denken dieses unglücklichen Herrn; und wiewohl sie oft über seine Hartnäckigkeit klagte, so nannte sie doch seinen Namen selten ohne Thränen. Kurz vorher hatte sich ein Vorfall zugetragen, der ihre Neigung mit neuer Zärtlichkeit belebte, und ihre Betrübniß noch mehr vergällte. Die Gräfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod- bette lag, wünschte die Königinn zu sehen, und ihr ein Geheimniß zu offenbaren, dessen Ver- hehlung sie nicht ruhig würde sterben lassen. Wie die Königinn in ihr Zimmer kam, sagte ihr die Gräfinn, Essex habe, nachdem ihm das To- desurtheil gesprochen worden, gewünscht, die Königinn um Vergebung zu bitten, und zwar auf die Art, die Ihro Majestät ihm ehemals selbst vorgeschrieben. Er habe ihr nehmlich den Ring zuschicken wollen, den sie ihm, zur Zeit der Huld, mit der Versicherung geschenkt, daß, wenn er ihr denselben, bey einem etwanigen Un- glücke, als ein Zeichen senden würde, er sich ihrer völligen Gnaden wiederum versichert hal- ten sollte. Lady Scroop sey die Person, durch welche er ihn habe übersenden wollen; durch ein Versehen aber sey er, nicht in der Lady Scroop, sondern in ihre Hände gerathen. Sie habe ih- rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer von den unversöhnlichsten Feinden des Essex,) und der habe ihr verbothen, den Ring weder der Königinn zu geben, noch dem Grafen zurück zu
sen-
denken dieſes ungluͤcklichen Herrn; und wiewohl ſie oft uͤber ſeine Hartnaͤckigkeit klagte, ſo nannte ſie doch ſeinen Namen ſelten ohne Thraͤnen. Kurz vorher hatte ſich ein Vorfall zugetragen, der ihre Neigung mit neuer Zaͤrtlichkeit belebte, und ihre Betruͤbniß noch mehr vergaͤllte. Die Graͤfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod- bette lag, wuͤnſchte die Koͤniginn zu ſehen, und ihr ein Geheimniß zu offenbaren, deſſen Ver- hehlung ſie nicht ruhig wuͤrde ſterben laſſen. Wie die Koͤniginn in ihr Zimmer kam, ſagte ihr die Graͤfinn, Eſſex habe, nachdem ihm das To- desurtheil geſprochen worden, gewuͤnſcht, die Koͤniginn um Vergebung zu bitten, und zwar auf die Art, die Ihro Majeſtaͤt ihm ehemals ſelbſt vorgeſchrieben. Er habe ihr nehmlich den Ring zuſchicken wollen, den ſie ihm, zur Zeit der Huld, mit der Verſicherung geſchenkt, daß, wenn er ihr denſelben, bey einem etwanigen Un- gluͤcke, als ein Zeichen ſenden wuͤrde, er ſich ihrer voͤlligen Gnaden wiederum verſichert hal- ten ſollte. Lady Scroop ſey die Perſon, durch welche er ihn habe uͤberſenden wollen; durch ein Verſehen aber ſey er, nicht in der Lady Scroop, ſondern in ihre Haͤnde gerathen. Sie habe ih- rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer von den unverſoͤhnlichſten Feinden des Eſſex,) und der habe ihr verbothen, den Ring weder der Koͤniginn zu geben, noch dem Grafen zuruͤck zu
ſen-
<TEI><text><body><divn="1"><cit><quote><pbfacs="#f0189"n="175"/>
denken dieſes ungluͤcklichen Herrn; und wiewohl<lb/>ſie oft uͤber ſeine Hartnaͤckigkeit klagte, ſo nannte<lb/>ſie doch ſeinen Namen ſelten ohne Thraͤnen.<lb/>
