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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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denken dieses unglücklichen Herrn; und wiewohl
sie oft über seine Hartnäckigkeit klagte, so nannte
sie doch seinen Namen selten ohne Thränen.
Kurz vorher hatte sich ein Vorfall zugetragen,
der ihre Neigung mit neuer Zärtlichkeit belebte,
und ihre Betrübniß noch mehr vergällte. Die
Gräfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod-
bette lag, wünschte die Königinn zu sehen, und
ihr ein Geheimniß zu offenbaren, dessen Ver-
hehlung sie nicht ruhig würde sterben lassen.
Wie die Königinn in ihr Zimmer kam, sagte ihr
die Gräfinn, Essex habe, nachdem ihm das To-
desurtheil gesprochen worden, gewünscht, die
Königinn um Vergebung zu bitten, und zwar
auf die Art, die Ihro Majestät ihm ehemals
selbst vorgeschrieben. Er habe ihr nehmlich den
Ring zuschicken wollen, den sie ihm, zur Zeit
der Huld, mit der Versicherung geschenkt, daß,
wenn er ihr denselben, bey einem etwanigen Un-
glücke, als ein Zeichen senden würde, er sich
ihrer völligen Gnaden wiederum versichert hal-
ten sollte. Lady Scroop sey die Person, durch
welche er ihn habe übersenden wollen; durch ein
Versehen aber sey er, nicht in der Lady Scroop,
sondern in ihre Hände gerathen. Sie habe ih-
rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer
von den unversöhnlichsten Feinden des Essex,)
und der habe ihr verbothen, den Ring weder der
Königinn zu geben, noch dem Grafen zurück zu
sen-
denken dieſes ungluͤcklichen Herrn; und wiewohl
ſie oft uͤber ſeine Hartnaͤckigkeit klagte, ſo nannte
ſie doch ſeinen Namen ſelten ohne Thraͤnen.
Kurz vorher hatte ſich ein Vorfall zugetragen,
der ihre Neigung mit neuer Zaͤrtlichkeit belebte,
und ihre Betruͤbniß noch mehr vergaͤllte. Die
Graͤfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod-
bette lag, wuͤnſchte die Koͤniginn zu ſehen, und
ihr ein Geheimniß zu offenbaren, deſſen Ver-
hehlung ſie nicht ruhig wuͤrde ſterben laſſen.
Wie die Koͤniginn in ihr Zimmer kam, ſagte ihr
die Graͤfinn, Eſſex habe, nachdem ihm das To-
desurtheil geſprochen worden, gewuͤnſcht, die
Koͤniginn um Vergebung zu bitten, und zwar
auf die Art, die Ihro Majeſtaͤt ihm ehemals
ſelbſt vorgeſchrieben. Er habe ihr nehmlich den
Ring zuſchicken wollen, den ſie ihm, zur Zeit
der Huld, mit der Verſicherung geſchenkt, daß,
wenn er ihr denſelben, bey einem etwanigen Un-
gluͤcke, als ein Zeichen ſenden wuͤrde, er ſich
ihrer voͤlligen Gnaden wiederum verſichert hal-
ten ſollte. Lady Scroop ſey die Perſon, durch
welche er ihn habe uͤberſenden wollen; durch ein
Verſehen aber ſey er, nicht in der Lady Scroop,
ſondern in ihre Haͤnde gerathen. Sie habe ih-
rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer
von den unverſoͤhnlichſten Feinden des Eſſex,)
und der habe ihr verbothen, den Ring weder der
Koͤniginn zu geben, noch dem Grafen zuruͤck zu
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[175/0189] denken dieſes ungluͤcklichen Herrn; und wiewohl ſie oft uͤber ſeine Hartnaͤckigkeit klagte, ſo nannte ſie doch ſeinen Namen ſelten ohne Thraͤnen. Kurz vorher hatte ſich ein Vorfall zugetragen, der ihre Neigung mit neuer Zaͤrtlichkeit belebte, und ihre Betruͤbniß noch mehr vergaͤllte. Die Graͤfinn von Notthingham, die auf ihrem Tod- bette lag, wuͤnſchte die Koͤniginn zu ſehen, und ihr ein Geheimniß zu offenbaren, deſſen Ver- hehlung ſie nicht ruhig wuͤrde ſterben laſſen. Wie die Koͤniginn in ihr Zimmer kam, ſagte ihr die Graͤfinn, Eſſex habe, nachdem ihm das To- desurtheil geſprochen worden, gewuͤnſcht, die Koͤniginn um Vergebung zu bitten, und zwar auf die Art, die Ihro Majeſtaͤt ihm ehemals ſelbſt vorgeſchrieben. Er habe ihr nehmlich den Ring zuſchicken wollen, den ſie ihm, zur Zeit der Huld, mit der Verſicherung geſchenkt, daß, wenn er ihr denſelben, bey einem etwanigen Un- gluͤcke, als ein Zeichen ſenden wuͤrde, er ſich ihrer voͤlligen Gnaden wiederum verſichert hal- ten ſollte. Lady Scroop ſey die Perſon, durch welche er ihn habe uͤberſenden wollen; durch ein Verſehen aber ſey er, nicht in der Lady Scroop, ſondern in ihre Haͤnde gerathen. Sie habe ih- rem Gemahl die Sache erzehlt, (er war einer von den unverſoͤhnlichſten Feinden des Eſſex,) und der habe ihr verbothen, den Ring weder der Koͤniginn zu geben, noch dem Grafen zuruͤck zu ſen-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/189>, abgerufen am 22.11.2024.