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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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Hamburgische
Dramaturgie.


Zwey und achtzigstes Stück.





4. Aristoteles sagt: man muß keinen ganz
guten Mann, ohne alle sein Verschul-
den, in der Tragödie unglücklich wer-
den lassen; denn so was sey gräßlich. -- Ganz
recht, sagt Corneille; "ein solcher Ausgang er-
"weckt mehr Unwillen und Haß gegen den, wel-
"cher das Leiden verursacht, als Mitleid für
"den, welchen es trift. Jene Empfindung also,
"welche nicht die eigentliche Wirkung der Tra-
"gödie seyn soll, würde, wenn sie nicht sehr fein
"behandelt wäre, diese ersticken, die doch eigent-
"lich hervorgebracht werden sollte. Der Zu-
"schauer würde mißvergnügt weggehen, weil
"sich allzuviel Zorn mit dem Mitleiden ver-
"mischt, welches ihm gefallen hätte, wenn er
"es allein mit wegnehmen können. Aber --
kömmt Corneille hinten nach; denn mit einem Aber
muß er nachkommen, -- "aber, wenn diese Ur-

"sache
G g
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Zwey und achtzigſtes Stück.





4. Ariſtoteles ſagt: man muß keinen ganz
guten Mann, ohne alle ſein Verſchul-
den, in der Tragödie unglücklich wer-
den laſſen; denn ſo was ſey gräßlich. — Ganz
recht, ſagt Corneille; „ein ſolcher Ausgang er-
„weckt mehr Unwillen und Haß gegen den, wel-
„cher das Leiden verurſacht, als Mitleid für
„den, welchen es trift. Jene Empfindung alſo,
„welche nicht die eigentliche Wirkung der Tra-
„gödie ſeyn ſoll, würde, wenn ſie nicht ſehr fein
„behandelt wäre, dieſe erſticken, die doch eigent-
„lich hervorgebracht werden ſollte. Der Zu-
„ſchauer würde mißvergnügt weggehen, weil
„ſich allzuviel Zorn mit dem Mitleiden ver-
„miſcht, welches ihm gefallen hätte, wenn er
„es allein mit wegnehmen können. Aber —
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[[233]/0239] Hamburgiſche Dramaturgie. Zwey und achtzigſtes Stück. Den 12ten Februar, 1768. 4. Ariſtoteles ſagt: man muß keinen ganz guten Mann, ohne alle ſein Verſchul- den, in der Tragödie unglücklich wer- den laſſen; denn ſo was ſey gräßlich. — Ganz recht, ſagt Corneille; „ein ſolcher Ausgang er- „weckt mehr Unwillen und Haß gegen den, wel- „cher das Leiden verurſacht, als Mitleid für „den, welchen es trift. Jene Empfindung alſo, „welche nicht die eigentliche Wirkung der Tra- „gödie ſeyn ſoll, würde, wenn ſie nicht ſehr fein „behandelt wäre, dieſe erſticken, die doch eigent- „lich hervorgebracht werden ſollte. Der Zu- „ſchauer würde mißvergnügt weggehen, weil „ſich allzuviel Zorn mit dem Mitleiden ver- „miſcht, welches ihm gefallen hätte, wenn er „es allein mit wegnehmen können. Aber — kömmt Corneille hinten nach; denn mit einem Aber muß er nachkommen, — „aber, wenn dieſe Ur- „ſache G g

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [233]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/239>, abgerufen am 26.04.2024.