Kurz vorher hatte ſich ein Vorfall zugetragen,<lb/>
der ihre Neigung mit neuer Zaͤrtlichkeit belebte,<lb/>
und ihre Betruͤbniß noch mehr vergaͤllte. Die<lb/>
Graͤfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod-<lb/>
bette lag, wuͤnſchte die Koͤniginn zu ſehen, und<lb/>
ihr ein Geheimniß zu offenbaren, deſſen Ver-<lb/>
hehlung ſie nicht ruhig wuͤrde ſterben laſſen.<lb/>
Wie die Koͤniginn in ihr Zimmer kam, ſagte ihr<lb/>
die Graͤfinn, Eſſex habe, nachdem ihm das To-<lb/>
desurtheil geſprochen worden, gewuͤnſcht, die<lb/>
Koͤniginn um Vergebung zu bitten, und zwar<lb/>
auf die Art, die Ihro Majeſtaͤt ihm ehemals<lb/>ſelbſt vorgeſchrieben. Er habe ihr nehmlich den<lb/>
Ring zuſchicken wollen, den ſie ihm, zur Zeit<lb/>
der Huld, mit der Verſicherung geſchenkt, daß,<lb/>
wenn er ihr denſelben, bey einem etwanigen Un-<lb/>
gluͤcke, als ein Zeichen ſenden wuͤrde, er ſich<lb/>
ihrer voͤlligen Gnaden wiederum verſichert hal-<lb/>
ten ſollte. Lady Scroop ſey die Perſon, durch<lb/>
welche er ihn habe uͤberſenden wollen; durch ein<lb/>
Verſehen aber ſey er, nicht in der Lady Scroop,<lb/>ſondern in ihre Haͤnde gerathen. Sie habe ih-<lb/>
rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer<lb/>
von den unverſoͤhnlichſten Feinden des Eſſex,)<lb/>
und der habe ihr verbothen, den Ring weder der<lb/>
Koͤniginn zu geben, noch dem Grafen zuruͤck zu<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſen-</fw><lb/></quote></cit></div></body></text></TEI>
[175/0189]
denken dieſes ungluͤcklichen Herrn; und wiewohl
ſie oft uͤber ſeine Hartnaͤckigkeit klagte, ſo nannte
ſie doch ſeinen Namen ſelten ohne Thraͤnen.
Kurz vorher hatte ſich ein Vorfall zugetragen,
der ihre Neigung mit neuer Zaͤrtlichkeit belebte,
und ihre Betruͤbniß noch mehr vergaͤllte. Die
Graͤfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod-
bette lag, wuͤnſchte die Koͤniginn zu ſehen, und
ihr ein Geheimniß zu offenbaren, deſſen Ver-
hehlung ſie nicht ruhig wuͤrde ſterben laſſen.
Wie die Koͤniginn in ihr Zimmer kam, ſagte ihr
die Graͤfinn, Eſſex habe, nachdem ihm das To-
desurtheil geſprochen worden, gewuͤnſcht, die
Koͤniginn um Vergebung zu bitten, und zwar
auf die Art, die Ihro Majeſtaͤt ihm ehemals
ſelbſt vorgeſchrieben. Er habe ihr nehmlich den
Ring zuſchicken wollen, den ſie ihm, zur Zeit
der Huld, mit der Verſicherung geſchenkt, daß,
wenn er ihr denſelben, bey einem etwanigen Un-
gluͤcke, als ein Zeichen ſenden wuͤrde, er ſich
ihrer voͤlligen Gnaden wiederum verſichert hal-
ten ſollte. Lady Scroop ſey die Perſon, durch
welche er ihn habe uͤberſenden wollen; durch ein
Verſehen aber ſey er, nicht in der Lady Scroop,
ſondern in ihre Haͤnde gerathen. Sie habe ih-
rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer
von den unverſoͤhnlichſten Feinden des Eſſex,)
und der habe ihr verbothen, den Ring weder der
Koͤniginn zu geben, noch dem Grafen zuruͤck zu
ſen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/189>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.