Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Hamburgische
Dramaturgie.


Vier und siebzigstes Stück.





Zur Sache. -- Es ist vornehmlich der Cha-
rakter des Richards, worüber ich mir die
Erklärung des Dichters wünschte.

Aristoteles würde ihn schlechterdings verwor-
fen haben; zwar mit dem Ansehen des Aristote-
les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es
nur auch mit seinen Gründen zu werden wüßte.

Die Tragödie, nimt er an, soll Mitleid und
Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß
der Held derselben weder ein ganz tugendhafter
Mann, noch ein völliger Bösewicht seyn müsse.
Denn weder mit des einen noch mit des andern
Unglücke, lasse sich jener Zweck erreichen.

Räume ich dieses ein: so ist Richard der
Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver-
fehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar
nicht mehr, was eine Tragödie ist.

Denn
Y
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Vier und ſiebzigſtes Stück.





Zur Sache. — Es iſt vornehmlich der Cha-
rakter des Richards, worüber ich mir die
Erklärung des Dichters wünſchte.

Ariſtoteles würde ihn ſchlechterdings verwor-
fen haben; zwar mit dem Anſehen des Ariſtote-
les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es
nur auch mit ſeinen Gründen zu werden wüßte.

Die Tragödie, nimt er an, ſoll Mitleid und
Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß
der Held derſelben weder ein ganz tugendhafter
Mann, noch ein völliger Böſewicht ſeyn müſſe.
Denn weder mit des einen noch mit des andern
Unglücke, laſſe ſich jener Zweck erreichen.

Räume ich dieſes ein: ſo iſt Richard der
Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver-
fehlt. Räume ich es nicht ein: ſo weiß ich gar
nicht mehr, was eine Tragödie iſt.

Denn
Y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0175" n="[169]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Hamburgi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#g">Dramaturgie</hi>.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Vier und &#x017F;iebzig&#x017F;tes Stück.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#c">Den 15ten Januar, 1768.</hi> </dateline><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">Z</hi>ur Sache. &#x2014; Es i&#x017F;t vornehmlich der Cha-<lb/>
rakter des Richards, worüber ich mir die<lb/>
Erklärung des Dichters wün&#x017F;chte.</p><lb/>
        <p>Ari&#x017F;toteles würde ihn &#x017F;chlechterdings verwor-<lb/>
fen haben; zwar mit dem An&#x017F;ehen des Ari&#x017F;tote-<lb/>
les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es<lb/>
nur auch mit &#x017F;einen Gründen zu werden wüßte.</p><lb/>
        <p>Die Tragödie, nimt er an, &#x017F;oll Mitleid und<lb/>
Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß<lb/>
der Held der&#x017F;elben weder ein ganz tugendhafter<lb/>
Mann, noch ein völliger Bö&#x017F;ewicht &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Denn weder mit des einen noch mit des andern<lb/>
Unglücke, la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich jener Zweck erreichen.</p><lb/>
        <p>Räume ich die&#x017F;es ein: &#x017F;o i&#x017F;t Richard der<lb/>
Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver-<lb/>
fehlt. Räume ich es nicht ein: &#x017F;o weiß ich gar<lb/>
nicht mehr, was eine Tragödie i&#x017F;t.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">Y</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Denn</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[169]/0175] Hamburgiſche Dramaturgie. Vier und ſiebzigſtes Stück. Den 15ten Januar, 1768. Zur Sache. — Es iſt vornehmlich der Cha- rakter des Richards, worüber ich mir die Erklärung des Dichters wünſchte. Ariſtoteles würde ihn ſchlechterdings verwor- fen haben; zwar mit dem Anſehen des Ariſtote- les wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit ſeinen Gründen zu werden wüßte. Die Tragödie, nimt er an, ſoll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held derſelben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Böſewicht ſeyn müſſe. Denn weder mit des einen noch mit des andern Unglücke, laſſe ſich jener Zweck erreichen. Räume ich dieſes ein: ſo iſt Richard der Dritte eine Tragödie, die ihres Zweckes ver- fehlt. Räume ich es nicht ein: ſo weiß ich gar nicht mehr, was eine Tragödie iſt. Denn Y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/175
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/175>, abgerufen am 22.11.2024.