Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

nun erst, nach funfzehn Jahren, auf diese Ver-
mählung dringen zu müssen glaubet; er ent-
lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope sich
selbst nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie
und warum dieser von seinem vermeinten Vater
entkömmt; er entlehnte von ihm den Vorfall,
der den Aegisth als einen Mörder nach Messene
bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung,
durch die er für den Mörder seiner selbst gehalten
wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun-
gen der mütterlichen Liebe, wenn Merope den
Aegisth zum erstenmale erblickt; er entlehnte
von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor
Meropens Augen, von ihren eignen Händen
sterben soll, die Entdeckung seiner Mitschuldi-
gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom
Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er
nicht auch die ganze Auflösung von ihm entlehnt,
indem er das Opfer, bey welchem Polyphont
umgebracht werden sollte, von ihm mit der
Handlung verbinden lernte? Maffei machte es
zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß
er, blos darum, seinen Tyrannen itzt erst auf die
Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die-
ses Opfer desto natürlicher anzubringen. Was
Maffei erfand, that Voltaire nach.

Es ist wahr, Voltaire gab verschiedenen von
den Umständen, die er vom Maffei entlehnte,
eine andere Wendung. Z. E. Anstatt daß, beym

Maffei,

nun erſt, nach funfzehn Jahren, auf dieſe Ver-
maͤhlung dringen zu muͤſſen glaubet; er ent-
lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope ſich
ſelbſt nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie
und warum dieſer von ſeinem vermeinten Vater
entkoͤmmt; er entlehnte von ihm den Vorfall,
der den Aegisth als einen Moͤrder nach Meſſene
bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung,
durch die er fuͤr den Moͤrder ſeiner ſelbſt gehalten
wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun-
gen der muͤtterlichen Liebe, wenn Merope den
Aegisth zum erſtenmale erblickt; er entlehnte
von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor
Meropens Augen, von ihren eignen Haͤnden
ſterben ſoll, die Entdeckung ſeiner Mitſchuldi-
gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom
Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er
nicht auch die ganze Aufloͤſung von ihm entlehnt,
indem er das Opfer, bey welchem Polyphont
umgebracht werden ſollte, von ihm mit der
Handlung verbinden lernte? Maffei machte es
zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß
er, blos darum, ſeinen Tyrannen itzt erſt auf die
Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die-
ſes Opfer deſto natuͤrlicher anzubringen. Was
Maffei erfand, that Voltaire nach.

Es iſt wahr, Voltaire gab verſchiedenen von
den Umſtaͤnden, die er vom Maffei entlehnte,
eine andere Wendung. Z. E. Anſtatt daß, beym

Maffei,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0410" n="396"/>
nun er&#x017F;t, nach funfzehn Jahren, auf die&#x017F;e Ver-<lb/>
ma&#x0364;hlung dringen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en glaubet; er ent-<lb/>
lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie<lb/>
und warum die&#x017F;er von &#x017F;einem vermeinten Vater<lb/>
entko&#x0364;mmt; er entlehnte von ihm den Vorfall,<lb/>
der den Aegisth als einen Mo&#x0364;rder nach Me&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung,<lb/>
durch die er fu&#x0364;r den Mo&#x0364;rder &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t gehalten<lb/>
wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun-<lb/>
gen der mu&#x0364;tterlichen Liebe, wenn Merope den<lb/>
Aegisth zum er&#x017F;tenmale erblickt; er entlehnte<lb/>
von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor<lb/>
Meropens Augen, von ihren eignen Ha&#x0364;nden<lb/>
&#x017F;terben &#x017F;oll, die Entdeckung &#x017F;einer Mit&#x017F;chuldi-<lb/>
gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom<lb/>
Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er<lb/>
nicht auch die ganze Auflo&#x0364;&#x017F;ung von ihm entlehnt,<lb/>
indem er das Opfer, bey welchem Polyphont<lb/>
umgebracht werden &#x017F;ollte, von ihm mit der<lb/>
Handlung verbinden lernte? Maffei machte es<lb/>
zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß<lb/>
er, blos darum, &#x017F;einen Tyrannen itzt er&#x017F;t auf die<lb/>
Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die-<lb/>
&#x017F;es Opfer de&#x017F;to natu&#x0364;rlicher anzubringen. Was<lb/>
Maffei erfand, that Voltaire nach.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t wahr, Voltaire gab ver&#x017F;chiedenen von<lb/>
den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, die er vom Maffei entlehnte,<lb/>
eine andere Wendung. Z. E. An&#x017F;tatt daß, beym<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Maffei,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0410] nun erſt, nach funfzehn Jahren, auf dieſe Ver- maͤhlung dringen zu muͤſſen glaubet; er ent- lehnte von ihm, daß der Sohn der Merope ſich ſelbſt nicht kennet; er entlehnte von ihm, wie und warum dieſer von ſeinem vermeinten Vater entkoͤmmt; er entlehnte von ihm den Vorfall, der den Aegisth als einen Moͤrder nach Meſſene bringt; er entlehnte von ihm die Mißdeutung, durch die er fuͤr den Moͤrder ſeiner ſelbſt gehalten wird; er entlehnte von ihm die dunkeln Regun- gen der muͤtterlichen Liebe, wenn Merope den Aegisth zum erſtenmale erblickt; er entlehnte von ihm den Vorwand, warum Aegisth vor Meropens Augen, von ihren eignen Haͤnden ſterben ſoll, die Entdeckung ſeiner Mitſchuldi- gen: mit einem Worte, Voltaire entlehnte vom Maffei die ganze Verwicklung. Und hat er nicht auch die ganze Aufloͤſung von ihm entlehnt, indem er das Opfer, bey welchem Polyphont umgebracht werden ſollte, von ihm mit der Handlung verbinden lernte? Maffei machte es zu einer hochzeitlichen Feyer, und vielleicht, daß er, blos darum, ſeinen Tyrannen itzt erſt auf die Verbindung mit Meropen fallen ließ, um die- ſes Opfer deſto natuͤrlicher anzubringen. Was Maffei erfand, that Voltaire nach. Es iſt wahr, Voltaire gab verſchiedenen von den Umſtaͤnden, die er vom Maffei entlehnte, eine andere Wendung. Z. E. Anſtatt daß, beym Maffei,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/410
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/410>, abgerufen am 15.05.2024.