Ich wollte sagen, daß sich Gründe anführen lassen, warum es besser ist, wenn die Aktrice mehr die zärtliche, als die stolze Elisabeth aus- drückt. Stolz muß sie seyn, das ist ausge- macht: und daß sie es ist, das hören wir. Die Frage ist nur, ob sie zärtlicher als stolz, oder stolzer als zärtlich scheinen soll; ob man, wenn man unter zwey Aktricen zu wählen hätte, lieber die zur Elisabeth nehmen sollte, welche die be- leidigte Königinn, mit allem drohenden Ernste, mit allen Schrecken der rächerischen Majestät, auszudrücken vermöchte, oder die, welcher die eifersüchtige Liebhaberinn, mit allen kränkenden Empfindungen der verschmähten Liebe, mit aller Bereitwilligkeit, dem theuern Frevler zu ver- geben, mit aller Beängstigung über seine Hart- näckigkeit, mit allem Jammer über seinen Ver- lust, augemessener wäre? Und ich sage: diese.
Denn erstlich wird dadurch die Verdopplung des nehmlichen Charakters vermieden. Essex ist stolz; und wenn Elisabeth auch stolz seyn soll, so muß sie es wenigstens auf eine andere Art seyn. Wenn bey dem Grafen die Zärtlichkeit nicht anders, als dem Stolze untergeordnet seyn kann, so muß bey der Königinn die Zärtlichkeit den Stolz überwiegen. Wenn der Graf sich eine höhere Mine giebt, als ihm zukömmt; so muß die Königinn etwas weniger zu seyn schei- nen, als sie ist. Beide auf Stelzen, mit der
Nase
Ich wollte ſagen, daß ſich Gruͤnde anfuͤhren laſſen, warum es beſſer iſt, wenn die Aktrice mehr die zaͤrtliche, als die ſtolze Eliſabeth aus- druͤckt. Stolz muß ſie ſeyn, das iſt ausge- macht: und daß ſie es iſt, das hoͤren wir. Die Frage iſt nur, ob ſie zaͤrtlicher als ſtolz, oder ſtolzer als zaͤrtlich ſcheinen ſoll; ob man, wenn man unter zwey Aktricen zu waͤhlen haͤtte, lieber die zur Eliſabeth nehmen ſollte, welche die be- leidigte Koͤniginn, mit allem drohenden Ernſte, mit allen Schrecken der raͤcheriſchen Majeſtaͤt, auszudruͤcken vermoͤchte, oder die, welcher die eiferſuͤchtige Liebhaberinn, mit allen kraͤnkenden Empfindungen der verſchmaͤhten Liebe, mit aller Bereitwilligkeit, dem theuern Frevler zu ver- geben, mit aller Beaͤngſtigung uͤber ſeine Hart- naͤckigkeit, mit allem Jammer uͤber ſeinen Ver- luſt, augemeſſener waͤre? Und ich ſage: dieſe.
Denn erſtlich wird dadurch die Verdopplung des nehmlichen Charakters vermieden. Eſſex iſt ſtolz; und wenn Eliſabeth auch ſtolz ſeyn ſoll, ſo muß ſie es wenigſtens auf eine andere Art ſeyn. Wenn bey dem Grafen die Zaͤrtlichkeit nicht anders, als dem Stolze untergeordnet ſeyn kann, ſo muß bey der Koͤniginn die Zaͤrtlichkeit den Stolz uͤberwiegen. Wenn der Graf ſich eine hoͤhere Mine giebt, als ihm zukoͤmmt; ſo muß die Koͤniginn etwas weniger zu ſeyn ſchei- nen, als ſie iſt. Beide auf Stelzen, mit der
Naſe
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Ich wollte ſagen, daß ſich Gruͤnde anfuͤhren
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mehr die zaͤrtliche, als die ſtolze Eliſabeth aus-
druͤckt. Stolz muß ſie ſeyn, das iſt ausge-
macht: und daß ſie es iſt, das hoͤren wir. Die
Frage iſt nur, ob ſie zaͤrtlicher als ſtolz, oder
ſtolzer als zaͤrtlich ſcheinen ſoll; ob man, wenn
man unter zwey Aktricen zu waͤhlen haͤtte, lieber
die zur Eliſabeth nehmen ſollte, welche die be-
leidigte Koͤniginn, mit allem drohenden Ernſte,
mit allen Schrecken der raͤcheriſchen Majeſtaͤt,
auszudruͤcken vermoͤchte, oder die, welcher die
eiferſuͤchtige Liebhaberinn, mit allen kraͤnkenden
Empfindungen der verſchmaͤhten Liebe, mit aller
Bereitwilligkeit, dem theuern Frevler zu ver-
geben, mit aller Beaͤngſtigung uͤber ſeine Hart-
naͤckigkeit, mit allem Jammer uͤber ſeinen Ver-
luſt, augemeſſener waͤre? Und ich ſage: dieſe.
Denn erſtlich wird dadurch die Verdopplung
des nehmlichen Charakters vermieden. Eſſex
iſt ſtolz; und wenn Eliſabeth auch ſtolz ſeyn ſoll,
ſo muß ſie es wenigſtens auf eine andere Art
ſeyn. Wenn bey dem Grafen die Zaͤrtlichkeit
nicht anders, als dem Stolze untergeordnet ſeyn
kann, ſo muß bey der Koͤniginn die Zaͤrtlichkeit
den Stolz uͤberwiegen. Wenn der Graf ſich
eine hoͤhere Mine giebt, als ihm zukoͤmmt; ſo
muß die Koͤniginn etwas weniger zu ſeyn ſchei-
nen, als ſie iſt. Beide auf Stelzen, mit der
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/213>, abgerufen am 25.11.2024.
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