Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

auch in den heftigsten Leidenschaften verbindet,
in Ansehung des Beyfalles, nicht allzuwohl be-
finden dürften. -- Aber welches Beyfalles? --
Die Gallerie ist freylich ein großer Liebhaber des
Lermenden und Tobenden, und selten wird sie
ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Händen
zu erwiedern. Auch das deutsche Parterr ist
noch ziemlich von diesem Geschmacke, und es
giebt Akteurs, die schlau genug von diesem Ge-
schmacke Vortheil zu ziehen wissen. Der Schläf-
rigste raft sich, gegen das Ende der Scene,
wenn er abgehen soll, zusammen, erhebet auf
einmal die Stimme, und überladet die Aktion,
ohne zu überlegen, ob der Sinn seiner Rede
diese höhere Anstrengung auch erfodere. Nicht
selten widerspricht sie sogar der Verfassung, mit
der er abgehen soll; aber was thut das ihm?
Genug, daß er das Parterr dadurch erinnert
hat, aufmerksam auf ihn zu seyn, und wenn es
die Güte haben will, ihm nachzuklatschen. Nach-
zischen sollte es ihm! Doch leider ist es theils
nicht Kenner genug, theils zu gutherzig, und
nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen,
für die That.

Ich getraue mich nicht, von der Aktion der
übrigen Schauspieler in diesem Stücke etwas zu
sagen. Wenn sie nur immer bemüht seyn müs-
sen, Fehler zu bemänteln, und das Mittel-
mäßige geltend zu machen: so kann auch der

Beste

auch in den heftigſten Leidenſchaften verbindet,
in Anſehung des Beyfalles, nicht allzuwohl be-
finden duͤrften. — Aber welches Beyfalles? —
Die Gallerie iſt freylich ein großer Liebhaber des
Lermenden und Tobenden, und ſelten wird ſie
ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Haͤnden
zu erwiedern. Auch das deutſche Parterr iſt
noch ziemlich von dieſem Geſchmacke, und es
giebt Akteurs, die ſchlau genug von dieſem Ge-
ſchmacke Vortheil zu ziehen wiſſen. Der Schlaͤf-
rigſte raft ſich, gegen das Ende der Scene,
wenn er abgehen ſoll, zuſammen, erhebet auf
einmal die Stimme, und uͤberladet die Aktion,
ohne zu uͤberlegen, ob der Sinn ſeiner Rede
dieſe hoͤhere Anſtrengung auch erfodere. Nicht
ſelten widerſpricht ſie ſogar der Verfaſſung, mit
der er abgehen ſoll; aber was thut das ihm?
Genug, daß er das Parterr dadurch erinnert
hat, aufmerkſam auf ihn zu ſeyn, und wenn es
die Guͤte haben will, ihm nachzuklatſchen. Nach-
ziſchen ſollte es ihm! Doch leider iſt es theils
nicht Kenner genug, theils zu gutherzig, und
nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen,
fuͤr die That.

Ich getraue mich nicht, von der Aktion der
uͤbrigen Schauſpieler in dieſem Stuͤcke etwas zu
ſagen. Wenn ſie nur immer bemuͤht ſeyn muͤſ-
ſen, Fehler zu bemaͤnteln, und das Mittel-
maͤßige geltend zu machen: ſo kann auch der

