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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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Und so nach beschäftiget uns das Stück durch-
aus, und vergnügt durch diese Beschäftigung
unserer Seelenkräfte. Das ist wahr; nur die
Folge ist nicht wahr, die man daraus zu ziehen
meinet: nehmlich, daß wir also damit zufrieden
seyn können.

Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch
nichts damit verthan haben. Nicht genug, daß
sein Werk Wirkungen auf uns hat: es muß
auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung,
zukommen; es muß diese vornehmlich haben,
und alle andere können den Mangel derselben
auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die
Gattung von der Wichtigkeit und Schwierig-
keit, und Kostbarkeit ist, daß alle Mühe und
aller Aufwand vergebens wäre, wenn sie weiter
nichts als solche Wirkungen hervorbringen woll-
te, die durch eine leichtere und weniger Anstal-
ten erfordernde Gattung eben sowohl zu erhalten
wären. Ein Bund Stroh aufzuheben, muß
man keine Maschinen in Bewegung setzen; was
ich mit dem Fuße umstossen kann, muß ich nicht
mit einer Mine sprengen wollen; ich muß keinen
Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu
verbrennen.



Ham-

Und ſo nach beſchäftiget uns das Stück durch-
aus, und vergnügt durch dieſe Beſchäftigung
unſerer Seelenkräfte. Das iſt wahr; nur die
Folge iſt nicht wahr, die man daraus zu ziehen
meinet: nehmlich, daß wir alſo damit zufrieden
ſeyn können.

Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch
nichts damit verthan haben. Nicht genug, daß
ſein Werk Wirkungen auf uns hat: es muß
auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung,
zukommen; es muß dieſe vornehmlich haben,
und alle andere können den Mangel derſelben
auf keine Weiſe erſetzen; beſonders wenn die
Gattung von der Wichtigkeit und Schwierig-
keit, und Koſtbarkeit iſt, daß alle Mühe und
aller Aufwand vergebens wäre, wenn ſie weiter
nichts als ſolche Wirkungen hervorbringen woll-
te, die durch eine leichtere und weniger Anſtal-
ten erfordernde Gattung eben ſowohl zu erhalten
wären. Ein Bund Stroh aufzuheben, muß
man keine Maſchinen in Bewegung ſetzen; was
ich mit dem Fuße umſtoſſen kann, muß ich nicht
mit einer Mine ſprengen wollen; ich muß keinen
Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu
verbrennen.



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[216/0222] Und ſo nach beſchäftiget uns das Stück durch- aus, und vergnügt durch dieſe Beſchäftigung unſerer Seelenkräfte. Das iſt wahr; nur die Folge iſt nicht wahr, die man daraus zu ziehen meinet: nehmlich, daß wir alſo damit zufrieden ſeyn können. Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch nichts damit verthan haben. Nicht genug, daß ſein Werk Wirkungen auf uns hat: es muß auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung, zukommen; es muß dieſe vornehmlich haben, und alle andere können den Mangel derſelben auf keine Weiſe erſetzen; beſonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierig- keit, und Koſtbarkeit iſt, daß alle Mühe und aller Aufwand vergebens wäre, wenn ſie weiter nichts als ſolche Wirkungen hervorbringen woll- te, die durch eine leichtere und weniger Anſtal- ten erfordernde Gattung eben ſowohl zu erhalten wären. Ein Bund Stroh aufzuheben, muß man keine Maſchinen in Bewegung ſetzen; was ich mit dem Fuße umſtoſſen kann, muß ich nicht mit einer Mine ſprengen wollen; ich muß keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen. Ham-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/222>, abgerufen am 24.04.2024.