Hamburgische Dramaturgie. Vier und siebzigstes Stück.
Den 15ten Januar, 1768.
Zur Sache. -- Es ist vornehmlich der Cha- rakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünschte.
Aristoteles würde ihn schlechterdings verwor- fen haben; zwar mit dem Ansehen des Aristote- les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte.
Die Tragödie, nimt er an, soll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held derselben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht seyn müsse. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke, lasse sich jener Zweck erreichen.
Räume ich dieses ein: so ist Richard der Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver- fehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie ist.
Denn
Y
Hamburgiſche Dramaturgie. Vier und ſiebzigſtes Stück.
Den 15ten Januar, 1768.
Zur Sache. — Es iſt vornehmlich der Cha- rakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünſchte.
Ariſtoteles würde ihn ſchlechterdings verwor- fen haben; zwar mit dem Anſehen des Ariſtote- les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit ſeinen Gründen zu werden wüßte.
Die Tragödie, nimt er an, ſoll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held derſelben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Böſewicht ſeyn müſſe. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke, laſſe ſich jener Zweck erreichen.
Räume ich dieſes ein: ſo iſt Richard der Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver- fehlt. Räume ich es nicht ein: ſo weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie iſt.
Denn
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Hamburgiſche
Dramaturgie.
Vier und ſiebzigſtes Stück.
Den 15ten Januar, 1768.
Zur Sache. — Es iſt vornehmlich der Cha-
rakter des Richards, worüber ich mir die
Erklärung des Dichters wünſchte.
Ariſtoteles würde ihn ſchlechterdings verwor-
fen haben; zwar mit dem Anſehen des Ariſtote-
les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es
nur auch mit ſeinen Gründen zu werden wüßte.
Die Tragödie, nimt er an, ſoll Mitleid und
Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß
der Held derſelben weder ein ganz tugendhafter
Mann, noch ein völliger Böſewicht ſeyn müſſe.
Denn weder mit des einen noch mit des andern
Unglücke, laſſe ſich jener Zweck erreichen.
Räume ich dieſes ein: ſo iſt Richard der
Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver-
fehlt. Räume ich es nicht ein: ſo weiß ich gar
nicht mehr, was eine Tragödie iſt.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/175>, abgerufen am 29.03.2024.
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