gesammelt, nach denen er selbst zu handeln an- fängt, und durch deren Beobachtung (zu Folge dem Gesetze, daß eben die Modificationen der Seele, welche gewisse Veränderungen des Kör- pers hervorbringen, hinwiederum durch diese körperliche Veränderungen bewirket werden,) er zu einer Art von Empfindung gelangt, die zwar die Dauer, das Feuer derjenigen, die in der Seele ihren Anfang nimmt, nicht haben kann, aber doch in dem Augenblicke der Vorstel- lung kräftig genug ist, etwas von den nicht frey- willigen Veränderungen des Körpers hervorzu- bringen, aus deren Daseyn wir fast allein auf das innere Gefühl zuverläßig schliessen zu können glauben. Ein solcher Akteur soll z. E. die äußerste Wuth des Zornes ausdrücken; ich nehme an, daß er seine Rolle nicht einmal recht verstehet, daß er die Gründe dieses Zornes weder hinlänglich zu fassen, noch lebhaft genug sich vorzustellen vermag, um seine Seele selbst in Zorn zu setzen. Und ich sage; wenn er nur die allergröbsten Aeußerungen des Zornes, einem Akteur von ursprünglicher Empfindung abgeler- net hat, und getreu nachzumachen weiß -- den hastigen Gang, den stampfenden Fuß, den rau- hen bald kreischenden bald verbissenen Ton, das Spiel der Augenbraunen, die zitternde Lippe, das Knirschen der Zähne u. s. w. -- wenn er, sage ich, nur diese Dinge, die sich nachmachen
lassen,
geſammelt, nach denen er ſelbſt zu handeln an- faͤngt, und durch deren Beobachtung (zu Folge dem Geſetze, daß eben die Modificationen der Seele, welche gewiſſe Veraͤnderungen des Koͤr- pers hervorbringen, hinwiederum durch dieſe koͤrperliche Veraͤnderungen bewirket werden,) er zu einer Art von Empfindung gelangt, die zwar die Dauer, das Feuer derjenigen, die in der Seele ihren Anfang nimmt, nicht haben kann, aber doch in dem Augenblicke der Vorſtel- lung kraͤftig genug iſt, etwas von den nicht frey- willigen Veraͤnderungen des Koͤrpers hervorzu- bringen, aus deren Daſeyn wir faſt allein auf das innere Gefuͤhl zuverlaͤßig ſchlieſſen zu koͤnnen glauben. Ein ſolcher Akteur ſoll z. E. die aͤußerſte Wuth des Zornes ausdruͤcken; ich nehme an, daß er ſeine Rolle nicht einmal recht verſtehet, daß er die Gruͤnde dieſes Zornes weder hinlaͤnglich zu faſſen, noch lebhaft genug ſich vorzuſtellen vermag, um ſeine Seele ſelbſt in Zorn zu ſetzen. Und ich ſage; wenn er nur die allergroͤbſten Aeußerungen des Zornes, einem Akteur von urſpruͤnglicher Empfindung abgeler- net hat, und getreu nachzumachen weiß — den haſtigen Gang, den ſtampfenden Fuß, den rau- hen bald kreiſchenden bald verbiſſenen Ton, das Spiel der Augenbraunen, die zitternde Lippe, das Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. — wenn er, ſage ich, nur dieſe Dinge, die ſich nachmachen
laſſen,
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[20/0034]
geſammelt, nach denen er ſelbſt zu handeln an-
faͤngt, und durch deren Beobachtung (zu Folge
dem Geſetze, daß eben die Modificationen der
Seele, welche gewiſſe Veraͤnderungen des Koͤr-
pers hervorbringen, hinwiederum durch dieſe
koͤrperliche Veraͤnderungen bewirket werden,)
er zu einer Art von Empfindung gelangt, die
zwar die Dauer, das Feuer derjenigen, die in
der Seele ihren Anfang nimmt, nicht haben
kann, aber doch in dem Augenblicke der Vorſtel-
lung kraͤftig genug iſt, etwas von den nicht frey-
willigen Veraͤnderungen des Koͤrpers hervorzu-
bringen, aus deren Daſeyn wir faſt allein auf
das innere Gefuͤhl zuverlaͤßig ſchlieſſen zu koͤnnen
glauben. Ein ſolcher Akteur ſoll z. E. die
aͤußerſte Wuth des Zornes ausdruͤcken; ich
nehme an, daß er ſeine Rolle nicht einmal
recht verſtehet, daß er die Gruͤnde dieſes Zornes
weder hinlaͤnglich zu faſſen, noch lebhaft genug
ſich vorzuſtellen vermag, um ſeine Seele ſelbſt
in Zorn zu ſetzen. Und ich ſage; wenn er nur
die allergroͤbſten Aeußerungen des Zornes, einem
Akteur von urſpruͤnglicher Empfindung abgeler-
net hat, und getreu nachzumachen weiß — den
haſtigen Gang, den ſtampfenden Fuß, den rau-
hen bald kreiſchenden bald verbiſſenen Ton, das
Spiel der Augenbraunen, die zitternde Lippe,
das Knirſchen der Zaͤhne u. ſ. w. — wenn er,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/34>, abgerufen am 25.11.2024.
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