man erkennet ihn in der kleinsten noch immer für den ersten Akteur, und betauert, auch nicht zu- gleich alle übrige Rollen von ihm sehen zu kön- nen. Ein ihm ganz eigenes Talent ist dieses, daß er Sittensprüche und allgemeine Betrach- tungen, diese langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anstande, mit einer Innigkeit zu sagen weiß, daß das Trivialste von dieser Art, in seinem Munde Neuheit und Würde, das Frostigste Feuer und Leben erhält.
Die eingestreuten Moralen sind Cronegks beste Seite. Er hat, in seinem Codrus und hier, so manche in einer so schönen nachdrücklichen Kürze ausgedrückt, daß viele von seinen Versen als Sentenzen behalten, und von dem Volke unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit aufgenommen zu werden verdienen. Leider sucht er uns nur auch öfters gefärbtes Glas für Edel- steine, und witzige Antithesen für gesunden Verstand einzuschwatzen. Zwey dergleichen Zei- len, in dem ersten Akte, hatten eine besondere Wir- kung auf mich. Die eine,
"Der Himmel kann verzeihn, allein ein Priester nicht."
Die andere,
"Wer schlimm von andern denkt, ist selbst ein Bösewicht."
Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge- meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu
bemer-
man erkennet ihn in der kleinſten noch immer fuͤr den erſten Akteur, und betauert, auch nicht zu- gleich alle uͤbrige Rollen von ihm ſehen zu koͤn- nen. Ein ihm ganz eigenes Talent iſt dieſes, daß er Sittenſpruͤche und allgemeine Betrach- tungen, dieſe langweiligen Ausbeugungen eines verlegenen Dichters, mit einem Anſtande, mit einer Innigkeit zu ſagen weiß, daß das Trivialſte von dieſer Art, in ſeinem Munde Neuheit und Wuͤrde, das Froſtigſte Feuer und Leben erhaͤlt.
Die eingeſtreuten Moralen ſind Cronegks beſte Seite. Er hat, in ſeinem Codrus und hier, ſo manche in einer ſo ſchoͤnen nachdruͤcklichen Kuͤrze ausgedruͤckt, daß viele von ſeinen Verſen als Sentenzen behalten, und von dem Volke unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit aufgenommen zu werden verdienen. Leider ſucht er uns nur auch oͤfters gefaͤrbtes Glas fuͤr Edel- ſteine, und witzige Antitheſen fuͤr geſunden Verſtand einzuſchwatzen. Zwey dergleichen Zei- len, in dem erſten Akte, hatten eine beſondere Wir- kung auf mich. Die eine,
〟Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prieſter nicht.〟
Die andere,
〟Wer ſchlimm von andern denkt, iſt ſelbſt ein Boͤſewicht.〟
Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge- meine Bewegung, und dasjenige Gemurmel zu
bemer-
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man erkennet ihn in der kleinſten noch immer fuͤr
den erſten Akteur, und betauert, auch nicht zu-
gleich alle uͤbrige Rollen von ihm ſehen zu koͤn-
nen. Ein ihm ganz eigenes Talent iſt dieſes,
daß er Sittenſpruͤche und allgemeine Betrach-
tungen, dieſe langweiligen Ausbeugungen eines
verlegenen Dichters, mit einem Anſtande, mit
einer Innigkeit zu ſagen weiß, daß das Trivialſte
von dieſer Art, in ſeinem Munde Neuheit und
Wuͤrde, das Froſtigſte Feuer und Leben erhaͤlt.
Die eingeſtreuten Moralen ſind Cronegks
beſte Seite. Er hat, in ſeinem Codrus und hier,
ſo manche in einer ſo ſchoͤnen nachdruͤcklichen
Kuͤrze ausgedruͤckt, daß viele von ſeinen Verſen
als Sentenzen behalten, und von dem Volke
unter die im gemeinen Leben gangbare Weisheit
aufgenommen zu werden verdienen. Leider ſucht
er uns nur auch oͤfters gefaͤrbtes Glas fuͤr Edel-
ſteine, und witzige Antitheſen fuͤr geſunden
Verſtand einzuſchwatzen. Zwey dergleichen Zei-
len, in dem erſten Akte, hatten eine beſondere Wir-
kung auf mich. Die eine,
〟Der Himmel kann verzeihn, allein ein Prieſter
nicht.〟
Die andere,
〟Wer ſchlimm von andern denkt, iſt ſelbſt ein
Boͤſewicht.〟
Ich ward betroffen, in dem Parterre eine allge-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/28>, abgerufen am 22.11.2024.
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