Beſte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="39"/>
auch in den heftig&#x017F;ten Leiden&#x017F;chaften verbindet,<lb/>
in An&#x017F;ehung des Beyfalles, nicht allzuwohl be-<lb/>
finden du&#x0364;rften. &#x2014; Aber welches Beyfalles? &#x2014;<lb/>
Die Gallerie i&#x017F;t freylich ein großer Liebhaber des<lb/>
Lermenden und Tobenden, und &#x017F;elten wird &#x017F;ie<lb/>
ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Ha&#x0364;nden<lb/>
zu erwiedern. Auch das deut&#x017F;che Parterr i&#x017F;t<lb/>
noch ziemlich von die&#x017F;em Ge&#x017F;chmacke, und es<lb/>
giebt Akteurs, die &#x017F;chlau genug von die&#x017F;em Ge-<lb/>
&#x017F;chmacke Vortheil zu ziehen wi&#x017F;&#x017F;en. Der Schla&#x0364;f-<lb/>
rig&#x017F;te raft &#x017F;ich, gegen das Ende der Scene,<lb/>
wenn er abgehen &#x017F;oll, zu&#x017F;ammen, erhebet auf<lb/>
einmal die Stimme, und u&#x0364;berladet die Aktion,<lb/>
ohne zu u&#x0364;berlegen, ob der Sinn &#x017F;einer Rede<lb/>
die&#x017F;e ho&#x0364;here An&#x017F;trengung auch erfodere. Nicht<lb/>
&#x017F;elten wider&#x017F;pricht &#x017F;ie &#x017F;ogar der Verfa&#x017F;&#x017F;ung, mit<lb/>
der er abgehen &#x017F;oll; aber was thut das ihm?<lb/>
Genug, daß er das Parterr dadurch erinnert<lb/>
hat, aufmerk&#x017F;am auf ihn zu &#x017F;eyn, und wenn es<lb/>
die Gu&#x0364;te haben will, ihm nachzuklat&#x017F;chen. Nach-<lb/>
zi&#x017F;chen &#x017F;ollte es ihm! Doch leider i&#x017F;t es theils<lb/>
nicht Kenner genug, theils zu gutherzig, und<lb/>
nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen,<lb/>
fu&#x0364;r die That.</p><lb/>
        <p>Ich getraue mich nicht, von der Aktion der<lb/>
u&#x0364;brigen Schau&#x017F;pieler in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke etwas zu<lb/>
&#x017F;agen. Wenn &#x017F;ie nur immer bemu&#x0364;ht &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, Fehler zu bema&#x0364;nteln, und das Mittel-<lb/>
ma&#x0364;ßige geltend zu machen: &#x017F;o kann auch der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Be&#x017F;te</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0053] auch in den heftigſten Leidenſchaften verbindet, in Anſehung des Beyfalles, nicht allzuwohl be- finden duͤrften. — Aber welches Beyfalles? — Die Gallerie iſt freylich ein großer Liebhaber des Lermenden und Tobenden, und ſelten wird ſie ermangeln, eine gute Lunge mit lauten Haͤnden zu erwiedern. Auch das deutſche Parterr iſt noch ziemlich von dieſem Geſchmacke, und es giebt Akteurs, die ſchlau genug von dieſem Ge- ſchmacke Vortheil zu ziehen wiſſen. Der Schlaͤf- rigſte raft ſich, gegen das Ende der Scene, wenn er abgehen ſoll, zuſammen, erhebet auf einmal die Stimme, und uͤberladet die Aktion, ohne zu uͤberlegen, ob der Sinn ſeiner Rede dieſe hoͤhere Anſtrengung auch erfodere. Nicht ſelten widerſpricht ſie ſogar der Verfaſſung, mit der er abgehen ſoll; aber was thut das ihm? Genug, daß er das Parterr dadurch erinnert hat, aufmerkſam auf ihn zu ſeyn, und wenn es die Guͤte haben will, ihm nachzuklatſchen. Nach- ziſchen ſollte es ihm! Doch leider iſt es theils nicht Kenner genug, theils zu gutherzig, und nimmt die Begierde, ihm gefallen zu wollen, fuͤr die That. Ich getraue mich nicht, von der Aktion der uͤbrigen Schauſpieler in dieſem Stuͤcke etwas zu ſagen. Wenn ſie nur immer bemuͤht ſeyn muͤſ- ſen, Fehler zu bemaͤnteln, und das Mittel- maͤßige geltend zu machen: ſo kann auch der Beſte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/53
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/53>, abgerufen am 02.05.2024.