lb/>
in den Charakteren, das Romanti&#x017F;che in die&#x017F;en<lb/>
Charakteren &#x017F;elb&#x017F;t, ein &#x017F;teifer ko&#x017F;tbarer Dialog,<lb/>
ein pedanti&#x017F;ches Geklingle von neumodi&#x017F;ch phi-<lb/>
lo&#x017F;ophi&#x017F;chen Sentenzen: alles das machte den<lb/>
Tadlern leichtes Spiel. Be&#x017F;onders zog die<lb/>
feyerliche There&#x017F;ia (oder Con&#x017F;tantia, wie &#x017F;ie in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0269] ſie mit allem didaktiſchen Ernſte wiederhohlt, und mit Proben begleitet wurden, in welchen ſich der Verfaſſer von einigen der gerügten Mängel zu entfernen, und den Weg der Natur und Täuſchung beſſer einzuſchlagen, bemüht hatte. Nun weckte der Neid die Critik. Nun war es klar, warum Diderot das Theater ſeiner Nation auf dem Gipfel der Vollkommenheit nicht ſahe, auf dem wir es durchaus glauben ſollen; warum er ſo viel Fehler in den geprieſenen Meiſter- ſtücken deſſelben fand: blos und allein, um ſeinen Stücken Platz zu ſchaffen. Er mußte die Me- thode ſeiner Vorgänger verſchrien haben, weil er empfand, daß in Befolgung der nehmlichen Methode, er unendlich unter ihnen bleiben wür- de. Er mußte ein elender Charlatan ſeyn, der allen fremden Theriak verachtet, damit kein Menſch andern als ſeinen kaufe. Und ſo fielen die Paliſſots über ſeine Stücke her. Allerdings hatte er ihnen auch, in ſeinem na- türlichen Sohne, manche Blöße gegeben. Dieſer erſte Verſuch iſt bey weiten das nicht, was der Hausvater iſt. Zu viel Einförmigkeit in den Charakteren, das Romantiſche in dieſen Charakteren ſelbſt, ein ſteifer koſtbarer Dialog, ein pedantiſches Geklingle von neumodiſch phi- loſophiſchen Sentenzen: alles das machte den Tadlern leichtes Spiel. Beſonders zog die feyerliche Thereſia (oder Conſtantia, wie ſie in dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/269
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/269>, abgerufen am 28.04.2024.