als äußerst beleidigend seyn. Ihre stolzen Ge- sinnungen, ihr unbändiger Trieb nach Ehre und Unabhängigkeit, lassen sie uns als eine große, erhabne Seele betrachten, die alle unsere Be- wunderung verdienet. Aber ihr tückischer Groll; ihre hämische Rachsucht gegen eine Per- son, von der ihr weiter nichts zu befürchten stehet, die sie in ihrer Gewalt hat, der sie, bey dem ge- ringsten Funken von Edelmuthe, vergeben müß- te; ihr Leichtsinn, mit dem sie nicht allein selbst Verbrechen begeht, mit dem sie auch andern die unsinnigsten so plump und geradehin zumuthet: machen sie uns wiederum so klein, daß wir sie nicht genug verachten zu können glauben. End- lich muß diese Verachtung nothwendig jene Be- wunderung aufzehren, und es bleibt in der gan- zen Cleopatra nichts übrig, als ein häßliches ab- scheuliches Weib, das immer sprudelt und raset, und die erste Stelle im Tollhause verdienet.
Aber nicht genug, daß Cleopatra sich an Ro- dogunen rächet: der Dichter will, daß sie es auf eine ganz ausnehmende Weise thun soll. Wie fängt er dieses an? Wenn Cleopatra selbst Ro- dogunen aus dem Wege schaft, so ist das Ding viel zu natürlich: denn was ist natürlicher, als seine Feindinn hinzurichten? Gienge es nicht an, daß zugleich eine Liebhaberinn in ihr hinge- richtet würde? Und daß sie von ihrem Liebhaber
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als aͤußerſt beleidigend ſeyn. Ihre ſtolzen Ge- ſinnungen, ihr unbaͤndiger Trieb nach Ehre und Unabhaͤngigkeit, laſſen ſie uns als eine große, erhabne Seele betrachten, die alle unſere Be- wunderung verdienet. Aber ihr tuͤckiſcher Groll; ihre haͤmiſche Rachſucht gegen eine Per- ſon, von der ihr weiter nichts zu befuͤrchten ſtehet, die ſie in ihrer Gewalt hat, der ſie, bey dem ge- ringſten Funken von Edelmuthe, vergeben muͤß- te; ihr Leichtſinn, mit dem ſie nicht allein ſelbſt Verbrechen begeht, mit dem ſie auch andern die unſinnigſten ſo plump und geradehin zumuthet: machen ſie uns wiederum ſo klein, daß wir ſie nicht genug verachten zu koͤnnen glauben. End- lich muß dieſe Verachtung nothwendig jene Be- wunderung aufzehren, und es bleibt in der gan- zen Cleopatra nichts uͤbrig, als ein haͤßliches ab- ſcheuliches Weib, das immer ſprudelt und raſet, und die erſte Stelle im Tollhauſe verdienet.
Aber nicht genug, daß Cleopatra ſich an Ro- dogunen raͤchet: der Dichter will, daß ſie es auf eine ganz ausnehmende Weiſe thun ſoll. Wie faͤngt er dieſes an? Wenn Cleopatra ſelbſt Ro- dogunen aus dem Wege ſchaft, ſo iſt das Ding viel zu natuͤrlich: denn was iſt natuͤrlicher, als ſeine Feindinn hinzurichten? Gienge es nicht an, daß zugleich eine Liebhaberinn in ihr hinge- richtet wuͤrde? Und daß ſie von ihrem Liebhaber
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als aͤußerſt beleidigend ſeyn. Ihre ſtolzen Ge-
ſinnungen, ihr unbaͤndiger Trieb nach Ehre und
Unabhaͤngigkeit, laſſen ſie uns als eine große,
erhabne Seele betrachten, die alle unſere Be-
wunderung verdienet. Aber ihr tuͤckiſcher
Groll; ihre haͤmiſche Rachſucht gegen eine Per-
ſon, von der ihr weiter nichts zu befuͤrchten ſtehet,
die ſie in ihrer Gewalt hat, der ſie, bey dem ge-
ringſten Funken von Edelmuthe, vergeben muͤß-
te; ihr Leichtſinn, mit dem ſie nicht allein ſelbſt
Verbrechen begeht, mit dem ſie auch andern die
unſinnigſten ſo plump und geradehin zumuthet:
machen ſie uns wiederum ſo klein, daß wir ſie
nicht genug verachten zu koͤnnen glauben. End-
lich muß dieſe Verachtung nothwendig jene Be-
wunderung aufzehren, und es bleibt in der gan-
zen Cleopatra nichts uͤbrig, als ein haͤßliches ab-
ſcheuliches Weib, das immer ſprudelt und raſet,
und die erſte Stelle im Tollhauſe verdienet.
Aber nicht genug, daß Cleopatra ſich an Ro-
dogunen raͤchet: der Dichter will, daß ſie es auf
eine ganz ausnehmende Weiſe thun ſoll. Wie
faͤngt er dieſes an? Wenn Cleopatra ſelbſt Ro-
dogunen aus dem Wege ſchaft, ſo iſt das Ding
viel zu natuͤrlich: denn was iſt natuͤrlicher, als
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/257>, abgerufen am 23.11.2024.
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