nun erst, nach funfzehn Jahren, auf diese Ver- mählung dringen zu müssen glaubet; er ent- lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope sich selbst nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie und warum dieser von seinem vermeinten Vater entkömmt; er entlehnte von ihm den Vorfall, der den Aegisth als einen Mörder nach Messene bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung, durch die er für den Mörder seiner selbst gehalten wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun- gen der mütterlichen Liebe, wenn Merope den Aegisth zum erstenmale erblickt; er entlehnte von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor Meropens Augen, von ihren eignen Händen sterben soll, die Entdeckung seiner Mitschuldi- gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er nicht auch die ganze Auflösung von ihm entlehnt, indem er das Opfer, bey welchem Polyphont umgebracht werden sollte, von ihm mit der Handlung verbinden lernte? Maffei machte es zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß er, blos darum, seinen Tyrannen itzt erst auf die Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die- ses Opfer desto natürlicher anzubringen. Was Maffei erfand, that Voltaire nach.
Es ist wahr, Voltaire gab verschiedenen von den Umständen, die er vom Maffei entlehnte, eine andere Wendung. Z. E. Anstatt daß, beym
Maffei,
nun erſt, nach funfzehn Jahren, auf dieſe Ver- maͤhlung dringen zu muͤſſen glaubet; er ent- lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope ſich ſelbſt nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie und warum dieſer von ſeinem vermeinten Vater entkoͤmmt; er entlehnte von ihm den Vorfall, der den Aegisth als einen Moͤrder nach Meſſene bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung, durch die er fuͤr den Moͤrder ſeiner ſelbſt gehalten wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun- gen der muͤtterlichen Liebe, wenn Merope den Aegisth zum erſtenmale erblickt; er entlehnte von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor Meropens Augen, von ihren eignen Haͤnden ſterben ſoll, die Entdeckung ſeiner Mitſchuldi- gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er nicht auch die ganze Aufloͤſung von ihm entlehnt, indem er das Opfer, bey welchem Polyphont umgebracht werden ſollte, von ihm mit der Handlung verbinden lernte? Maffei machte es zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß er, blos darum, ſeinen Tyrannen itzt erſt auf die Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die- ſes Opfer deſto natuͤrlicher anzubringen. Was Maffei erfand, that Voltaire nach.
Es iſt wahr, Voltaire gab verſchiedenen von den Umſtaͤnden, die er vom Maffei entlehnte, eine andere Wendung. Z. E. Anſtatt daß, beym
Maffei,
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nun erſt, nach funfzehn Jahren, auf dieſe Ver-
maͤhlung dringen zu muͤſſen glaubet; er ent-
lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope ſich
ſelbſt nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie
und warum dieſer von ſeinem vermeinten Vater
entkoͤmmt; er entlehnte von ihm den Vorfall,
der den Aegisth als einen Moͤrder nach Meſſene
bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung,
durch die er fuͤr den Moͤrder ſeiner ſelbſt gehalten
wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun-
gen der muͤtterlichen Liebe, wenn Merope den
Aegisth zum erſtenmale erblickt; er entlehnte
von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor
Meropens Augen, von ihren eignen Haͤnden
ſterben ſoll, die Entdeckung ſeiner Mitſchuldi-
gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom
Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er
nicht auch die ganze Aufloͤſung von ihm entlehnt,
indem er das Opfer, bey welchem Polyphont
umgebracht werden ſollte, von ihm mit der
Handlung verbinden lernte? Maffei machte es
zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß
er, blos darum, ſeinen Tyrannen itzt erſt auf die
Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die-
ſes Opfer deſto natuͤrlicher anzubringen. Was
Maffei erfand, that Voltaire nach.
Es iſt wahr, Voltaire gab verſchiedenen von
den Umſtaͤnden, die er vom Maffei entlehnte,
eine andere Wendung. Z. E. Anſtatt daß, beym
Maffei,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/410>, abgerufen am 27.11.2024.
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