In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, seinen auf- geklärten Verstand zu zeigen, und die thä- tige Rolle des rechtschaffenen Mannes zu spielen. Aber Siegmund in der Komödie ist weiter nichts, als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus sei- ner Schwachheit eine Tugend macht, und sich sehr bele diget findet, daß man seinem zärtlichen Herzchen nicht durchgängig will Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Seine ganze Wirksamkeit läuft auf ein Paar mächtige Thorheiten heraus. Das Bürschchen will sich schlagen und erstechen.
Der Verfasser hat es selbst empfunden, daß sein Siegmund nicht in genugsamer Handlung erscheinet; aber er glaubt, diesem Einwurfe da- durch vorzubeugen, wenn er zu erwägen giebt:
"daß ein Mensch seines gleichen, in einer Zeit von vier und zwanzig Stunden, nicht wie ein
König,
J
Hamburgiſche Dramaturgie. Neuntes Stuͤck.
Den 29ſten May, 1767.
In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, ſeinen auf- geklaͤrten Verſtand zu zeigen, und die thaͤ- tige Rolle des rechtſchaffenen Mannes zu ſpielen. Aber Siegmund in der Komoͤdie iſt weiter nichts, als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus ſei- ner Schwachheit eine Tugend macht, und ſich ſehr bele diget findet, daß man ſeinem zaͤrtlichen Herzchen nicht durchgaͤngig will Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. Seine ganze Wirkſamkeit laͤuft auf ein Paar maͤchtige Thorheiten heraus. Das Buͤrſchchen will ſich ſchlagen und erſtechen.
Der Verfaſſer hat es ſelbſt empfunden, daß ſein Siegmund nicht in genugſamer Handlung erſcheinet; aber er glaubt, dieſem Einwurfe da- durch vorzubeugen, wenn er zu erwaͤgen giebt:
〟daß ein Menſch ſeines gleichen, in einer Zeit von vier und zwanzig Stunden, nicht wie ein
Koͤnig,
J
<TEI><text><body><pbfacs="#f0079"n="[65]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie.</hi><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Neuntes Stuͤck.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 29ſten May, 1767.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>n dem Romane hat St. Preux doch noch<lb/>
dann und wann Gelegenheit, ſeinen auf-<lb/>
geklaͤrten Verſtand zu zeigen, und die thaͤ-<lb/>
tige Rolle des rechtſchaffenen Mannes zu ſpielen.<lb/>
Aber Siegmund in der Komoͤdie iſt weiter nichts,<lb/>
als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus ſei-<lb/>
ner Schwachheit eine Tugend macht, und ſich<lb/>ſehr bele diget findet, daß man ſeinem zaͤrtlichen<lb/>
Herzchen nicht durchgaͤngig will Gerechtigkeit<lb/>
wiederfahren laſſen. Seine ganze Wirkſamkeit<lb/>
laͤuft auf ein Paar maͤchtige Thorheiten heraus.<lb/>
Das Buͤrſchchen will ſich ſchlagen und erſtechen.</p><lb/><p>Der Verfaſſer hat es ſelbſt empfunden, daß<lb/>ſein Siegmund nicht in genugſamer Handlung<lb/>
erſcheinet; aber er glaubt, dieſem Einwurfe da-<lb/>
durch vorzubeugen, wenn er zu erwaͤgen giebt:</p><lb/><cit><quote>〟daß ein Menſch ſeines gleichen, in einer Zeit<lb/>
von vier und zwanzig Stunden, nicht wie ein<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J</fw><fwplace="bottom"type="catch">Koͤnig,</fw><lb/></quote></cit></div></body></text></TEI>
[[65]/0079]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Neuntes Stuͤck.
Den 29ſten May, 1767.
In dem Romane hat St. Preux doch noch
dann und wann Gelegenheit, ſeinen auf-
geklaͤrten Verſtand zu zeigen, und die thaͤ-
tige Rolle des rechtſchaffenen Mannes zu ſpielen.
Aber Siegmund in der Komoͤdie iſt weiter nichts,
als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus ſei-
ner Schwachheit eine Tugend macht, und ſich
ſehr bele diget findet, daß man ſeinem zaͤrtlichen
Herzchen nicht durchgaͤngig will Gerechtigkeit
wiederfahren laſſen. Seine ganze Wirkſamkeit
laͤuft auf ein Paar maͤchtige Thorheiten heraus.
Das Buͤrſchchen will ſich ſchlagen und erſtechen.
Der Verfaſſer hat es ſelbſt empfunden, daß
ſein Siegmund nicht in genugſamer Handlung
erſcheinet; aber er glaubt, dieſem Einwurfe da-
durch vorzubeugen, wenn er zu erwaͤgen giebt:
〟daß ein Menſch ſeines gleichen, in einer Zeit
von vier und zwanzig Stunden, nicht wie ein
Koͤnig,
J
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [65]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/79>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.