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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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Hamburgische
Dramaturgie.


Sechs und siebzigstes Stück.





Aber das ist grundfalsch! -- Jch kann mich
nicht genug wundern, wie Dacier, der
doch sonst auf die Verdrehungen ziemlich
aufmerksam war, welche Corneille von dem
Texte des Aristoteles zu seinem Besten zu ma-
chen suchte, diese größte von allen übersehen
können. Zwar, wie konnte er sie nicht überse-
hen, da es ihm nie einkam, des Philosophen
Erklärung vom Mitleid zu Rathe zu ziehen? --
Wie gesagt, es ist grundfalsch, was sich Cor-
neille einbildet. Aristoteles kann das nicht ge-
meint haben, oder man müßte glauben, daß er
seine eigene Erklärungen vergessen können, man
müßte glauben, daß er sich auf die handgreif-
lichste Weise widersprechen können. Wenn,
nach seiner Lehre, kein Uebel eines andern unser
Mitleid erreget, was wir nicht für uns selbst
fürchten: so konnte er mit keiner Handlung in

der
A a
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Sechs und ſiebzigſtes Stück.





Aber das iſt grundfalſch! — Jch kann mich
nicht genug wundern, wie Dacier, der
doch ſonſt auf die Verdrehungen ziemlich
aufmerkſam war, welche Corneille von dem
Texte des Ariſtoteles zu ſeinem Beſten zu ma-
chen ſuchte, dieſe größte von allen überſehen
können. Zwar, wie konnte er ſie nicht überſe-
hen, da es ihm nie einkam, des Philoſophen
Erklärung vom Mitleid zu Rathe zu ziehen? —
Wie geſagt, es iſt grundfalſch, was ſich Cor-
neille einbildet. Ariſtoteles kann das nicht ge-
meint haben, oder man müßte glauben, daß er
ſeine eigene Erklärungen vergeſſen können, man
müßte glauben, daß er ſich auf die handgreif-
lichſte Weiſe widerſprechen können. Wenn,
nach ſeiner Lehre, kein Uebel eines andern unſer
Mitleid erreget, was wir nicht für uns ſelbſt
fürchten: ſo konnte er mit keiner Handlung in

der
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[[185]/0191] Hamburgiſche Dramaturgie. Sechs und ſiebzigſtes Stück. Den 22ſten Januar, 1768. Aber das iſt grundfalſch! — Jch kann mich nicht genug wundern, wie Dacier, der doch ſonſt auf die Verdrehungen ziemlich aufmerkſam war, welche Corneille von dem Texte des Ariſtoteles zu ſeinem Beſten zu ma- chen ſuchte, dieſe größte von allen überſehen können. Zwar, wie konnte er ſie nicht überſe- hen, da es ihm nie einkam, des Philoſophen Erklärung vom Mitleid zu Rathe zu ziehen? — Wie geſagt, es iſt grundfalſch, was ſich Cor- neille einbildet. Ariſtoteles kann das nicht ge- meint haben, oder man müßte glauben, daß er ſeine eigene Erklärungen vergeſſen können, man müßte glauben, daß er ſich auf die handgreif- lichſte Weiſe widerſprechen können. Wenn, nach ſeiner Lehre, kein Uebel eines andern unſer Mitleid erreget, was wir nicht für uns ſelbſt fürchten: ſo konnte er mit keiner Handlung in der A a

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [185]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/191>, abgerufen am 21.11.2024.